Und dann sprach Karellen, wie er es vor jetzt vergessenen Zeiten getan hatte, zum letztenmal zu der Menschheit.
6
„Mein Werk hier ist fast beendet“, sagte Karellens Stimme aus Millionen Radios. „Endlich, nach hundert Jahren, kann ich euch sagen, worin es bestand.
Viele Dinge mußten wir vor euch verbergen, wie wir uns selbst während unseres halben Aufenthalts auf der Erde verborgen haben. Einigen von euch — das weiß ich — erschien diese Geheimhaltung unnötig. Ihr seid an unsere Anwesenheit gewöhnt; ihr könnt euch nicht mehr vorstellen, wie eure Vorfahren sich bei unserm Anblick verhalten hätten. Aber wenigstens sollt ihr den Zweck der Geheimhaltung verstehen und erfahren, daß wir einen Grund für unser Tun hatten.
Das höchste Geheimnis, das wir euch vorenthielten, war der Zweck unseres Kommens, dieser Zweck, über den ihr so endlos gegrübelt habt. Wir konnten es euch nicht früher sagen, denn es war nicht unser eigenes Geheimnis.
Vor hundert Jahren kamen wir zu eurer Welt und retteten euch vor der Selbstzerstörung. Ich glaube nicht, daß irgend jemand diese Tatsache leugnen wird, aber worin diese Selbstzerstörung bestand, habt ihr nie erraten.
Da wir die Atomwaffen und alle anderen tödlichen Spielsachen verboten, die ihr in euren Arsenalen aufhäuftet, war die Gefahr der körperlichen Vernichtung beseitigt. Ihr hieltet das für die einzige Gefahr. Wir wollten euch in diesem Glauben erhalten, aber es war nie die Wahrheit. Die größte Gefahr, die euch drohte, war ganz anderer Art, und sie betraf nicht eure Rasse allein.
Viele Welten sind an den Scheideweg der Atomkraft gekommen, haben die Katastrophe vermieden, haben friedliche und glückliche Zivilisationen aufgebaut und sind dann durch Kräfte völlig zerstört worden, von denen sie nichts wußten. Im zwanzigsten Jahrhundert begannt ihr euch zuerst ernsthaft mit diesen Kräften zu befassen. Deshalb mußten wir handeln.
Das ganze Jahrhundert hindurch hat sich die menschliche Rasse dem Abgrund immer mehr genähert, ohne sein Vorhandensein auch nur zu ahnen. Über diesen Abgrund führt nur eine Brücke. Wenige Rassen haben sie ohne Hilfe je gefunden. Einige sind umgekehrt, solange es noch Zeit war, und haben sowohl die Gefahr als auch die Vollendung vermieden. Ihre Welten sind elyseische Inseln müheloser Zufriedenheit geworden, die in der Geschichte des Universums keine Rolle mehr spielen. Das wäre nie euer Schicksal oder euer Glück gewesen. Dazu war eure Rasse zu lebenskräftig. Sie wäre ins Verderben gestürzt und hätte andere mitgerissen, denn ihr hättet die Brücke nie gefunden.
Ich fürchte, daß fast alles, was ich euch jetzt zu sagen habe, in solchen Gleichnissen ausgedrückt werden muß. Ihr habt für viele der Dinge, die ich euch jetzt sagen möchte, keine Worte, keine Begriffe, und unser eigenes Wissen von ihnen ist auch bedauerlich unvollkommen.
Um zu verstehen, müßt ihr in die Vergangenheit zurückgehen und vieles von dem, was euren Vorfahren vertraut gewesen wäre, was ihr aber vergessen habt, und was wir euch absichtlich vergessen ließen, hervorholen. Denn unser ganzer Aufenthalt hier beruhte auf einer ungeheuren Täuschung, einer Geheimhaltung von Wahrheiten, denen ihr noch nicht ins Gesicht sehen konntet.
In den Jahrhunderten vor unserm Kommen entdeckten eure Gelehrten die Geheimnisse der physikalischen Welt und führten euch von der Dampfkraft zur Atomkraft. Ihr hattet den Aberglauben hinter euch gelassen; die Wissenschaft war die einzige wirkliche Religion der Menschheit. Sie war die Gabe der westlichen Minderheit an die übrige Menschheit, und sie hatte alle anderen Glaubensbekenntnisse zerstört. Die bei unserm Kommen noch vorhanden waren, lagen schon im Sterben. Man hatte das Gefühl, daß die Wissenschaft alles erklären könne: Es gab keine Kräfte, die nicht in ihrem Bereich lagen, keine Ereignisse, für die sie keine endgültige Erklärung geben konnte. Der Ursprung des Universums mochte für immer unbekannt sein, jedoch alles, was seitdem geschehen war, gehorchte den Gesetzen der Physik.
