Die Leuchtspur des Schiffes wurde matter und erstarb irgendwo jenseits der Bahn des Mars. Diesen Weg, dachte Jan, war von allen Milliarden Menschen, die auf der Erde gelebt hatten und hier gestorben waren, er allein entlanggefahren. Und niemand würde ihn jemals wieder fahren.
Die Welt gehörte ihm. Alles was er brauchte, alle materiellen Besitztümer, die irgend jemand sich wünschen konnte, standen ihm zur Verfügung. Aber er hatte kein Interesse mehr daran. Er fürchtete weder die Einsamkeit des verlassenen Planeten noch diejenigen, die in den letzten Augenblicken hier verweilten, bevor sie ihre unbekannte Erbschaft antreten würden. Jan erwartete nicht, daß er und seine Probleme in dem unfaßlichen Schwall jenes Aufbruchs noch lange vorhanden sein würden.
Das war gut. Er hatte alles getan, was er gern tun wollte, und ein zielloses Leben auf dieser leeren Welt hinzuziehen, wäre unerträglich. Er hätte mit den Overlords weggehen können, aber zu welchem Zweck? Denn er wußte, wie kein anderer je, daß Karellen recht hatte, wenn er sagte: „Die Sterne sind nicht für den Menschen.“
Er machte kehrt und ging durch den riesigen Eingang des Overlord-Stützpunktes. Die Größe machte auf ihn gar keinen Eindruck: Das Riesenhafte hatte keine Gewalt mehr über seinen Geist. Die Lichter brannten rötlich, gespeist von Energien, die sie noch jahrhundertelang in Betrieb erhalten konnten. Zu beiden Seiten standen Maschinen, die die Overlords bei ihrem Rückzug hiergelassen hatten und deren Geheimnisse er nie erfahren würde. Er ging an ihnen vorbei und stieg unbeholfen die großen Stufen hinauf, bis er den Kontrollraum erreicht hatte.
Hier weilte noch der Geist der Overlords: Ihre Maschinen lebten noch und führten die Befehle ihrer jetzt weit entfernten Herren aus. Jan überlegte, was er den Informationen, die sie bereits in den Raum hinausschleuderten, hinzufügen könne.
Er stieg auf den großen Stuhl und machte es sich so bequem wie möglich. Das schon in Betrieb genommene Mikrophon wartete auf ihn. Irgend etwas wie eine Fernsehkamera mußte ihn beobachten, aber er konnte ihren Standort nicht entdecken.
Hinter dem Pult mit seinem ausdruckslosen Armaturenbrett blickten die breiten Fenster in die sternenhelle Nacht hinaus, über ein Tal, das unter einem runden Mond schlummerte, und bis zu der fernen Kette der Berge. Ein Fluß wand sich durch das Tal, da und dort aufglitzernd, wo das Mondlicht auf eine Stelle wirbelnden Wassers traf. Es war alles so friedlich. Es mochte bei der Geburt des Menschen so gewesen sein, wie es jetzt bei seinem Ende war.
Da draußen, hinter unbekannten Millionen Kilometern, wartete Karellen. Es war ein sonderbarer Gedanke, daß das Schiff der Overlords fast so schnell von der Erde wegstürmte, wie Jans Signal ihm nacheilen konnte. Fast, aber nicht ganz so schnell. Es würde eine lange Jagd sein, aber seine Worte würden den Oberkontrolleur einholen, und damit hätte er seine Schuld abgetragen.
Wieviel von diesen Geschehnissen, fragte sich Jan, hatte Karellen geplant, und wieviel war eine meisterhafte Improvisation? Hatte der Oberkontrolleur ihn absichtlich vor fast einem Jahrhundert in den Weltraum entkommen lassen, damit er zurückkehren und die Rolle spielen könne, die er jetzt verkörperte? Nein, das erschien zu phantastisch. Aber Jan war jetzt davon überzeugt, daß Karellen in einen ungeheuren und schwierigen Plan verwickelt gewesen war. Selbst während er ihm diente, studierte Karellen den Übergeist mit allen ihm zur Verfügung stehenden Apparaten. Jan vermutete, daß nicht nur wissenschaftliche Forscherlust den Oberkontrolleur antrieb. Vielleicht träumten die Overlords davon, eines Tages ihrer sonderbaren Knechtschaft zu entrinnen, wenn sie genug über die Mächte, denen sie dienten, erfahren hätten.
Daß Jan durch das, was er jetzt tat, dieses Wissen vermehren könnte, erschien kaum glaublich. „Berichten Sie uns, was Sie sehen“, hatte Raschaverak gesagt. „Das Bild, das Ihre Augen erreicht, wird durch unsere Kameras verdoppelt werden. Aber die Botschaft, die in Ihr Gehirn eindringt, kann ganz anders sein und könnte uns viel sagen.“ Nun, er würde sein Bestes tun.
