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Am Ende des einen Weges standen die Overlords. Sie hatten sich ihre Eigenpersönlichkeit, ihr unabhängiges Ich erhalten; sie besaßen Selbsterkenntnis, und das Fürwort „Ich“ hatte eine Bedeutung in ihrer Sprache. Sie hatten Gefühle, von denen wenigstens einige von der Menschheit geteilt wurden. Aber sie waren, wie Jan jetzt erkannte, in einer Sackgasse gefangen, der sie nie entrinnen konnten. Ihre Gedanken waren zehn- oder vielleicht hundertmal so mächtig wie die der Menschen. Das machte jedoch in der Schlußrechnung keinen Unterschied. Sie waren ebenso hilflos, ebenso überwältigt angesichts des unvorstellbaren Gewirrs einer Milchstraße von hunderttausend Millionen Sonnen und eines Kosmos von hunderttausend Millionen Milchstraßen.

Und am Ende des anderen Weges? Dort waltete der Übergeist, was er auch sein mochte, der im gleichen Verhältnis zum Menschen stand wie der Mensch zur Amöbe. Wie lange hatte er, in sich unendlich, jenseits der Sterblichkeit, eine Rasse nach der andern in sich aufgenommen, als er sich über die Sterne ausbreite te? Hatte auch er Wünsche, hatte er Ziele, die er dunkel spürte, aber vielleicht nie erreichen würde? Jetzt hatte er alles, was die menschliche Rasse je erreicht hatte, in sich aufgenommen. Dies war keine Tragödie, sondern eine Erfüllung. Die Milliarden flüchtiger Bewußtseinsfunken, die die Menschheit bedeutet hatten, flatterten nicht mehr wie Leuchtkäfer gegen die Finsternis. Aber sie hatten nicht völlig vergeblich gelebt.

Der letzte Akt, das wußte Jan, würde noch kommen. Es konnte morgen geschehen oder erst in Jahrhunderten. Selbst die Overlords konnten es nicht mit Sicherheit wissen.

Jetzt verstand er ihre Absicht, verstand, was sie mit den Menschen getan hatten und warum sie noch auf der Erde verweilten. Ihnen gegenüber empfand er eine große Demut und ebenso auch Bewunderung für die unveränderliche Geduld, mit der sie hier so lange gewartet hatten.

Er erfuhr nie alle Zusammenhänge über die seltsame Symbiose zwischen dem Übergeist und seinen Dienern. Nach Raschaveraks Äußerung hatte es in der Geschichte seiner Rasse nie eine Zeit gegeben, in der der Übergeist nicht dagewesen war, obwohl er keinen Gebrauch von ihnen gemacht hatte, bis sie eine wissenschaftliche Zivilisation aufgebaut hatten und den Weltraum durchmessen konnten, um seine Befehle auszuführen.

„Aber warum braucht er Sie?“ fragte Jan. „Bei seiner gewaltigen Macht könnte er doch sicherlich alles tun, was ihm gefällt.“

„Nein“, sagte Raschaverak, „er hat Grenzen. In der Vergangenheit hat er, wie wir wissen, versucht, unmittelbar auf den Geist anderer Rassen einzuwirken und ihre kulturelle Entwicklung zu beeinflussen. Das ist immer mißlungen, vielleicht, weil die Kluft zu groß ist. Wir sind die Vermittler, die Wächter. Oder um eines Ihrer anderen Gleichnisse zu benutzen: Wir bestellen das Feld, bis die Ernte reif ist. Der Übergeist bringt die Ernte ein, und wir gehen an eine andere Aufgabe. Dies ist die fünfte Rasse, deren Aufstieg zur Vollendung wir beobachtet haben. Jedesmal lernen wir etwas mehr.“

„Und es kränkt Sie nicht, daß Sie von dem Übergeist als Werkzeug benutzt werden?“

„Diese Ordnung hat einige Vorteile; außerdem: Niemand mit Intelligenz nimmt Unvermeidliches übel auf.“

Diese Theorie, dachte Jan verschmitzt, war von der Menschheit nie so recht gutgeheißen worden. Es gab Dinge jenseits der Logik, die die Overlords nie verstanden hatten.

