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Am späten Nachmittag gelangte er in Sichtweite der Stadt und erkannte auf einem Hügel den vertrauten Umriß eines großen alten Landhauses wieder. In Aufbau und stattlichem Ausmaß glich die Außenmauer einer Festungsanlage, auch wenn sich ringsum die Weiden und Felder erstreckten, auf denen die Bauern und Arbeiter betriebsam ihren Verrichtungen nachgingen. Die einen bereiteten den Boden für die Saat vor, während andere die trockenen Äste aus den Bäumen schnitten und wieder andere am Waldrand große Stämme auf die von Ochsen gezogenen Wagen hoben. In einer Koppel lief eine Herde von Pferden umher, angeführt von einem weißen Hengst mit langer Mähne, der in wildem Galopp dahinflog und mit seinem Schweif die Luft peitschte.

Ambrosinus schritt durch das Haupttor in den weiten Innenhof, in dem sich die Werkstätten der Schlosser, Hufschmiede und Tischler befanden. Als er das Haus betrat, wurde er von dem Freudengebell der Hunde und dem herrlichen Duft ofenfrischen Brotes empfangen. Niemand fragte ihn, wer er sei oder was er wolle. Doch bot ihm eine Frau als Gastgeschenk ein Stück duftendes, knuspriges Brot an, und deutlich erkannte er, daß sich in dem noblen Hause nichts verändert hatte, seit er dort damals zum erstenmal Aufnahme gefunden hatte. Er fragte: »Ist Herr Kustennin noch immer der Herr dieses Besitzes?«

»Das ist er, Gott sei Dank«, antwortete die Frau.

»Dann melde ihm bitte, daß ein alter Freund aus langem Exil endlich nach Hause zurückgekehrt ist und es kaum erwarten kann, ihn wieder in die Arme zu schließen.«

»Folge mir«, sagte die Frau zu ihm. »Ich werde dich zu ihm führen.«

»Nein, mir ist lieber, ich bleibe hier und warte auf ihn, wie es sich für einen Wanderer gebührt, der an die Tür klopft und um Zuflucht und Aufnahme bittet.«

Die Frau verschwand in einem Torbogen und stieg rasch die Treppe empor, die ins Obergeschoß der Villa führte. Wenig später hob sich im roten Licht des Sonnenuntergangs eine mächtige Gestalt ab. Ein Mann um die Fünfzig mit blauen Augen und graumelierten Schläfen, die breiten Schultern von einem schwarzen Umhang bedeckt, betrachtete ihn mit einem etwas unsicheren Gesichtsausdruck, als versuche er, den Pilger vor sich wiederzuerkennen. Ambrosinus ging ihm entgegen. »Kustennin, ich bin's, Myrdin Emreis, dein alter Freund. Ich bin zurückgekehrt.«

Die Augen des Mannes füllten sich mit Tränen der Freude. Er lief ihm entgegen und rief: »Myrdin!«, dann umfaßte er ihn mit den Armen und hielt ihn lange an sich gepreßt. »Wie lange ist das her«, sagte er mit zitternder Stimme. »Mein alter Freund, wieviel Zeit ist vergangen. Oh, guter Gott, wie konnte ich dich bloß nicht auf den ersten Blick erkennen!«

Ambrosinus löste sich aus der Umarmung, um ihm ins Antlitz zu blicken, fast ungläubig, ihn nach so vielen Jahren wiedergefunden zu haben. »Ich habe viele Arten von Widrigkeiten erlebt, mußte Hunger und Kälte erleiden und schreckliche Prüfungen bestehen, mein Freund. Das hat mein Äußeres völlig verändert, meine Haare wurden weiß, und sogar meine Stimme hat ihre Kraft verloren. Doch bin ich glücklich, dich wiederzusehen, so glücklich ... Du dagegen hast dich überhaupt nicht verändert, bis auf ein klein wenig Rauhreif an deinen Schläfen. Und deine Familie?«

»Komm«, sagte Kustennin, »und sich sie dir an. Egena und ich haben eine Tochter, Ygraine, die unser Augenstern ist.«

Und er schritt ihm voran die Treppe empor, bis sie durch einen Korridor in der Wohnung der Frauen ankamen.

