»Sprich«, befahl Wulfila, und der Senator hob an:
»Edler Wortigern«, sagte er, »gestern hat sich im Senat von Carvetia ein Mann erdreistet, öffentlich seine Stimme gegen dich zu erheben. Er nannte dich einen Tyrannen und rief zum Aufstand auf. Dann sagte er, daß die alte aufgelöste Legion dabei sei, sich wieder neu zu formieren, und stellte schließlich ein Kind vor, von dem er behauptete, es sei der Kaiser ...«
»Das sind sie«, unterbrach ihn Wulfila. »Es besteht kein Zweifel. Immer wieder faselt der Alte von dieser Prophezeiung, nach der ein junger Regent übers Meer kommen soll. Aber glaube mir, das bedeutet Gefahr. Er ist bei weitem nicht so verrückt wie er aussieht, sondern ein Schlaukopf, der seine Hebel sehr genau anzusetzen weiß - bei ihrem Aberglauben und den uralten Sehnsüchten nach der keltisch-römischen Aristokratie. Auch ist sein Ziel sonnenklar: Er will diesen kleinen Schwindler zum Symbol erheben, um es gegen dich zu verwenden.«
Wortigern hob seine hagere Hand zum Zeichen des Abschieds, der Senator zog sich zurück und krümmte dabei seinen Rücken in einer nicht enden wollenden Verbeugung, bis er die Tür erreichte und hastig verschwand.
»Was schlägst du vor?« fragte der Tyrann an Wulfila gewandt.
»Laß mir freie Hand! Gewähre mir, daß ich mich mit meinen Männern, den einzigen, denen ich traue, auf die Suche mache. Ich kenne diese Leute und werde sie aufstöbern, wo auch immer sie sich versteckt halten. Und dann bringe ich dir die Haut des Alten, die du ausstopfen kannst, den Kopf des Jungen aber behalte ich.«
Wortigern schüttelte langsam den Kopf. »Die Haut des Alten interessiert mich nicht, unsere Abmachung war eine andere.«
Wulfila zuckte zusammen. Das genau war der Augenblick, in dem ihm das Schicksal eine unbezahlbare Gelegenheit bot und sich alles erfüllte in einem seit langem erdachten Plan. Er mußte ihm nur den letzten Schliff geben, dann würde sich vor seinen Augen eine Zukunft der grenzenlosen Macht eröffnen. Nur mit Mühe gelang es ihm, seiner Erregung Herr zu werden, als er antwortete: »Du hast recht, Wortigern. Vor lauter Begeisterung, daß die lange Jagd endlich ein Ende nimmt, vergaß ich einen Augenblick lang mein Versprechen. Es stimmt, du gewährtest mir den Kopf des Jungen und die Möglichkeit, endlich die Deserteure und Mörder, die ihn beschützen, zu vernichten. Genauso, wie sie es verdienen. Und dafür wirst du das versprochene Geschenk erhalten.«
»Ich sehe, daß du noch immer meine Gedanken zu deuten verstehst, Wulfila. Also laß dieses Geschenk kommen, auf das du mich so lange hast warten lassen. Doch zuerst sag mir eins.«
»Sprich.«
»Unter den Männern, die du zu vernichten beabsichtigst, ist da auch derjenige, der dir das Gesicht zerschnitten hat?«
Wulfila senkte die Augen, um den Blitz zu verbergen, der ihn in diesem Augenblick durchzuckte, und antwortete äußerst widerwillig: »So ist es, es ist wie du sagst.«
Ein weiteres Mal hatte der Tyrann seine Genugtuung gehabt und die Überlegenheit der vollkommenen goldenen Maske gegenüber dem mißgestalteten Fleisch seines Untertanen und möglichen Widersachers demonstriert. Diese häßliche Narbe war das Werk eines Menschen, während der Brand, der sein Gesicht entstellte, nichts anderes sein konnte als das Werk des einzigen Gottes.
»Ich warte«, sagte Wortigern, und seine Wort klangen dumpf wie ein Urteilsspruch aus der Maske.
Wulfila eilte hinaus, ließ einen seiner Krieger rufen und befahl ihm, ihm sofort das zu bringen, was er verlangte. Kurz darauf tauchte der Mann wieder auf und trug eine lange schmale Kiste aus Eichenholz, die mit Nieten aus gebräuntem Eisen verziert war. Er legte sie Wortigern zu Füßen.
Wulfila gab ihm Zeichen, sich wieder zu entfernen, dann trat er zum Thron und kniete sich nieder, um das kostbare Behältnis des versprochenen Geschenks zu öffnen. Er hob seinen Blick auf zu der undurchdringlichen Maske, die drohend über ihm verharrte. In diesem Augenblick hätte er alles dafür gegeben, den Ausdruck zügelloser Gier in Wortigerns darunter verborgenem Gesicht zu sehen.
