Jan verzog das Gesicht zu einem Lächeln. „Es ist ein krankhafter Gedanke, aber ich vermute, sie haben jetzt schon eine ansehnliche ausgestopfte Gruppe des Homo sapiens in ihrer Sammlung. Ich überlege, wer wohl beehrt wurde.“
„Du hast wahrscheinlich recht“, sagte Rupert ziemlich gleichgültig. „Man könnte es leicht durch die Krankenhäuser bewerkstelligen.“
„Was würde geschehen“, fuhr Jan nachdenklich fort, „wenn jemand freiwillig als lebendes Musterstück mitginge? Angenommen natürlich, daß für später eine Rückkehr garantiert wäre.“
Rupert lachte, nicht ohne Anteilnahme. „Ist das ein Angebot? Soll ich es an Raschaverak weiterleiten?“
Einen Augenblick erwog Jan diesen Gedanken mehr als nur halb ernsthaft. Dann schüttelte er den Kopf. „Hm — nein. Ich habe nur laut gedacht. Sie würden bestimmt ablehnen. Triffst du übrigens Raschaverak in diesen Tagen?“
„Er rief mich vor etwa sechs Wochen an. Er hatte gerade ein Buch gefunden, hinter dem ich her war. Sehr nett von ihm.“
Jan ging langsam um das ausgestopfte Riesentier herum und bewunderte die Geschicklichkeit, die es für immer in diesem Augenblick größter Kraft festgehalten hatte.
„Hast du je herausgefunden, was er sucht?“ fragte er. „Ich meine, man kann die Wissenschaft der Overlords schwer mit einem Interesse an dem Okkulten vereinen.“
Rupert sah Jan etwas argwöhnisch an und fragte sich, ob sein Schwager sich über sein Steckenpferd lustig mache. „Seine Erklärung erschien glaubhaft. Als Anthropologe interessiert er sich für jede Seite unserer Kultur.
Bedenke, daß sie ungeheuer viel Zeit haben. Sie können sich viel mehr in die Einzelheiten vertiefen, als dies ein menschlicher Forscher jemals könnte. Wenn Raschy meine ganze Bibliothek gelesen hat, war das für ihn wahrscheinlich nur eine geringe Anstrengung.“
Das mochte die Antwort sein, aber Jan war nicht überzeugt. Bisweilen hatte er daran gedacht, Rupert sein Geheimnis anzuvertrauen, aber seine natürliche Vorsicht hielt ihn zurück. Wenn Rupert seinen Freund, den Overlord wieder traf, würde er ihm wahrscheinlich etwas verraten — die Versuchung wäre zu groß.
„Übrigens“, sagte Rupert und wechselte plötzlich das Thema, „wenn du dies für eine große Sache hältst, so solltest du den Auftrag sehen, den Sullivan bekommen hat. Er hat versprochen, die beiden größten Geschöpfe überhaupt zu liefern: einen Pottwal und einen Riesentintenfisch. Man wird sie im tödlichen Kampf zeigen. Das ist ein Schauspiel!“
Einen Augenblick antwortete Jan nicht. Der Gedanke, der sich in seinem Kopf entzündet hatte, war zu gewaltig, zu phantastisch, um ernst genommen zu werden. Aber gerade wegen seiner Kühnheit könnte es gelingen.
„Was ist?“ sagte Rupert besorgt. „Greift die Hitze dich an?“
Jan zwang sich in die Wirklichkeit zurück. „Ich bin völlig in Ordnung“, sagte er. „Ich überlegte nur, wie die Overlords so ein kleines Paket befördern werden.“
„Oh“, sagte Rupert, „da kommt eines ihrer Transportschiffe, öffnet eine Luke und nimmt es auf.“
„Genau das hatte ich mir auch gedacht“, erwiderte Jan.
7
Es hätte die Kabine eines Raumschiffes sein können, aber sie war es nicht. Die Wände waren mit Meßgeräten und Instrumenten bedeckt. Fenster waren nicht darin, nur ein großer Bildschirm vor dem Piloten. Das Schiff konnte sechs Passagiere aufnehmen, aber im Augenblick war Jan der einzige.
Er beobachtete gespannt den Bildschirm und nahm jede Einzelheit dieser sonderbaren und unbekannten Region, während sie vor seinem Auge vorbeiglitt, in sich auf. Unbekannt war sie, ja, so unbekannt wie irgend etwas, was er jenseits der Sterne sehen würde, wenn sein toller Plan glückte. Er begab sich jetzt in ein Reich von Geschöpfen, die wie aus Alpträumen stammten, die einander in einer seit Anbeginn der Welt ungestört gebliebe nen Finsternis belauerten. Es war ein Reich, über das die Menschen Jahrtausende lang dahingefahren waren: Es lag nicht mehr als tausend Meter unter dem Kiel ihrer Schiffe, aber bis vor hundert Jahren hatten sie weniger darüber gewußt als über das sichtbare Antlitz des Mondes.
