Dieses Gebilde hätte das Werk irgendeines wahnsinnigen Künstlers im Rauschgiftdelirium sein können. Und doch war es eine sorgfältige Kopie des Lebens: Hier war die Natur selbst die Künstlerin. Dieses Schauspiel hatten bis zur Entwicklung des Unterwasserfernsehens nur wenige Menschen jemals gesehen, und selbst dann nur für Sekunden bei den seltenen Gelegenheiten, wenn diese riesigen Gegner sich zur Oberfläche hinaufarbeiteten. Diese Kämpfe wurden in der endlosen Nacht der Ozeantiefen ausgefochten, wo die Pottwale ihre Beute erjagten, eine Beute, die sich heftig dagegen wehrte, lebend verschlungen zu werden.
Der lange, mit Sägezähnen besetzte Unterkiefer des Wals war weit geöffnet, bereit, die Beute zu packen. Der Kopf des Riesenpolypen war fast versteckt unter dem Netzwerk von weißen, schwammigen Armen, mit denen er verzweifelt um sein Leben kämpfte. Bläuliche Saugmale mit einem Durchmesser von zwanzig Zentimetern oder mehr hatten die Haut des Wals überall da, wo diese Arme sich angeklammert hatten, gefleckt. Ein Fangarm war schon verstümmelt, und über den endgültigen Ausgang des Kampfes konnte es keinen Zweifel geben. Wenn die beiden größten Tie re der Erde miteinander kämpften, war der Wal immer der Sieger. Trotz der ungeheuren Kraft der unzähligen Fangarme lag die einzige Hoffnung des Polypen darin, zu entkommen, bevor der geduldig mahlende Kiefer ihn in Stücke zersägt hatte. Seine großen, ausdruckslosen Augen, einen halben Meter voneinander entfernt, starrten seinen Vernichter an, obwohl höchstwahrscheinlich in der Finsternis der Tiefe kein Geschöpf das andere sehen konnte.
Das ganze Ausstellungsstück war über dreißig Meter lang und jetzt von einem Aluminiumkäfig umgeben, an dem der Hebekran befestigt war. Alles war bereit, man wartete nur auf die Weisung der Overlords. Sullivan hoffte, daß sie schnell handeln würden; der Aufschub begann unbehaglich zu werden.
Jemand war aus dem Büro in den hellen Sonnenschein hinausgetreten, offenbar um ihn zu suchen. Sullivan erkannte seinen Sekretär und ging ihm entgegen. „Nun, Bill, was ist los?“
Der andere hielt ein Fernschreiben in der Hand und sah sehr erfreut aus. „Gute Nachricht, Herr Professor. Man ehrt uns. Der Oberkontrolleur möchte selbst herkommen und sich unser Werk ansehen, ehe es verfrachtet wird. Denken Sie nur, was das für eine Reklame für uns ist! Das wird uns sehr nützen, wenn wir neue Zuwendungen beantragen. Ich hatte auf so etwas gehofft.“
Professor Sullivan schluckte heftig. Er hatte nichts gegen Reklame, aber diesmal fürchtete er, es könne zuviel des Guten werden.
Karellen stand neben dem Kopf des Wals und blickte zu dem großen, plumpen Maul und den mit Elfenbeinzähnen besetzten Kiefern auf. Sullivan, der sein Unbehagen verbarg, fragte sich, was der Oberkontrolleur wohl denken mochte. Sein Verhalten hatte auf keinen Argwohn schließen lassen, und der Besuch war leicht als ganz normal zu erklären. Aber Sullivan würde froh sein, wenn er vorbei wäre.
„Wir haben nicht so große Geschöpfe wie diese auf unserem Planeten“, sagte Karellen. „Das ist einer der Gründe, warum wir Sie gebeten haben, diese Gruppe zu schaffen. Meine — hm — Landsleute werden sie sehr aufregend finden.“
„Ich nahm an“, erwiderte Sullivan, „daß Sie bei Ihrer niedrigen Schwerkraft einige sehr große Tiere hätten. Sehen Sie doch, wieviel größer Sie sind als wir!“
„Ja, aber wir haben keine Ozeane. Und wenn es um die Größe geht, kann das Land nie mit dem Meer wetteifern.“
Das war durchaus richtig, dachte Sullivan. Und soviel er wußte, war dies eine bisher unbekannte Tatsache über die Welt der Overlords. Das würde den verwünschten Jan sehr interessieren.
