Gedankenübertragung, wie Sie es genannt haben, ist etwas Ähnliches. Unter angemessenen Umständen können die Gedankenwelten einiger Menschen miteinander verschmelzen und sich ihren Inhalt gegenseitig mitteilen; sie nehmen die Erinnerung an dieses Erlebnis mit, wenn sie wieder isoliert sind. In der höchsten Form ist diese Kraft nicht den gewöhnlichen Begrenzungen durch Zeit und Raum unterworfen. Daher konnte Jean aus dem Wissen ihres ungeborenen Sohnes schöpfen.“
Ein langes Schweigen folgte, während George mit diesen verblüffenden Gedanken rang. Die Idee begann Formen anzunehmen. Es war eine unglaubliche Idee, aber sie hatte ihre eigene, angestammte Logik. Und sie erklärte, wenn dieses Wort für et was so Unfaßliches anzuwenden war, alles, was seit jenem Abend in Rupert Boyces Hause geschehen war. Sie erklärte auch, wie er jetzt erkannte, Jeans eigene Neugier nach dem Übernormalen.
„Wodurch wurde dies in Gang gesetzt?“ fragte George. „Und wohin wird es führen?“
„Das können wir nicht beantworten. Aber es gibt viele Rassen im Universum, und einige von ihnen entdeckten diese Kräfte, lange bevor Ihre Art — oder die meine — auf dem Schauplatz erschien. Sie haben darauf gewartet, daß Sie sich ihnen anschließen, und jetzt ist diese Zeit gekommen.“
„Und wann kommt Ihr Auftritt?“
„Wahrscheinlich haben Sie, gleich den meisten Menschen, uns immer als Ihre Herren und Meister angesehen. Das stimmt nicht. Wir sind nie mehr als Wächter gewesen, die eine Pflicht erfüllt haben, die uns von — oben auferlegt worden war. Diese Pflicht ist schwer zu erklären. Vielleicht können Sie sich uns am besten als Hebammen vorstellen, die einer schwierigen Geburt beiwohnen. Wir helfen dabei, etwas Neues und Wundervolles zur Welt zu bringen.“
Raschaverak zögerte; einen Augenblick schien es, als fehlten ihm die Worte. „Ja, wir sind die Hebammen. Aber wir selbst sind unfruchtbar.“
In diesem Augenblick wußte George, daß er Zeuge einer Tragödie war, die seine eigene übertraf. Es war unglaublich, und doch irgendwie richtig. Trotz all ihrer Kräfte und ihrer Macht waren die Overlords in irgendeiner engen Sackgasse der Entwicklung gefangen. Hier war eine große, edle Rasse, in fast allen Dingen der Menschheit überlegen, und doch hatte sie keine Zukunft und war sich dessen bewußt. Angesichts dieser Tragödie erschienen George seine eigenen Probleme auf einmal alltäglich.
„Jetzt weiß ich“, sagte er, „warum Sie Jeffrey beobachtet haben. Er war das Versuchskaninchen bei diesem Experiment.“
„Sehr richtig, obwohl das Experiment außerhalb unserer Kontrolle war. Wir haben es nicht begonnen, wir haben nur versucht, es zu beobachten. Wir haben uns nicht eingemischt, außer wenn wir es mußten.“
Ja, dachte George, die Sturmflut. Man durfte nie ein wertvolles Exemplar zerstören lassen. Dann schämte er sich seiner selbst. Eine solche Bitterkeit war unwürdig.
„Ich habe nur noch eine weitere Frage“, sagte er. „Was sollen wir mit unseren Kindern machen?“
„Freuen Sie sich an ihnen, solange Sie können“, erwiderte Raschaverak sanft, „sie werden Ihnen nicht lange gehören.“
Das war ein Rat, den man allen Eltern zu jeder Zeit hätte geben können, aber jetzt barg er eine Drohung und ein Grauen wie niemals zuvor.
5
Es kam die Zeit, da die Welt von Jeffreys Träumen nicht mehr deutlich von seinem Alltagsleben getrennt war. Er besuchte die Schule nicht mehr, und auch für Jean und George waren die Lebensgewohnheiten völlig verändert, wie sie es bald in der ganzen Welt sein würden.
Sie gingen all ihren Freunden aus dem Wege, als wäre es ihnen schon jetzt bewußt, daß bald niemand mehr Sympathie für sie haben würde. In der Stille der Nacht, wenn wenige Menschen unterwegs waren, machten sie zuweilen lange Spaziergänge. Sie waren sich jetzt näher als je seit den ersten Tagen ihrer Ehe, wiedervereinigt angesichts der noch unbekannten Tragödie, die sie bald überwältigen würde.