Der Pilot ging von der Oberfläche des Ozeans in die noch unerforschten Tiefen des südlichen Pazifiks hinunter. Jan wußte, daß er der unsichtbaren Führung der Schallwellen folgte, die von den auf dem Grunde des Ozeans angebrachten Apparaten erzeugt wurden. Noch befand sich das Schiff so hoch über dem Meeresgrund wie die Wolken über der Erdoberfläche.
Es gab sehr wenig zu sehen. Die Sucher des Unterseebootes durchforschten die Gewässer vergeblich. Die durch seine Düsen hervorgerufene Störung hatte wahrscheinlich die kleineren Fische verscheucht: Wenn irgendein Geschöpf sich näherte, um die Störung zu untersuchen, so würde es so groß sein, daß es den Begriff Furcht nicht kannte.
Die kleine Kabine vibrierte von Kraft, jener Kraft, die das ungeheure Gewicht des Wassers über ihren Köpfen meistern und diese kleine Blase von Licht und Luft schaffen konnte, in der Menschen zu leben vermochten. Wenn diese Kraft versagte, dachte Jan, so würden sie Gefangene in einem Metallsarge sein, tief im Schlamm des Ozeangrundes begraben.
„Zeit, eine Messung zu machen“, sagte der Pilot. Er drehte an einigen Schaltern, und das Unterseeboot kam langsam zum Stillstand, als die Düsen den Antrieb einstellten. Das Schiff lag regungslos da und schwamm in völligem Gleichgewicht, wie ein Ballon in der Atmosphäre.
Es dauerte nur einen Augenblick, mit Hilfe der Schallwellen ihre Position festzustellen. Als der Pilot seine Instrumente abgelesen hatte, bemerkte er: „Ehe wir die Motoren wieder anstellen, wollen wir versuchen, ob wir irgend etwas hören können.“
Der Lautsprecher erfüllte den stillen kleinen Raum mit einem leisen, andauernden Gemurmel von Tönen. Es gab darin kein auffallendes Geräusch, das Jan von den übrigen hätte unterscheiden können. Es war ein gleichmäßiger Hintergrund, in dem alle einzelnen Töne ineinander übergingen. Jan wußte, daß er hier dem Gespräch der Myriaden von Meerestieren miteinander lauschte. Es war, als stände er mitten in einem Walde, der von Leben strotzte, nur daß er dort einige Stimmen erkannt hätte. Hier konnte nicht ein einziger Faden des Tongewebes herausgelöst und identifiziert werden. Es war so fremd, so fern allem, was Jan je erlebt hatte, daß sein Schädel zu brummen begann. Und doch war dies ein Teil seiner eigenen Welt…
Der Schrei durchschnitt den vibrierenden Hintergrund wie ein Blitz, der in einer dunklen Gewitterwolke aufzuckt. Er verebbte rasch in einem trauervollen Klagen, einem Geheul, das leiser wurde und erstarb, jedoch einen Augenblick später aus einer entfernteren Quelle wiederholt wurde.
Dann brach ein Chor von Schreien los, ein Pandämonium, das den Piloten veranlaßte, rasch nach dem Lautstärkeregler zu greifen.
„Um Himmels willen, was war das?“ ächzte Jan.
„Unheimlich, nicht wahr? Es ist ein Walschwarm, etwa zehn Kilometer entfernt. Ich wußte, daß sie in der Nachbarschaft wären und dachte mir, daß Sie sie gern hören würden.“
Jan schüttelte sich. „Und ich habe immer gedacht, das Meer wäre still! Warum machen sie so einen Krach?“
„Sie reden miteinander, vermute ich. Sullivan könnte es Ihnen sagen — man behauptet, er könne die einzelnen Wale an der Stimme erkennen, obwohl ich das kaum glauben kann. Hallo, wir haben Gesellschaft bekommen!“
Ein Fisch mit unglaublich hervorstehenden Kiefern wurde auf dem Bildschirm sichtbar. Er schien ziemlich groß zu sein, aber da Jan den Maßstab des Bildes nicht kannte, konnte er es schwer beurteilen. Von einer Stelle dicht unter den Kiemen hing eine lange Ranke herunter, die in einem nicht zu bestimmenden glockenförmigen Organ endete.