„Sie sind überzeugt, daß er nicht argwöhnt, Ihr Interesse könne mehr als akademisch sein?“
„Fest überzeugt. In vieler Hinsicht ist Boyce bemerkenswert töricht und einfältig. Das macht seine Versuche, ausgerechnet auf diesem Gebiet Forschungen anzustellen, geradezu rührend. Es liegt keine Notwendigkeit vor, irgendwelche Schritte gegen ihn zu unternehmen.“
„Ich verstehe. Und was ist mit der Frau, die ohnmächtig wurde?“
„Das ist das Aufregendste an der ganzen Angelegenheit. Jean Morrel war fast mit Sicherheit das Medium, durch das die Auskunft gegeben wurde. Aber sie ist sechsundzwanzig, viel zu alt, um selbst den ursprünglichen Kontakt zu bilden, nach all unsern früheren Erfahrungen zu urteilen. Es muß daher jemand sein, der eng mit ihr verbunden ist. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand. Wir können nicht mehr viele Jahre zu warten haben. Wir müssen sie in die Purpurne Kategorie versetzen. Sie kann das wichtigste lebende menschliche Wesen sein.“
„Dafür werde ich sorgen. Und was ist mit dem jungen Mann, der die Frage gestellt hat? War es einfach Neugier? Oder hatte er irgendeinen andern Grund?“
„Er ist zufällig dorthin gekommen. Seine Schwester hat sich kürzlich mit Rupert Boyce verheiratet. Er hatte vorher keinen der andern Gäste gekannt. Ich bin überzeugt, daß die Frage völlig unüberlegt war, veranlaßt durch die ungewöhnliche Situation und wahrscheinlich durch meine Anwesenheit. Wenn man diese Umstände berücksichtigt, ist es kaum überraschend, daß er so handelte. Sein großes Interesse ist die Astronautik. Er ist Sekretär der Arbeitsgruppe für Weltraumfahrten an der Universität Kapstadt und beabsichtigt offenbar, dieses Fach zu seiner Lebensarbeit zu machen.“
„Seine Laufbahn dürfte interessant sein. Aber was wird er nach Ihrer Meinung unternehmen, und was sollen wir in Hinblick auf ihn tun?“
„Er wird zweifellos, sobald er kann, gewisse Feststellungen machen. Aber er kann auf keine Art die Richtigkeit seiner Information beweisen, und auf Grund ihres sonderbaren Ursprungs kann er sie auch schwerlich veröffentlichen. Und würde es, selbst wenn er es tut, die Sache im geringsten berühren?“
„Ich werde beide Situationen untersuchen lassen“, erwiderte Karellen. „Obwohl unsere Anweisung dahin geht, unsern Stützpunkt nicht bekanntzugeben, könnte die Auskunft doch in keiner Weise gegen uns benutzt werden.“
„Ich bin der gleichen Meinung. Rodricks besitzt eine Information, deren Wahrheit ungewiß ist und die keinen praktischen Wert hat.“
„So scheint es“, sagte Karellen. „Aber wir wollen nicht allzu unbesorgt sein. Menschliche Wesen sind bemerkenswert erfinderisch und oft sehr hartnäckig. Man sollte sie nie unterschätzen, und es ist interessant, Rodricks Laufbahn zu verfolgen. Ich muß über diese Dinge nachdenken.“
Rupert Boyce kam der Sache nie wirklich auf den Grund. Als seine Gäste sich, weniger lärmend als gewöhnlich, entfernt hatten, schob er den Tisch nachdenklich in seine Ecke zurück. Der leichte alkoholische Nebel hinderte ihn, das Geschehene gründlich zu durchdenken, und selbst die Tatsachen hatten sich schon etwas verwischt. Er hatte die unklare Vorstellung, daß irgend etwas von großer, aber nicht recht greifbarer Bedeutung geschehen sei, und fragte sich, ob er mit Raschaverak darüber sprechen solle. Bei genauerem Überlegen erschien ihm das jedoch taktlos. Schließlich hatte sein Schwager die Verwirrung verursacht, und Rupert war etwas ärgerlich auf den jungen Jan. Aber war es Jans Schuld? Hatte irgend jemand die Schuld? Mit einigen Gewissensbissen erinnerte sich Rupert, daß es sein Experiment gewesen war. Er beschloß, sehr erfolgreich, die ganze Sache zu vergessen.
Vielleicht hätte er etwas tun können, wenn man die letzte Seite von Ruths Notizen hätte finden können, aber sie war in der Aufregung verschwunden. Jan stellte sich unschuldig, und Raschaverak konnte man ja nicht gut bezichtigen. Und niemand würde sich jemals genau erinnern, was da buchstabiert worden war, abgesehen davon, daß es keinen Sinn zu geben schien.
