Sonderbarerweise begann die Trivialität der Erscheinung auf George Eindruck zu machen. Er war überzeugt, daß es keine übernatürliche Erklärung gab. Wie Rupert gesagt hatte, reagierte die Scheibe einfach auf unbewußte Muskelbewegungen. Aber die Tatsache an sich war überraschend und eindrucksvoll. Er hätte nie geglaubt, daß man so genaue, rasche Antworten erlangen könne. Einmal versuchte er, die Scheibe zu beeinflussen, indem er sie seinen eigenen Namen buchstabieren ließ; er bekam das G, aber das war alles. Das übrige war Unsinn. Er kam zu der Erkenntnis, daß es tatsächlich unmöglich war, daß eine einzelne Person die Führung übernahm, ohne daß der übrige Kreis es wußte.
Nach einer halben Stunde hatte Ruth mehr als ein Dutzend Antworten aufgeschrieben, darunter ziemlich lange. Zuweilen waren orthographische und grammatikalische Schnitzer in den Sätzen, aber nur wenige. Auf jeden Fall war George jetzt überzeugt, daß er an den Antworten nicht bewußt mitwirkte, welche Erklärung es nun auch geben mochte. Mehrmals, wenn ein Wort buchstabiert wurde, hatte er den nächsten Buchstaben vorausgeahnt und damit auch den Sinn des Satzes. Aber jedesmal hatte die Scheibe eine ganz andere Richtung genommen und ein ganz anderes Wort buchstabiert. Zuweilen schien auch die ganze Antwort, da zwischen dem Ende eines Wortes und dem Beginn des nächsten keine Pause gemacht wurde, sinnlos, bis der Satz vollständig war und Ruth ihn vorgelesen hatte.
Das ganze Experiment gab George den unheimlichen Eindruck, mit irgendeinem zielbewußten, unabhängigen Geist in Verbindung zu stehen. Und doch gab es keinen wirklich schlüssigen Beweis. Die Antworten waren so trivial, so vieldeutig. Was konnte man zum Beispiel mit dem Satz anfangen: „Glaubtdemmenschennaturistmiteuch.“
Aber zuweilen hörte man Andeutungen von tiefen, sogar verwirrenden Wahrheiten: „Bedenktmenschistnichtalleinnahemenschistlandvonandern.“
Natürlich wußte das jeder, aber konnte man mit Sicherheit wissen, daß die Botschaft sich nur auf die Overlords bezog?
George wurde müde. Es war höchste Zeit, dachte er schläfrig, daß sie aufbrächen. Dies alles war sehr verwirrend, aber es führte zu keinem Ziel, und man konnte auch von etwas Gutem zu viel bekommen. Er blickte in die Runde. Benny sah aus, als empfinde er ungefähr das gleiche. Maja und Rupert hatten beide etwas verglaste Augen, und Jean — ja, sie hatte es die ganze Zeit zu ernst genommen. Ihre Miene beunruhigte George. Es war fast, als hätte sie Angst, aufzuhören und doch auch Angst, weiterzumachen.
Es blieb nur Jan übrig. George fragte sich, was Rupert über die Absonderlichkeiten seines Schwagers denken mochte. Der junge Ingenieur hatte keine Fragen gestellt und keine Überraschung über irgendeine der Antworten gezeigt. Er schien die Bewegung der Scheibe wie ein wissenschaftliches Phänomen zu studieren.
Rupert entriß sich der Schläfrigkeit, die ihn befallen zu haben schien. „Wir wollen noch eine Frage stellen“, sagte er, „dann wollen wir aufhören. Wie ist es mit dir, Jan? Du hast noch nichts gefragt.“
Überraschenderweise zögerte Jan nicht. Es war, als habe er sich schon lange darauf vorbereitet und nur auf eine Gelegenheit gewartet. Er blickte flüchtig auf den gleichmütig dasitzenden massigen Körper Raschaveraks, dann fragte er mit klarer, fester Stimme: „Welcher Stern ist die Sonne der Overlords?“
Rupert unterdrückte einen überraschten Pfiff. Maja und Benny reagierten überhaupt nicht. Jean hatte die Augen geschlossen und schien eingeschlafen zu sein. Raschaverak hatte sich vorgebeugt, so daß er über Ruperts Schulter auf den Kreis hinunterblicken konnte.
Und die Scheibe begann sich zu bewegen.