Zuerst hatten sie sich schuldbewußt gefühlt, weil sie die schlafenden Kinder im Hause allein ließen, aber jetzt sahen sie ein, daß Jeff und Jennifer sich selbst helfen konnten, weit besser als ihre Eltern es vermochten. Und natürlich würden die Overlords sie auch bewachen. Dieser Gedanke war beruhigend. George und Jean fühlten, daß sie mit ihrem Problem nicht allein waren, sondern daß weise und teilnahmsvolle Augen ihre Wache teilten.
Jennifer schlief: Kein anderes Wort konnte den Zustand beschreiben, in dem sie sich befand. Dem Aussehen nach noch ein Säugling, strahlte sie eine so beängstigende Kraft aus, daß Jean es nicht mehr ertragen konnte, das Kinderzimmer zu betreten.
Sie brauchte es auch nicht zu tun. Das Wesen, das Jennifer Anne Greggson gewesen war, hatte sich noch nicht voll entwickelt, aber selbst in seinem Verpuppungszustand beherrschte es seine Umgebung so weit, daß es selbst für seine Bedürfnisse sorgen konnte. Jean hatte nur einmal versucht, Jennifer zu füttern, ohne Erfolg. Das Kind zog es vor, zu selbstgewählten Zeiten und auf seine eigene Art Nahrung aufzunehmen.
Denn die Nahrung verschwand in ständigem, gleichmäßigem Strom aus dem Kühlschrank, und doch verließ Jennifer Anne ihr Bett nie.
Das Klappern hatte aufgehört, und das verschmähte Spielzeug lag auf dem Fußboden des Kinderzimmers, wo niemand es anzurühren wagte, weil Jennifer Anne es vielleicht wieder benutzen wollte. Zuweilen ließ Jennifer die Möbel sich bewegen, so daß sie merkwürdige Muster bildeten, und George kam es vor, als ob die selbstleuchtenden Muster an der Wand jetzt heller schimmerten als früher.
Jennifer machte keine Unruhe. Sie bedurfte der Hilfe und Liebe ihrer Eltern nicht mehr. Es konnte nicht mehr sehr lange dauern, und in dieser Zwischenzeit klammerten sie sich verzweifelt an Jeff.
Er veränderte sich ebenfalls, aber er kannte sie noch. Der Knabe, dessen Wachstum sie seit den formlosen Nebeln seines Werdens beobachtet hatten, verlor seine Persönlichkeit, löste sich Stunde für Stunde vor ihren Augen auf. Aber manchmal sprach er noch mit ihnen wie früher und redete von seinen Spielsachen und Freunden, als wäre ihm nicht bewußt, was vor ihm lag. Aber oft sah er sie auch nicht, und kein Anzeichen verriet, ob er ihre Anwesenheit bemerkte. Er schlief nicht mehr, sie jedoch mußten schlafen, obwohl sie das überwältigende Verlangen hatten, von diesen letzten verbleibenden Stunden möglichst wenige zu verschwenden.
Anders als Jennifer schien er keine übernatürliche Macht über körperliche Gegenstände zu besitzen, weil er, da er schon fast erwachsen war, ihrer weniger bedurfte. Seine Eigenart lag ganz und gar in seinem geistigen Leben, von dem die Träume jetzt nur einen kleinen Teil bildeten. Er stand stundenlang ganz still, mit festgeschlossenen Augen, als lausche er auf Töne, die niemand sonst hören konnte. In seinen Geist strömte von irgendwoher ein Wissen ein, das bald das halbgeformte Wesen, das Jeffrey Angus Greggson gewesen war, überwältigen und zerstören würde.
Die Hündin Fey saß neben ihm, blickte mit traurigen, verwunderten Augen zu ihm auf und schien zu fragen, wohin ihr Herr ge gangen wäre und wann er zu ihr zurückkehren würde.
Jeff und Jennifer waren die ersten auf der Welt, aber bald waren sie nicht die einzigen. Wie eine Epidemie sich schnell von Land zu Land verbreitet, befiel die Verwandlung die ganze menschliche Rasse. Sie betraf praktisch keinen, der über zehn Jahre alt war, aber von denen, die jünger waren als zehn Jahre, entkam keiner.
Es war das Ende der Zivilisation, das Ende alles dessen, wofür Menschen seit Beginn der Zeit gekämpft hatten. Im Verlauf von wenigen Tagen hatte die Menschheit ihre Zukunft verloren, denn das Herz jeder Rasse wird zerstört, und ihr Wille, weiterzuleben, wird gebrochen, wenn ihr die Kinder genommen werden.
Es gab keine Panik, wie es noch vor einem Jahrhundert der Fall gewesen wäre. Die Welt war erstarrt, die großen Städte still und schweigsam geworden. Nur die lebenswichtigen Industrien arbeiteten weiter. Es war, als habe der Planet Trauer angelegt und klage um alles, was jetzt nie mehr sein konnte.