Der am unmittelbarsten Betroffene war George Greggson gewesen. Er konnte nie das Gefühl des Entsetzens vergessen, als Jean in seine Arme sank. Ihre plötzliche Hilflosigkeit verwandelte sie in jenem Augenblick aus einer amüsanten Gefährtin in einen Gegenstand der Zärtlichkeit und Liebe. Frauen waren seit undenklichen Zeiten ohnmächtig geworden, nicht immer ohne Vorbedacht, und Männer hatten unveränderlich in der gewünschten Art und Weise darauf reagiert. Jeans Zusammenbruch war ganz plötzlich gekommen, hätte aber nicht besser geplant sein können. In jenem Augenblick war George, wie er später begriff, zu einem der wichtigsten Entschlüsse seines Lebens gekommen. Jean war endgültig die Frau, auf die es ihm ankam, trotz ihrer sonderbaren Einfälle und ihrer noch sonderbareren Freunde. Er hatte nicht die Absicht, Naomi oder Joy oder Elsa oder — wie hieß sie doch? — Denise völlig zu verlassen, aber jetzt war die Zeit für etwas Beständigeres gekommen. Er zweifelte nicht, daß Jean ihm zustimmen würde, denn ihre Gefühle waren von Anfang an ganz klar gewesen.
Hinter seinem Entschluß stand noch ein anderer Umstand, über den er sich nicht klar war. Das Erlebnis dieses Abends hatte seine Verachtung und seinen Skeptizismus in bezug auf Jeans eigentümliche Interessen geschwächt. Er würde diese Tatsache nie zugeben, aber es war so, und damit war die letzte Schranke zwischen ihnen beseitigt.
Er sah Jean an, wie sie blaß, aber gefaßt im Liegesessel des Flugzeugs lehnte. Unter ihnen war Dunkelheit, über ihnen Sterne. George hatte keine Vorstellung, wo sie sich befinden mochten, und es kümmerte ihn auch nicht. Das war die Aufgabe des Roboters, der ihr Flugzeug nach Hause steuerte und, wie die Schalttafel anzeigte, in siebenundfünfzig Minuten mit ihnen landen würde.
Jean erwiderte sein Lächeln und zog sanft ihre Hand aus der seinen. „Laß mich nur mal den Blutkreislauf wiederherstellen“, bat sie, sich die Finger reibend. „Du mußt mir glauben, wenn ich dir sage, daß ich mich jetzt wieder völlig wohl fühle.“
„Was meinst du denn, was geschehen ist? Du erinnerst dich doch sicherlich an irgend etwas?“
„Nein — es ist eine völlige Leere. Ich hörte Jan seine Frage stellen, und dann machtet ihr alle so viel Lärm um mich. Es war bestimmt eine Art Trance. Schließlich.“
Sie hielt inne; dann beschloß sie, George nicht zu sagen, daß ihr so etwas schon öfter geschehen war. Sie wußte, wie er über diese Dinge dachte, und wollte ihn nicht weiter aufregen und — vielleicht völlig abschrecken.
„Schließlich? Was meinst du?“ fragte George.
„Ach, nichts! Ich frage mich nur, was der Overlord bei der ganzen Sache gedacht haben mag. Wir haben ihm wahrscheinlich mehr Material geliefert, als er überhaupt haben wollte.“
Jean erschauerte leicht, und ihre Augen verschleierten sich. „Ich habe Angst vor den Overlords, George. Oh, ich meine nicht, daß sie böse sind, oder sonst etwas Törichtes. Ich bin überzeugt, daß sie es gut meinen und das tun, was nach ihrer Meinung das beste für uns ist. Ich frage mich nur, was für Pläne sie in Wirklichkeit mit uns haben.“
George rückte unbehaglich auf seinem Platz hin und her. „Das fragen sich die Menschen, seit die Overlords auf die Erde gekommen sind“, erwiderte er. „Sie werden es uns sagen, wenn wir reif dafür sind, und offen gestanden bin ich nicht neugierig. Außerdem habe ich Wichtigeres zu bedenken.“ Er wandte sich zu Jean und ergriff ihre Hände. „Was meinst du, ob wir morgen zum Archiv gehen und einen Vertrag über — sagen wir fünf Jahre unterzeichnen?“
Jean sah ihn fest an und kam zu der Überzeugung, daß ihr im ganzen gefiel, was sie sah. „Sagen wir über zehn Jahre“, erwiderte sie.