Als sie wieder zur Ruhe kam, gab es eine kurze Pause. Dann fragte Ruth mit verwunderter Stimme: „Was bedeutet NGS 549.672?“
Sie bekam keine Antwort, denn im selben Augenblick rief George besorgt:
„Helft mir! Ich fürchte, Jean ist ohnmächtig geworden.“
5
„Dieser Boyce!“ sagte Karellen. „Berichte mir alles über ihn!“
Der Oberkontrolleur bediente sich natürlich nicht tatsächlich dieser Worte, und die Gedanken, die er wirklich ausdrückte, waren viel scharfsinniger. Ein menschlicher Zuhörer hätte eine kurze Folge von raschen Tönen vernommen, nicht unähnlich einem in Tätigkeit befindlichen Hochfrequenz-Morsesender. Obwohl man viele Beispiele der Sprache der Overlords aufgenommen hatte, erwies sich bei allen infolge ihrer außerordentlichen Kompliziertheit eine Analyse als unmöglich. Die Schnelligkeit der Übertragung sorgte dafür, daß kein Dolmetscher, selbst wenn er die Sprache völlig beherrscht hätte, jemals den Overlords bei ihrer normalen Unterhaltung folgen konnte.
Der Oberkontrolleur für die Erde stand mit dem Rücken zu Raschaverak und blickte über die vielfarbige Schlucht des Grand Canyon hin. In zehn Kilometern Entfernung, aber kaum durch den Abstand verschleiert, fingen die terrassenartig ansteigenden Hänge die volle Kraft der Sonne auf. Ein paar hundert Meter tiefer, an der schattigen Bergwand, an deren Rand Karellen stand, bewegte sich ein Mauleselzug in langsamen Windungen in das Tal hinab. Seltsam, dachte Karellen, daß so viele menschliche Wesen noch jede Gelegenheit ergriffen, sich primitiv zu verhalten. Sie konnten den Grund der Schlucht in einem Bruchteil der Zeit und viel bequemer erreichen, wenn sie wollten. Und doch zogen sie es vor, auf Wegen, die wahrscheinlich genau so unsicher waren, wie sie aussahen, dahinzuholpern.
Karellen machte eine unmerkliche Handbewegung. Das große Panorama entschwand den Blicken, und es blieb nur eine nebelige Leere von unendlicher Tiefe. Die Wirklichkeiten seines Amtes und seiner Stellung stürmten wieder einmal auf den Oberkontrolleur ein.
„Rupert Boyce ist ein etwas merkwürdiger Charakter“, erwiderte Raschaverak. „Beruflich ist ihm das Wohlergehen der Tiere in einem wichtigen Teil der afrikanischen Schutzgebiete anvertraut. Er ist sehr tüchtig und an seiner Arbeit interessiert. Da er mehrere tausend Quadratkilometer zu überwachen hat, besitzt er einen der fünfzehn Fernsehapparate, die wir bisher verliehen haben, natürlich unter den üblichen Vorsichtsmaßnahmen. Es ist zufällig der einzige mit vollen Projektionsvorrichtungen. Er hat ihre Notwendigkeit für ihn ausreichend dargelegt, so daß wir ihm den Apparat überlassen haben.“
„Was für Gründe hat er angegeben?“
„Er wollte sich verschiedenen wilden Tieren zeigen, damit sie sich an seinen Anblick gewöhnen und ihn nicht angreifen sollten, wenn er körperlich anwesend wäre. Diese Theorie hat sich bei Tieren bewährt, die sich mehr auf das Auge als auf den Geruch verlassen, obwohl der Mann wahrscheinlich schließlich doch getötet wird. Und natürlich gab es noch einen anderen Grund, warum wir ihm den Apparat überlassen haben.“
„Es machte ihn mehr zu einer Zusammenarbeit geneigt?“
„Allerdings. Ich hatte mich ursprünglich mit ihm in Verbindung gesetzt, weil er über Parapsychologie und verwandte Themen eine der besten Sammlungen von Büchern hat, die es in der Welt gibt. Er lehnte es höflich, aber energisch ab, irgendeines der Bücher auszuleihen, so daß nichts übrigblieb, als ihn zu besuchen. Ich habe jetzt etwa seine halbe Bibliothek gelesen. Es war eine ziemliche Arbeit.“
„Das kann ich mir denken“, sagte Karellen trocken. „Haben Sie unter all dem Kram irgend etwas entdeckt?“
„Ja — elf klare Fälle von teilweisen Durchbrüchen und siebenundzwanzig wahrscheinliche. Das Material ist jedoch so ausgewählt, daß man es nicht als Muster benutzen kann. Und die Beweise sind mit Mystizismus vermengt — vielleicht die ursprüngliche Abweichung des menschlichen Geistes.“
„Und wie ist Boyces Einstellung dazu?“
„Er behauptet, aufgeschlossen und skeptisch zu sein, aber es ist klar, daß er für dieses Gebiet nie so viel Zeit und Mühe aufgewandt hätte, wenn er nicht irgendeinen unterbewußten Glauben besäße. Ich habe ihm das auf den Kopf zugesagt, und er hat zugegeben, daß ich wahrscheinlich recht habe. Er möchte irgendeinen überzeugenden Beweis bekommen. Deshalb macht er immer diese Experimente, obwohl er behauptet, daß es nur eine Spielerei ist.“