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Über NGS 549.672 war sehr wenig bekannt. Nichts hatte diesen Stern von einer Million anderer unterschieden. Aber der Katalog gab seine Größe an, seine Koordinate und seine Spektralanalyse. Jan würde einige Nachforschungen anstellen und etliche Berechnungen machen müssen, und dann würde er, wenigstens annähernd, wissen, wie weit die Welt der Overlords von der Erde entfernt war.

Ein leises Lächeln glitt über Jans Gesicht, als er sich von der Themse abwandte und zu der leuchtendweißen Fassade des Zentrums der Wissenschaften zurückkehrte. Wissen war Macht, und er war der einzige Mensch auf der Erde, der den Ursprung der Overlords kannte. Wie er dieses Wissen anwenden würde, konnte er sich nicht vorstellen. Es würde in seinem Geist sicher bewahrt liegen und auf den Augenblick des Schicksals warten.

6

Die menschliche Rasse sonnte sich weiterhin in dem langen, wolkenlosen Sommernachmittag des Friedens und Gedeihens. Würde es je wieder einen Winter geben? Das war undenkbar. Das Zeitalter der Vernunft, vor zweieinhalb Jahrhunderten von den Führern der Französischen Revolution vorzeitig begrüßt, war jetzt endlich gekommen. Diesmal war es kein Irrtum.

Es gab natürlich Schattenseiten, aber sie wurden bereitwillig hingenommen. Man mußte schon sehr alt sein, um zu erkennen, daß die Zeitungen, die der Fernschreiber in jedem Heim druckte, eigentlich ziemlich langweilig waren. Vorbei waren die Krisen, die einstmals Riesenschlagzeilen geliefert hatten. Es gab keine geheimnisvollen Morde, die die Polizei vor ein Rätsel stellten und in Millionen Herzen die moralische Entrüstung weckten, die oft unterdrückter Neid war. Die Morde, die jetzt vorkamen, waren niemals geheimnisvoll. Man brauchte nur an einem Knopf zu drehen, und man konnte die Wiederholung des Verbrechens sehen. Daß es Apparate gab, die so etwas fertigbrachten, hatte zunächst unter völlig gesetzestreuen Menschen eine erhebliche Panik hervorgerufen. Dies hatten die Overlords, die die meisten, aber nicht alle Wunderlichkeiten der menschlichen Psychologie kannten, nicht vorausgesehen. Es mußte genau erklärt werden, daß kein solcher „Spion“ imstande wäre, die Menschen zu belauern, und daß die sehr wenigen in menschlichen Händen befindlichen Apparate unter strenger Kontrolle sein würden. Rupert Boyces Projektor zum Beispiel konnte nicht über die Grenzen des Reservationsgebietes hinaus wirken, so daß er und Maja die einzigen Personen innerhalb seiner Reichweite waren.

Selbst die wenigen ernsthaften Verbrechen, die sich ereigneten, wurden in den Zeitungen und Nachrichten nicht besonders beachtet. Denn wohlerzogene Menschen tragen kein Verlangen danach, über die gesellschaftlichen Entgleisungen anderer zu lesen.

Die durchschnittliche Arbeitswoche betrug jetzt zwanzig Stunden, aber diese zwanzig Stunden waren keine leichte Sache. Es gab nur noch wenige Arbeiten rein mechanischer Art. Die Gehirne der Menschen waren zu wertvoll, um sie für Aufgaben zu verschwenden, die einige tausend Transistoren, etliche photoelektri sche Zellen und ein Kubikmeter gedruckter Schaltungen bewältigen konnten. Es gab Fabriken, die wochenlang arbeiteten, ohne von einem einzigen menschlichen Wesen besucht zu werden. Menschen wurden gebraucht, um Störungen zu beseitigen, um Entscheidungen zu treffen, um neue Unternehmungen zu planen. Das übrige besorgten die Roboter.

So viel Freizeit hätte noch vor hundert Jahren ein furchtbares Problem bedeutet. Die Erziehung hatte die meisten dieser Schwierigkeiten beseitigt, denn ein gutausgerüstetes Gehirn ist gegen Langeweile gesichert. Das allgemeine kulturelle Niveau wäre früher phantastisch erschienen. Es gab keine Beweise dafür, daß die Intelligenz der menschlichen Rasse sich verbessert hatte, aber zum erstenmal war einem jeden die Möglichkeit gegeben, das Gehirn, das er besaß, voll auszunutzen.