»Egena«, sagte Ambrosinus, »ich bin Myrdin, erinnerst du dich noch an mich?«

Egeria saß neben einem Fenster und war mit einer Stickarbeit beschäftigt; sie legte sie nieder und kam ihm entgegen. »Myrdin? Ich kann es nicht fassen. Wir dachten, du seiest schon lange tot. Doch die Gnade des Herrn hat dich uns zurückgebracht, das müssen wir feiern. Du wirst nun für immer bei uns bleiben und nie mehr fortgehen!« Sie wendete sich ihrem Gatten zu: »Hab ich recht, Kustennin? Nicht wahr, ich hab doch recht?«

»So ist es«, antwortete ihr Mann. »Das würde uns sehr glücklich machen.«

Als Ambrosinus zu einer Antwort ansetzen wollte, wurde er von einem hübschen Mädchen unterbrochen, das ins Zimmer eintrat. Sie hatte die blauen Augen vom Vater und die flammend roten Haare ihrer Mutter und sah zauberhaft aus in ihrem Kleid aus hellblauer Wolle, das ihr bis zu den Füßen reichte. Es war Ygraine, die ihn anmutig begrüßte.

Egena gab ihren Dienern den Befehl, das Abendessen und auch ein Zimmer für den Gast zu richten. »Nur vorläufig«, sagte sie. »Morgen werden wir dich in einem besseren Teil des Hauses unterbringen, in dem du mehr Sonne hast ...«

Ambrosinus unterbrach sie: »Wie gern würde ich eure Gastfreundschaft annehmen, doch ich kann nicht bei euch verweilen, selbst wenn ich es mir von ganzem Herzen wünsche. Ich bin nicht allein, eine Gruppe von Freunden aus Italien ist mit mir unterwegs. Wir haben es gerade noch geschafft, einer erbarmungslosen, unablässigen Jagd zu entkommen.«

»Wer auch immer dich verfolgt«, antwortete Kustennin, »hier bist du in Sicherheit. Niemand wird es wagen, die Hand gegen dich oder deine Freunde zu erheben. Meine Diener sind alle bewaffnet und verwandeln sich, falls es nötig ist, innerhalb kürzester Zeit in eine disziplinierte und kampfbereite Truppe.«

»Ich danke dir«, antwortete Ambrosinus. »Ich habe eine lange Geschichte zu erzählen, und falls du die Geduld aufbringst, mir zuzuhören, werde ich sie noch heute abend zum besten geben. Doch warum tragen deine Diener Waffen, und was ist aus der Drachenlegion geworden? Meine Gefährten und ich haben in der alten Festung unser Lager aufgeschlagen und natürlich sofort erkannt, daß sie schon vor langem aufgegeben wurde. Wurden die Quartiere vielleicht woandershin verlegt?«

»Mein Gott, Myrdin«, antwortete Kustennin. »Die Legion gibt es seit vielen Jahren nicht mehr, sie hat sich aufgelöst ...«

Ambrosinus Gesicht lief rot an. »Aufgelöst? Ich kann das nicht glauben. Sie hatten beim verblutenden Körper des heiligen Germanus geschworen, bis zum letzten Atemzug die Freiheit unseres Vaterlandes zu verteidigen. Diesen Schwur habe ich nie vergessen, Kustennin, und jetzt bin ich zurückgekehrt, um mein Versprechen einzulösen. Soll das denn heißen, daß nicht einmal du mehr die Macht hast, dieses Land vor seinen Unterdrückern zu beschützen?«

Kustennin seufzte. »Ich habe jahrelang versucht, die Konsulatswürde aufrechtzuerhalten. Solange die Legion existierte, war das auch irgendwie möglich, selbst wenn es schon damals genügend Leute gab, die mich mit dem ehrenrührigen Titel eines Usurpators brandmarkten und mit jenen Verbrechern in einen Topf warfen, die dieses unglückliche Land tyrannisierten. Doch dann löste sich die Legion auf, und Wortigern gelang es, einen Gutteil des Senats durch Korruption an sich zu binden. Und heute beherrscht er mit seinen grausamen Söldnern das ganze Land. Carvetia ist als Stadt noch vom Glück begünstigt, da Wortigern unsere Pferdezuchten und den Hafen braucht. Allein aus dem Grunde schnürt er uns nicht völlig die Luft ab. Auch tritt noch immer der Senat zusammen, und die Richter üben, zumindest zum Teil, noch ihre Autorität aus. Doch ist das alles, was von der Freiheit übrigblieb, die Germanus uns einst mit dem Stolz und der Würde, Herr über das eigene Schicksal zu sein, zurückgegeben hatte.«