„Noch nichts zu berichten“, begann er. „Vor wenigen Minuten sah ich die Spur Ihres Schiffes am Himmel verschwinden. Der Mond ist jetzt gerade voll, und fast die Hälfte der gewohnten Seite hat sich jetzt von der Erde abgewandt, aber ich vermute, das wissen Sie schon.“
Jan hielt inne und kam sich etwas töricht vor. In dem, was er jetzt tat, war etwas Ungereimtes, ja fast Widersinniges. Diese Stunde war die Klimax der ganzen geschichtlichen Zeit, und doch hätte er ebensogut ein Rundfunksprecher bei einem Rennen oder einem Boxkampf sein können. Dann zuckte er die Schultern und schob diesen Gedanken beiseite. In allen großen Augenblicken, nahm er an, hatte das Pathos nie gefehlt, und sicherlich konnte nur er jetzt seine Anwesenheit spüren.
„In der letzten Stunde hat es drei leichte Erdbeben gegeben“, fuhr er fort. „Die Herrschaft über die Drehung der Erde muß wunderbar sein, aber nicht ganz vollkommen. Sie müssen wissen, Karellen, ich finde es sehr schwer, irgend etwas zu sagen, was Ihre Instrumente Ihnen nicht schon gemeldet haben. Es wäre nützlich gewesen, wenn Sie mir angedeutet hätten, was zu erwarten ist, und wenn Sie mir gesagt hätten, wie lange ich vielleicht warten muß. Wenn sich nichts ereignet, berichte ich in sechs Stunden wieder, wie wir vereinbart haben.
Hallo! Jene müssen darauf gewartet haben, daß Sie fortgehen. Hier geschieht etwas. Die Sterne werden matter. Es ist, als ob eine große Wolke heraufzöge und sehr schnell den ganzen Himmel bedeckte. Aber es ist keine gewöhnliche Wolke. Sie scheint irgendein Gerippe zu haben. Ich sehe ein dunstiges Netz von Linien und Bändern, die dauernd ihre Stellung ändern. Es ist fast, als hätten die Sterne sich in einem gespenstischen Spinnennetz verfangen.
Das ganze Netz beginnt zu glühen, von Lichtern zu zucken, als wäre es lebendig. Und ich vermute, das ist es auch: Oder ist es irgend etwas, so hoch über dem Leben, wie das Leben über der organischen Welt steht?
Das Leuchten scheint auf einen anderen Teil des Himmels überzugreifen — warten Sie eine Minute, während ich mich ans andere Fenster begebe.
Ja, ich hätte es mir denken können. Das ist eine große, brennende Säule, wie ein Feuerbaum, die über dem westlichen Horizont aufragt. Sie ist weit entfernt, direkt auf der anderen Seite der Welt. Ich weiß, wo es herrührt: ›Sie‹ sind endlich unterwegs, um ein Teil des Übergeistes zu werden. Ihre Probezeit ist beendet; sie lassen die letzten stofflichen Überbleibsel zurück.
Während sich das Feuer von der Erde aufwärts ausbreitet, kann ich sehen, wie das Netz fester und weniger dunstig wird. An manchen Stellen sieht es fast geschlossen aus, aber die Sterne scheinen noch matt hindurch.
Eben habe ich etwas begriffen. Es ist nicht genau das gleiche, aber das, was ich über Ihrer Welt emporsteigen sah, war diesem hier sehr ähnlich. War das ein Teil des Übergeistes? Ich nehme an, Sie haben die Wahrheit vor mir geheimgehalten, damit ich keine vorgefaßte Meinung habe und ein vorurteilsloser Beobachter bin. Ich möchte wissen, was Ihre Kameras Ihnen jetzt zeigen, um es mit dem zu vergleichen, was mein Geist mir vorspiegelt.
Spricht es so zu Ihnen, Karellen, in Farben und Formen wie diesen? Ich erinnere mich an die Bildschirme in Ihrem Schiff und die Muster, die sich darauf zeigten und zu Ihnen in irgendeiner visuellen Sprache redeten, die Ihre Augen lesen konnten.
Jetzt sieht es genau aus wie die Wolken der Morgenröte, die über die Sterne hintanzen und flimmern. Und das ist es ja auch in Wirklichkeit, davon bin ich überzeugt: Ein großer Morgensturm. Die ganze Landschaft ist erleuchtet, es ist heller als am Tag. Rote, grüne und goldene Tönungen jagen einander über den Himmel — oh, es ist mit Worten nicht zu schildern, es erscheint mir ungerecht, daß ich der einzige bin, der es sieht. Ich habe solche Farben nie für möglich gehalten.