Die meisten Menschen hatten zwei Wohnsitze, in weit auseinanderliegenden Teilen der Welt. Nachdem jetzt die Polargebiete erschlossen waren, begab sich ein beträchtlicher Teil der menschlichen Rasse alle sechs Monate von der Arktis zur Antarktis, auf der Suche nach dem langen Polarsommer, der keine Nächte kannte. Andere waren in die Wüste gegangen, auf die Berge oder sogar ins Meer. Es gab keinen Ort auf dem Planeten, wo Wissenschaft und Technik einem nicht ein behagliches Heim schaffen konnten, wenn man es nur lebhaft genug wünschte.

Einige der ausgefallensten Wohnsitze lieferten die wenigen Sensationsberichte in den Zeitungen. Auch in der bestgeordneten Gesellschaft wird es immer Unfälle geben. Vielleicht war es ein gutes Zeichen, daß die Leute es lohnend fanden, wegen eines hübschen Hauses nahe dem Gipfel des Mount Everest oder hinter dem Gischt der Viktoriafälle ihr Leben zu wagen und sich gelegentlich auch den Hals zu brechen. Infolgedessen mußte immer irgend jemand von irgendwo gerettet werden. Es war eine Art Spiel geworden, fast ein planetarischer Sport.

Die Menschen konnten sich solchen Launen hingeben, weil sie Zeit und Geld hatten. Die Abschaffung der bewaffneten Streitkräfte hatte mit einem Schlage den tatsächlichen Reichtum der Welt fast verdoppelt, und die vermehrte Produktion hatte das übrige getan. Infolgedessen konnte man den Lebensstandard der Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts schwer mit dem irgendwelcher ihrer Vorgänger vergleichen. Alles war so billig, daß man die Din ge, die man zum Leben brauchte, als eine Dienstleistung des Staates umsonst bekam, so wie früher Straßen, Wasser, Straßenbeleuchtung und Kanalisation geliefert worden waren. Ein Mensch konnte reisen, wohin er wollte, essen, was er mochte — ohne irgendwie Geld dafür zu zahlen. Er hatte dieses Recht dadurch erworben, daß er ein produktives Mitglied der Gemeinschaft war.

Es gab natürlich einige Drohnen, aber die Anzahl der Menschen, die einen genügend starken Willen haben, um sich einem Leben völliger Trägheit hinzugeben, ist viel kleiner, als im allgemeinen angenommen wird. Die Erhaltung solcher Schmarotzer war eine erheblich geringere Belastung als die Heere der Fahrkartenkontrolleure, der Verkäufer, der Bankangestellten, der Makler und so weiter zu versorgen, deren Hauptaufgabe, genau betrachtet, darin bestand, Summen von einem Buch ins andere zu übertragen.

Fast ein Viertel der Gesamttätigkeit der menschlichen Rasse wurde, wie berechnet worden war, jetzt für verschiedene Sportarten aufgewandt, die von so seßhaften Beschäftigungen wie Schach bis zu so halsbrecherischen Unternehmungen wie Schilaufen in den Bergen reichten. Eine unerwartete Folge davon war das Aussterben des berufsmäßigen Sportsmannes. Es gab zu viele glänzende Amateure, und die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen ließen das frühere System veraltet erscheinen.

Nächst dem Sport war die Unterhaltung in allen ihren Zweigen die größte Industrie. Länger als hundert Jahre hatte es Menschen gegeben, die Hollywood für den Mittelpunkt der Welt hielten. Sie konnten diese Behauptung jetzt besser begründen als je zuvor, aber man konnte ruhig sagen, daß ihnen die meisten Filme des Jahres 2050 im Jahre 1950 geistig viel zu hoch erschienen wären. Es hatte einen Fortschritt gegeben: Die Eintrittskasse war nicht mehr entscheidend für die Produktion.

Aber bei all den Zerstreuungen und Ablenkungen auf einem Planeten, der auf dem besten Wege schien, ein einziger riesiger Spielplatz zu werden, gab es immer noch einige Menschen, die Zeit fanden, eine alte und niemals beantwortete Frage zu wiederholen: „Wohin gehen wir eigentlich?“

Jan lehnte sich gegen den Elefanten, und seine Hände ruhten auf der Haut, die rauh war wie die Rinde eines Baumes. Er blickte zu den großen Stoßzähnen und dem geschwungenen Rüssel auf, der durch die Geschicklichkeit des Ausstopfenden im Augenblick der Herausforderung oder der Begrüßung festgehalten war. Was für noch unheimlichere Geschöpfe, fragte er sich, aus welchen unbekannten Welten, würden eines Tages diesen von der Erde Verbannten betrachten?

„Wie viele Tiere habt ihr den Overlords geschickt?“ fragte er Rupert.

„Mindestens fünfzig, aber natürlich ist dies hier das größte. Er ist prachtvoll, nicht wahr? Die meisten andern waren recht klein. Schmetterlinge, Schlangen, Affen und so weiter. Aber voriges Jahr habe ich ein Flußpferd bekommen.“