„Es erscheint merkwürdig“, sagte Jan, „daß der Übergeist Sie ausgewählt hat, seine Arbeit zu tun, wenn Sie die in der Menschheit ruhenden paraphysischen Kräfte nicht erspüren können. Wie setzt er sich mit Ihnen in Verbindung und macht seine Wünsche bekannt?“

„Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann, und ich kann Ihnen auch nicht sagen, aus welchem Grunde ich Ihnen diese Tatsachen vorenthalten muß. Eines Tages werden Sie vielleicht etwas von der Wahrheit erfahren.“

Jan grübelte einen Augenblick hierüber, wußte aber, daß es nutzlos war, weitere derartige Fragen zu stellen. Er mußte das Thema wechseln und hoffen, später Anhaltspunkte zu finden. „Aber da ist noch etwas anderes, was Sie nie erklärt haben“, fuhr er fort. „Als Ihre Rasse in ferner Vergangenheit das erstemal auf die Erde kam — was ist damals schiefgegangen? Warum sind Sie für uns das Symbol des Bösen und des Schreckens geworden?“

Raschaverak lächelte. Er konnte das nicht so vollendet wie Karellen, aber es war eine gute Nachahmung. „Das hat niemand je erraten, und Sie werden jetzt begreifen, warum wir es Ihnen nie sagen konnten. Nur ein einziges Ereignis konnte einen solchen Eindruck auf die Menschheit gemacht haben. Und dieses Ereignis lag nicht am Morgen der Geschichte, sondern an ihrem Ende.“

„Was meinen Sie?“ fragte Jan.

„Als unsere Schiffe vor anderthalb Jahrhunderten an Ihrem Himmel erschienen, war es die erste Begegnung unserer beiden Rassen, obwohl wir Sie natürlich aus der Entfernung studiert hatten. Und doch fürchteten und erkannten Sie uns, wie wir es vorausgesehen hatten. Es war nicht eigentlich eine Erinnerung. Sie haben schon Beweise dafür bekommen, daß Zeit etwas Verwickelteres ist, als Ihre Wissenschaft es sich je vorgestellt hat. Denn diese Erinnerung betraf nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft, also jene letzten Jahre, als Ihre Rasse wußte, daß alles beendet war. Wir taten, was wir konnten, aber es war kein leichtes Ende. Und weil wir dabei waren, wurden wir mit dem Tode Ihrer Rasse in Verbindung gebracht. Ja, auch wenn es zehntausend Jahre später geschah! Es war, als ob ein verzerrtes Echo den geschlossenen Kreis der Zeit zurückgelaufen wäre, von der Zukunft in die Vergangenheit. Nennen Sie es nicht eine Erinnerung, sondern eine Vorahnung.“

Dieser Gedanke war kaum zu fassen, und einen Augenblick schlug sich Jan schweigend mit ihm herum. Und doch hätte er vorbereitet sein müssen, denn er hatte bereits Beweise genug bekommen, daß Ursache und Wirkung ihre normale Folge umkehren konnten.

Es mußte so etwas wie ein Rassengedächtnis geben, und dieses Gedächtnis war irgendwie unabhängig von der Zeit. Für dieses Gedächtnis waren Zukunft und Vergangenheit ein Ganzes. Daher hatten vor Tausenden von Jahren die Menschen schon ein verzerrtes Bild der Overlords in einem Nebel von Angst und Schrecken gesehen.

„Jetzt verstehe ich“, sagte der letzte Mensch.

Der letzte Mensch! Jan fand es sehr schwer, sich als den letzten Menschen zu sehen. Als er in den Weltraum aufgebrochen war, hatte er die Möglichkeit einer ewigen Verbannung von der menschlichen Rasse in Kauf genommen, und die Einsamkeit hatte ihn noch nicht überwältigt. Im Lauf der Jahre würde ihn vielleicht die Sehnsucht, ein anderes menschliches Wesen zu sehen, überkommen, aber im Augenblick hinderte ihn die Gesellschaft der Overlords, sich völlig einsam zu fühlen.

Noch vor zehn Jahren hatte es Menschen auf der Erde gegeben, aber sie waren entartete Überlebende gewesen, und Jan hatte nichts verloren, daß er ihnen nicht begegnete. Aus Gründen, die die Overlords nicht erklären konnten, die aber Jan auf psychologischem Gebiet vermutete, waren keine Kinder geboren worden, die die fortgegangenen ersetzt hätten. Der Homo sapiens war ausgestorben.

Vielleicht lag in einer der noch erhaltenen Städte das Manuskript irgendeines späten Langarmaffen, eines Gibbon, der über die letzten Tage der menschlichen Rasse berichtete. Wenn es sich so verhielt, wußte Jan nicht einmal, ob er sich die Mühe machen würde, es zu lesen. Raschaverak hatte ihm bereits alles erzählt, was er zu wissen wünschte.

Die Menschen, die sich nicht selbst vernichteten, hatten Vergessen in immer fieberhafterer Tätigkeit, in wildem und selbstmörderischem Sport gesucht, der oft von kleineren Kriegen nicht zu unterscheiden war. Da die Bevölkerung rasch abnahm, hatten sich die alternden Überlebenden zusammengefunden, eine geschlagene Armee, die ihre Reihen fester schloß, als sie ihren letzten Rückzug antrat.