Gegen die Politik der Overlords hatte es auch manchen passiven Widerstand gegeben. Gewöhnlich hatte Karellen damit fertig werden können, indem er die Beteiligten ihre eigenen Wege gehen ließ, bis sie entdeckten, daß sie sich durch ihre Weigerung, mitzuarbeiten, nur selber schadeten. Nur einmal hatte er unmittelbare Schritte gegen eine widerspenstige Regierung unternommen.
Seit mehr als hundert Jahren war die Republik Südafrika der Mittelpunkt von Rassenkämpfen gewesen. Männer guten Willens auf beiden Seiten hatten eine Brücke zu bauen versucht, aber vergeblich — Furcht und Vorurteile waren zu tief eingewurzelt, um irgendeine Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wechselnde Regierungen hatten sich nur durch den Grad ihrer Unduldsamkeit unterschieden. Das Land war durch den Haß und die Saat der Bürgerkriege vergiftet.
Als sich zeigte, daß kein Versuch gemacht würde, die Rassenvorurteile zu beseitigen, erließ Karellen eine Warnung. Darin wurde nur Datum und Stunde genannt, nichts weiter. Besorgnis entstand, aber wenig Furcht oder Panik, denn niemand glaubte, daß die Overlords eine gewaltsame oder zerstörende Maßnahme ergreifen würden, die Unschuldige und Schuldige gleichermaßen träfe.
Das geschah auch nicht. Es ereignete sich nichts weiter, als daß die Sonne, als sie den Meridian von Kapstadt überschritt, er losch. Es blieb nur ein blaßvioletter Körper übrig, der weder Wärme noch Licht spendete. Irgendwie war vom Weltraum her das Sonnenlicht durch zwei gekreuzte Felder polarisiert worden, so daß keine Strahlungen hindurchgehen konnten. Das betroffene Gebiet war fünfhundert Kilometer breit und völlig kreisrund.
Diese Demonstration dauerte dreißig Minuten. Das genügte. Am nächsten Tag kündigte die Regierung von Südafrika an, daß der weißen Minderheit die vollen Bürgerrechte zurückgegeben würden.
Abgesehen von solchen vereinzelten Zwischenfällen, nahm die menschliche Rasse die Overlords als Teil der natürlichen Ordnung der Dinge hin. In überraschend kurzer Zeit hatte sich die anfängliche Bestürzung gelegt, und die Welt wandte sich wieder ihren Geschäften zu. Nur eine stumme Erwartung blieb zurück, gleichsam ein stillschweigendes Umherspähen: Die Menschheit hoffte darauf, daß die Overlords sich zeigen und aus ihren schimmernden Schiffen herniedersteigen würden.
Fünf Jahre später wartete man noch immer. Das, dachte Stormgren, war die Ursache aller Schwierigkeiten.
Der übliche Kreis von Schaulustigen mit gezückten Kameras war versammelt, als Stormgrens Auto auf den Flugplatz fuhr. Der Generalsekretär tauschte einige abschließende Worte mit seinem Stellvertreter, ergriff seine Aktentasche und ging durch die Reihen der Zuschauer.
Karellen ließ ihn nie lange warten. Man hörte ein plötzliches „Oh!“ in der Menge, und eine silberne Kugel vergrößerte sich mit atemberaubender Schnelligkeit am Himmel über ihnen. Der Luftzug zerrte an Stormgrens Kleidern, als das kleine Schiff in fünfzig Metern Entfernung anhielt, wenige Zentimeter über dem Boden schwebend, als fürchte es eine Besudelung durch die Erde. Während Stormgren sich langsam vorwärtsbewegte, sah er, wie die nahtlose Metallhülle sich faltete; gleich darauf erschien vor ihm die Öffnung, die die größten Gelehrten der Erde so sehr in Erstaunen versetzt hatte. Er ging durch sie hindurch in den einzigen, matt erleuchteten Raum des Schiffes. Der Eingang verschloß sich selbsttätig wieder, als wäre er nie gewesen, und sperrte alle Geräusche und jeden Blick ab.
Fünf Minuten später öffnete er sich von neuem. Stormgren hatte keine Bewegung gespürt, wußte aber, daß er sich jetzt fünfzig Kilometer über der Erde befand, tief im Herzen von Karellens Schiff. Er war in der Welt der Overlords; rings um ihn her gingen sie ihren geheimnisvollen Geschäften nach. Er war näher an sie herangekommen als je ein anderer Mensch; doch er wußte nicht mehr über ihre körperliche Beschaffenheit als irgendeiner von den Millionen Erdbewohnern.
