Der Overlord schien den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. Dann schüttelte er den Kopf. Ob sie diese Gewohnheit auf der Erde gelernt hatten? fragte sich George.
„Nein, danke“, erwiderte er. „Ich möchte lieber zusehen. Ein andermal vielleicht.“
„Gut — Sie haben viel Zeit, später Ihre Meinung zu ändern.“
Ob wir viel Zeit haben? dachte George und sah finster auf seine Uhr.
Rupert hatte seine Freunde zu einem kleinen, aber massiven, völlig kreisrunden Tisch geführt, der eine glatte Platte aus Kunststoff hatte. Diese Platte hob er ab, so daß man einen glitzernden See aneinandergelegter Kugellager sah. Der ziemlich hohe Tischrand hinderte sie am Herunterfallen, und George konnte sich unmöglich vorstellen, welchen Zweck sie haben sollten. Die Hunderte von reflektierten Lichtpunkten bildeten ein faszinierendes und hypnotisch wirkendes Muster, und er hatte das Gefühl eines leichten Schwindels.
Als sie ihre Stühle heranzogen, griff Rupert unter den Tisch und zog eine Scheibe von etwa zehn Zentimetern Durchmesser heraus, die er auf die Kugellager legte. „So“, sagte er. „Jetzt legt eure Finger auf diese Scheibe, und sie bewegt sich ohne jeden Widerstand.“
George sah die Vorrichtung mit tiefem Mißtrauen an. Er bemerkte, daß die Buchstaben des Alphabets in regelmäßigen Abständen, aber ohne besondere Anordnung, am Außenrand des Tisches angebracht waren. Außerdem waren die Zahlen Eins bis Neun wahllos zwischen den Buchstaben verstreut, und zwei mit „Ja“ und „Nein“ beschriebene Karten befanden sich an entgegengesetzten Seiten des Tisches.
„Mir kommt das wie Hokuspokus vor“, murmelte er. „Es wundert mich, daß in diesem Zeitalter jemand so etwas ernst nimmt.“ Er fühlte sich etwas wohler, nachdem er diesen sanften Protest geäußert hatte, der sich ebensosehr gegen Jean wie gegen Rupert richtete. Rupert gab nicht vor, mehr als ein gewisses wissenschaftliches Interesse für diese Phänomene zu haben. Er war vorurteilslos, aber nicht leichtgläubig. Jean andererseits — nun, George machte sich zuweilen einige Sorgen um sie. Sie schien wirklich anzunehmen, daß hinter Gedankenübertragung und Hellsehen etwas steckte.
Erst als George seine Bemerkung gemacht hatte, wurde ihm klar, daß sie auch eine Kritik Raschaveraks einschloß. Er sah sich nervös um, aber der Overlord schien unberührt. Was natürlich überhaupt nichts bewies.
Alle hatten jetzt ihre Plätze eingenommen. In Uhrzeigerrichtung saßen Rupert, Maja, Jan, George und Benny Schönberger um den Tisch. Ruth Schönberger saß außerhalb des Kreises mit einem Notizbuch. Sie hatte augenscheinlich etwas dagegen, an dem Versuch teilzunehmen, was Benny zu einigen spöttischen Bemerkungen über Leute veranlaßt hatte, die den Talmud noch ernst nähmen. Jedoch schien sie durchaus bereit zu sein, als Protokollführerin mitzuwirken.
„Hört jetzt zu“, begann Rupert. „Skeptikern wie George wollen wir es ganz deutlich erklären. Einerlei, ob es hier irgend etwas Übernormales gibt oder nicht — es funktioniert! Ich persönlich glaube, daß es eine rein mechanische Erklärung gibt. Wenn wir die Hände auf die Scheibe legen — auch wenn wir es zu vermeiden versuchen, ihre Bewegungen zu beeinflussen — beginnt uns das Unterbewußtsein allerlei Streiche zu spielen. Ich habe unzählige dieser Seancen analysiert, und ich habe nie Antworten bekommen, die nicht irgendeiner in der Gruppe gewußt oder erraten haben könnte, obwohl er sich bisweilen dieser Tatsache nicht bewußt war. Ich möchte jedoch das Experiment unter diesen ziemlich — hm — sonderbaren Umständen durchführen.“
Der „sonderbare Umstand“ beobachtete sie schweigend, aber zweifellos nicht gleichgültig. George fragte sich, was Raschaverak wohl über diese Possen denken mochte. Waren seine Empfindungen die eines Anthropologen, der irgendeinen primitiven religiösen Brauch beobachtete? Der ganze Apparat war tatsächlich geradezu phantastisch, und George kam sich so närrisch wie nie in seinem Leben vor.