In diesem Augenblick saß der junge Mann in einer einen Kilometer entfernten Baracke und beobachtete besorgt durch ein Fernglas die Besichtigung. Er sagte sich, daß nichts zu fürchten sei. Auch bei noch so eingehender Besichtigung des Wals konnte dessen Geheimnis nicht entdeckt werden. Aber es gab immerhin die Möglichkeit, daß Karellen irgend etwas ahnte — und mit ihnen spielte.
Dieser Verdacht steigerte sich bei Sullivan, als der Oberkontrolleur in den höhlenartigen Rachen des Wals blickte.
,In Ihrer Bibel“, sagte Karellen, „steht eine bemerkenswerte Geschichte von einem hebräischen Propheten, einem gewissen Jonas, der von einem Walfisch verschluckt und wohlbehalten an Land getragen wurde, nachdem er von einem Schiff ins Meer geworfen worden war. Glauben Sie, daß eine solche Sage auf Tatsachen beruhen könnte?“
„Ich glaube“, erwiderte Sullivan vorsichtig, „daß es wirklich einmal vorgekommen sein kann, daß ein Walfischfänger verschluckt und dann, ohne Schaden genommen zu haben, wieder ausgespien wurde. Natürlich, wenn er länger als einige Sekunden in dem Wal gewesen wäre, würde er erstickt sein. Und er muß großes Glück gehabt haben, daß er nicht von den Zähnen erfaßt wurde. Es ist eine fast unglaubliche Geschichte, aber nicht ganz unmöglich.“
„Sehr interessant“, sagte Karellen. Er blickte noch einen Augenblick auf den riesigen Kiefer, dann trat er zu dem Polypen, um ihn ebenfalls zu besichtigen. Sullivan hoffte, daß Karellen seinen Seufzer der Erleichterung nicht hörte.
„Wenn ich gewußt hätte, was ich durchmachen müßte“, sagte Professor Sullivan, „hätte ich Sie aus meinem Büro hinausgeworfen, sobald Sie den Versuch machten, mich mit Ihrem Wahnsinn anzustecken.“
„Es tut mir leid“, erwiderte Jan, „aber wir sind ja glücklich davongekommen.“
„Ich hoffe es. Jedenfalls alles Gute! Wenn Sie sich anders besinnen wollen, so haben Sie ja noch wenigstens sechs Stunden Zeit.“
„Ich brauche sie nicht. Nur Karellen kann mich jetzt aufhalten. Ich danke Ihnen für alles, was Sie getan haben. Wenn ich je zurückkomme und ein Buch über die Overlords schreibe, werde ich es Ihnen widmen.“
„Das wird mir viel nützen“, brummte Sullivan. „Dann bin ich schon viele Jahre tot.“ Zu seiner Überraschung und leisen Bestürzung, denn er war kein sentimentaler Mann, bemerkte er, daß dieser Abschied ihm naheging. Er hatte Jan in den Wochen, da sie zusammen Pläne schmiedeten, liebgewonnen. Überdies hatte er angefangen zu fürchten, daß er vielleicht Hilfestellung für einen komplizierten Selbstmord leistete.
Er hielt die Leiter, als Jan in das große Maul hineinkletterte, wobei er sorgfältig eine Berührung der Zahnreihen vermied Im Licht der Taschenlampe sah Sullivan, wie Jan sich umdrehte und winkte, ehe er in der Höhle verschwand. Man hörte das Geräusch der sich öffnenden und wieder schließenden Luftschleuse, und danach herrschte Stille.
Im Mondlicht, das den erstarrten Kampf in ein Bild aus einem Alptraum verwandelte, kehrte Professor Sullivan in sein Büro zurück. Er überlegte, was er getan hatte und wohin es führen konnte. Aber das würde er natürlich nie erfahren. Jan würde vielleicht eines Tages wieder hier über diesen Boden gehen, nachdem er nicht mehr als ein paar Monate seines Lebens dafür hingegeben hatte, zur Heimat der Overlords zu reisen und wieder zur Erde zurückzukehren. Gleichviel, falls er dies tat, würde es jenseits der unüberschreitbaren Zeitgrenze sein, denn es wäre erst in achtzig Jahren.
Die Lichter in dem kleinen Metallzylinder flammten auf, sobald Jan die Innentür der Luftschleuse geschlossen hatte. Er ließ sich keine Zeit zum Überlegen, sondern machte sich sofort an die routinemäßige Kontrolle, die er bereits in allen Einzelheiten ausgearbeitet hatte. Alle Vorräte und Bedarfsgegenstände waren schon vor Tagen verladen worden, aber die endgültige Kontrolle würde ihn in die richtige Verfassung versetzen, indem sie ihm die Gewißheit gab, daß nichts ungetan geblieben war.