Der kleine Konferenzraum am Ende des kurzen Verbindungsganges war unmöbliert, abgesehen von dem einzigen Stuhl und dem Tisch unter dem Bildschirm. Wie beabsichtigt, verriet er nicht das geringste über die Geschöpfe, die ihn gebaut hatten. Der Bildschirm war jetzt so leer, wie er immer gewesen war. Manchmal hatte sich Stormgren in seinen Träumen eingebildet, daß der Bildschirm plötzlich zum Leben erwache und das Geheimnis, das die ganze Erde marterte, enthülle. Aber der Traum war nie Wirklichkeit geworden; hinter jenem dunklen Rechteck lag tiefstes Geheimnis. Aber dort waren auch Macht und Weisheit und vielleicht vor allem eine große und wohlwollende Zuneigung zu den kleinen Geschöpfen, die unten auf dem Planeten umherkrabbelten.
Aus dem verborgenen Gitter ertönte jene ruhige, niemals überstürzte Stimme, die Stormgren so gut kannte, obwohl die Erde sie in ihrer Geschichte nur einmal gehört hatte. Ihre Tiefe und ihr Klang gaben den einzigen vorhandenen Fingerzeig auf Karellens körperliche Beschaffenheit, denn sie hinterließ einen überwältigenden Eindruck von absoluter Größe. Karellen war groß, vielleicht viel größer als ein Mensch. Allerdings hatten einige Gelehrte, nachdem sie die Bandaufnahme seiner einzigen Rede analysiert hatten, die Mutmaßung geäußert, daß es die Stimme einer Maschine sei. Aber das vermochte Stormgren nicht zu glauben.
„Also, Rikki, ich habe Ihr kleines Interview mit angehört. Was halten Sie von diesem Wainwright?“
„Er ist ein ehrenhafter Mann, wenn auch viele seiner Anhänger das nicht sind. Was sollen wir mit ihm machen? Die Freiheitsliga selbst ist nicht gefährlich, aber einige ihrer Radikalen treten offen für Gewalttätigkeit ein. Ich habe überlegt, ob ich einen Posten vor meinem Hause aufstellen soll. Aber ich hoffe, daß es nicht nötig ist.“
Karellen wich dieser Frage in der aufreizenden Art aus, die er bisweilen hatte. „Die Einzelheiten über den Weltbund sind jetzt seit vier Wochen bekannt. Haben sich die sieben Prozent, die nicht mit mir einverstanden sind, oder die zwölf Prozent, die sich nicht schlüssig werden können, wesentlich vermehrt?“
„Noch nicht. Doch das ist ohne Bedeutung. Aber was mich beunruhigt, ist das auch unter ihren Anhängern vorhandene allgemeine Gefühl, daß es Zeit sei, dieser Geheimhaltung ein Ende zu machen.“
Karellens Seufzer war technisch vollkommen, jedoch fehlte es ihm irgendwie an Überzeugung. „Das ist auch Ihr Gefühl, nicht wahr?“
Die Frage war so rhetorisch, daß Stormgren sie unbeantwortet ließ. „Ich frage mich, ob Sie wirklich einsehen“, fuhr er ernsthaft fort, „wie sehr diese Sachlage meine Arbeit erschwert?“
„Sie nützt der meinen auch nicht gerade“, erwiderte Karellen lebhaft „lch wünschte, daß die Menschen mich nicht mehr für einen Diktator hielten und sich daran erinnerten, daß ich nur als Zivilbeamter eine Kolonialpolitik durchzuführen versuche, an deren Gestaltung ich nicht mitgewirkt habe.“
Das sei eine recht annehmbare Erklärung, dachte Stormgren, fragte sich aber, wie weit sie der Wahrheit entsprach. „Können Sie uns nicht wenigstens irgendeinen Grund für die Geheimhaltung angeben? Da wir sie nicht begreifen, ärgert sie uns und gibt Anlaß zu endlosen Gerüchten.“
Karellen stieß sein dröhnendes, tiefes Lachen aus, das eigentlich zu klangvoll war, um ganz menschlich zu sein.
„Was sieht man jetzt in mir? Behauptet die Robotertheorie noch das Feld? Ich möchte lieber eine Gruppe von Elektronenröhren sein als so etwas wie ein Tausendfüßler — jawohl, diese Zeichnung habe ich in der gestrigen Chicago Tribüne‹ gesehen. Ich gedenke, das Original anzufordern.“
Stormgren schob die Lippen vor. Er fand, daß Karellen seine Pflichten zuweilen zu leicht nahm. „Ich spreche im Ernst“, sagte er vorwurfsvoll.
„Mein lieber Rikki“, gab Karellen zurück, „nur weil ich die menschliche Rasse nicht ernst nehme, habe ich mir einige Bruchstücke meiner einstmals erheblichen geistigen Gaben bewahren können.“