Wenn die anderen sich ebenso töricht vorkamen, so verbargen sie ihre Gefühle. Nur Jean glühte vor Erregung, aber vielleicht kam das auch von den Cocktails.
„Alles in Ordnung?“ fragte Rupert. „Gut.“ Er machte eine eindrucksvolle Pause, dann rief er, ohne sich an irgendeinen Bestimmten zu wenden: „Ist jemand hier?“
George konnte die Scheibe unter seinen Fingern leise zittern fühlen. Das war nicht überraschend in Anbetracht des Drucks, der von den sechs Leuten im Kreise auf die Scheibe ausgeübt wurde. Sie glitt in einer kleinen Acht herum und blieb dann im Mittelpunkt wieder still liegen.
„Ist hier jemand?“ wiederholte Rupert. Mehr im Unterhaltungston fügte er hinzu: „Es dauert oft zehn oder fünfzehn Minuten, bis wir anfangen können. Aber manchmal — “ „Still!“ flüsterte Jean. Die Scheibe bewegte sich. Sie begann, in einem weiten Bogen zwischen den Karten mit der Aufschrift „Ja“ und „Nein“ zu schwingen. Mit einiger Mühe unterdrückte George ein Lachen. Was würde es denn beweisen, fragte er sich, wenn die Antwort Nein wäre?
Aber die Antwort war „Ja“. Die Scheibe kehrte rasch zum Mittelpunkt des Tisches zurück. Irgendwie schien sie jetzt lebhaft auf die nächste Frage zu warten. Wider Willen begann George beeindruckt zu werden.
„Wer bist du?“ fragte Rupert. Ohne Zögern wurden jetzt die Worte buchstabiert. Die Scheibe schwirrte wie ein denkendes Wesen über den Tisch und bewegte sich so schnell, daß es George bisweilen schwerfiel, seine Finger darauf zu lassen. Er konnte schwören, daß er zu ihrer Bewegung nicht beitrug. Bei einem raschen Rundblick vermochte er in den Gesichtern seiner Freunde nichts Verdächtiges zu sehen. Sie schienen ebenso gespannt und erwartungsvoll wie er selbst.
„Jamall“, buchstabierte die Scheibe und kehrte zu ihrem Gleichgewichtspunkt zurück.
„I am all, ich bin alles“, wiederholte Rupert. „Das ist eine typische Antwort. Ausweichend, aber anregend. Es bedeutet wahrscheinlich, daß hier nichts ist außer unseren vereinigten Geistern.“ Er hielt einen Augenblick inne, wobei er offenbar seine nächste Frage überlegte. Dann fragte er wieder in die Luft hinein: „Hast du eine Botschaft für irgendeinen hier Anwesenden?“
„Nein“, erwiderte die Scheibe sofort.
Rupert warf einen Blick in die Runde. „Jetzt liegt es bei uns. Zuweilen gibt es freiwillig Auskünfte, aber diesmal müssen wir bestimmte Fragen stellen. Möchte jemand beginnen?“
„Wird es morgen regnen?“ sagte George scherzend.
Plötzlich begann sich die Scheibe zwischen „Ja“ und „Nein“ hin- und herzubewegen.
„Das ist eine törichte Frage“, tadelte Rupert. „Denn irgendwo wird es regnen, und anderswo wird es trocken sein. Ihr dürft keine Fragen stellen, auf die man doppelsinnig antworten kann.“
George fühlte sich gebührend in Verlegenheit gesetzt und beschloß, die nächste Frage einem andern zu überlassen.
„Welches ist meine Lieblingsfarbe?“ fragte Maja.
„Blau“, kam sofort die Antwort.
„Das stimmt genau.“
„Aber es beweist nichts. Mindestens drei Leute hier haben das gewußt“, bemerkte George.
„Welches ist Ruths Lieblingsfarbe?“ fragte Benny.
„Rot.“
„Stimmt das, Ruth?“
Die Protokollführerin blickte von ihrem Notizbuch auf. „Ja, das stimmt, aber Benny weiß es, und er sitzt mit im Kreis.“
„Ich habe es nicht gewußt“, widersprach Benny.
„Du müßtest es aber wissen, ich habe es dir oft genug gesagt!“
„Unterbewußtes Gedächtnis“, murmelte Rupert. „Das kommt oft vor. Aber können wir nicht, bitte, etwas intelligentere Fragen stellen? Da es so gut begonnen hat, möchte ich es nicht gern verplempern.“