Aber eure Mystiker hatten, obwohl sie in ihren eigenen Wahnvorstellungen befangen waren, einen Teil der Wahrheit gesehen. Es gibt Kräfte des Geistes und Kräfte jenseits des Geistes, die eure Wissenschaft nie in ihren Bau hätte einfügen können, ohne ihn gänzlich zu zerstören. Immer wieder im Lauf der Zeiten hat es zahllose Berichte über seltsame Erscheinungen gegeben, über Poltergeister, Gedankenübertragung, Vorahnung, denen ihr Namen gegeben, die ihr aber nie erklärt habt. Zunächst ließ die Wissenschaft sie unbeachtet, ja, sie leugnete sogar ihr Vorhandensein, trotz allen Zeugnissen aus fünftausend Jahren. Aber sie sind vorhanden, und jede Theorie des Universums muß sie, wenn sie vollständig sein will, einbeziehen.
In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts begannen einige eurer Wissenschaftler diese Dinge zu erforschen. Sie wußten es nicht, aber sie spielten mit dem Deckel der Büchse der Pandora. Die Kräfte, die sie hätten entfesseln können, überstiegen alle Gefahren, die das Atom hätte bringen können. Denn die Physiker hätten nur die Erde zerstören können, die Paraphysiker hätten die Katastrophe auf die Sterne ausgedehnt.
Das durfte nicht zugelassen werden. Ich kann die ganze Beschaffenheit der Gefahr, die ihr darstelltet, nicht erklären. Für uns wäre es keine Bedrohung gewesen, daher verstehen wir es nicht. Sagen wir, ihr hättet ein telepathisches Krebsgeschwür werden können, eine bösartige Geistesveranlagung, die in ihrer unvermeidlichen Auflösung andere und größere Geister vergiftet hätte.
Und deshalb kamen wir zur Erde — wir wurden geschickt. Wir unterbrachen eure Entwicklung auf allen kulturellen Gebieten, be sonders aber verhinderten wir jede ernsthafte Arbeit auf dem Gebiet der übernatürlichen Erscheinungen. Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß wir durch den Gegensatz zwischen unsern Zivilisationen auch alle Formen schöpferischer Leistungen unterbunden haben. Aber das war eine Nebenwirkung und ist nicht von Bedeutung.
Jetzt muß ich euch etwas sagen, was ihr vielleicht sehr überraschend, ja, fast unglaublich finden werdet. Alle diese Möglichkeiten, diese ruhenden Kräfte, besitzen wir nicht und verstehen wir auch nicht. Unser Intellekt ist weit mächtiger als der eure, aber in eurem Geist ist irgend etwas, was uns immer gefehlt hat. Seit wir zur Erde gekommen sind, haben wir euch studiert. Wir haben sehr viel gelernt, und werden noch mehr lernen, aber ich bezweifle, daß wir je die ganze Wahrheit entdecken werden.
Unsere Rassen haben vieles gemeinsam — deshalb wurden wir für diese Aufgabe ausgewählt. Aber in anderer Hinsicht stellen wir die Enden von zwei verschiedenen Entwicklungen dar. Unsere Geister haben das Ende ihrer Entwicklung erreicht, ebenso die euren in ihrer jetzigen Form. Aber ihr könnt den Sprung zur nächsten Stufe machen, und darin liegt der Unterschied zwischen uns. Unsere Möglichkeiten sind erschöpft, die euren aber sind noch ungenutzt. Sie sind in einer Art, die wir nicht verstehen, mit den von mir erwähnten Kräften verknüpft, den Kräften, die jetzt auf eurer Welt erwachen.
Wir haben die Uhr angehalten, wir ließen euch Zeit, während diese Kräfte sich entwickelten, bis sie in die für sie vorbereiteten Kanäle strömen konnten. Was wir getan haben, um euren Planeten zu verbessern, um euren Lebensstandard zu heben, um Gerechtigkeit und Frieden zu bringen, dies alles hätten wir auf jeden Fall getan, nachdem wir einmal gezwungen worden waren, uns in eure Angelegenheiten einzumischen. Aber all diese riesigen Umwandlungen lenkten euch von der Wahrheit ab und dienten daher unserm Zweck.
Wir sind eure Wächter, nichts weiter. Oft mögt ihr auch gefragt haben, welche Stellung meine Rasse in der Hierarchie des Universums einnimmt. Wie wir über euch stehen, so steht irgend etwas über uns und benutzt uns für seine eigenen Zwecke. Wir haben nie entdeckt, was es ist, obwohl wir seit langen Zeiten seine Werkzeuge sind und ihm nicht ungehorsam zu sein wagen. Wieder und im mer wieder haben wir unsere Befehle bekommen, haben uns zu irgendeiner Welt in der frühen Blüte der Zivilisation begeben und haben sie den Weg geführt, den wir nie verfolgen können, den Weg, den ihr jetzt gehen werdet.