»Hier ist mein Geschenk, Herr«, sagte er und öffnete mit einer raschen Handbewegung den Deckel. »Hier ist das von den Chalybern geschmiedete Schwert Julius Cäsars, des ersten Herrn der Welt und des Eroberers von Britannien. Es ist dein!«
Wortigern konnte der Faszination dieser herrlichen Waffe nicht widerstehen und streckte stöhnend die Hand danach aus. »Gib es mir, gib es mir!«
»Sofort, mein Herr«, antwortete Wulfila, und in seinem Blick erkannte der Tyrann - zu spät! - das tödliche Schicksal, das darin eingeprägt war. Er versuchte zu schreien, doch schon stieß das Schwert in seine Brust, durchbohrte sein Herz und preßte sich in die Rückenlehne des Throns. Ohne einen Laut sank Wortigern in sich zusammen, und aus der Maske troff ein Rinnsal aus Blut, das einzige Zeichen des Lebens, das auf diesem unwandelbaren Antlitz durch die letzte Ironie des Schicksals im Augenblick des Todes in Erscheinung trat.
Wulfila zog das Schwert aus dem leblosen Körper, packte Wortigerns goldene Maske, und ein kaum noch erkennbares Gesicht kam zum Vorschein. Er kerbte die Haut des Schädels rings um das Haupt ein und riß mit einem einzigen Ruck die weiße Mähne herab. Den leblosen Körper, der nur noch ein Schatten seiner selbst war, schleifte er bis zum Fenster, das sich hinter dem Thron in der Turmmauer befand, und warf ihn hinab in den Hof. Das Gekläffe der in ihrem Zwinger eingesperrten, hungrigen Mastiffs erfüllte den Saal wie Höllengetöse, doch dann hallte plötzlich ihr dumpfes Knurren wider, während sie sich um die klägliche Fleischration ihres ehemaligen Herrn stritten.
Nun legte Wulfila die goldene Maske an. Er preßte Wortigerns weiße Mähne auf sein Haupt, griff nach dem leuchtenden Schwert und erschien, einem Dämon gleich, mit blutüberströmten Schläfen vor seinen Kriegern, die im großen Hof bereits auf ihren Pferden saßen. Verblüfft sahen sie ihn mit großen Augen an, als er auf seinen Hengst sprang, ihm die Sporen gab und schrie: »Auf nach Car-vetia!«
XXXVI
Zwei Tage später erschien mit schleifenden Zügeln ein Mann zu Pferde auf Kustennins Hof und brachte eine schier unglaubliche Nachricht. Er war einer der Informanten, die Kustennin sich innerhalb Wortigerns Festung Castra Vetera hielt, die einzige Möglichkeit, die ihm blieb, um den verhängnisvollen Übergriffen der Söldner des Tyrannen zuvorzukommen.
»Es hat immer geheißen, daß Wortigern einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat«, keuchte der Mann mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen, »und das ist wahr! Satan persönlich gab ihm die Kraft und die Stärke von einst zurück, und nun hat er seine Grausamkeit ins Unermeßliche gesteigert!«
»Was redest du da! Bist du verrückt geworden?« rief Kustennin, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn, als wolle er ihn wieder zur Vernunft bringen.
»Nein, Herr, leider ist das die Wahrheit. Wenn du die Hoffnung hegtest, er sei schon am Ende, begrabe sie. Er ist wie ... wie ... wiederauferstanden. Und vom Satan besessen, das sage ich dir! Ich habe mit diesen Augen gesehen, wie er gleich einer Vision einem Alptraum entstieg, die goldene Maske auf dem Gesicht, doch tropfte ihm statt Schweiß das Blut von den Schläfen. Seine Stimme dröhnte wie Donner, noch nie zuvor habe ich sie so gehört. Vor allem aber hielt er ein so glänzendes Schwert in der Hand, wie ich mein Lebtag noch keines sah. In seiner Klinge, scharf wie ein Rasiermesser, spiegelte sich das Licht der Fackeln wider, als sei sie aus durchsichtigem Glas, während sein Griff einen Adlerkopf aus massivem Gold darstellt. Nur der Erzengel Michael könnte ein solches Wunderwerk geschmiedet haben. Oder der Teufel persönlich.«
»Versuche doch, dich zu beruhigen«, sagte Kustennin zu ihm. »Du phantasierst.«
»Nein, glaube mir, es ist genau so, wie ich es dir sage. Nun reitet er an der Spitze von zweihundert Panzerreitern, die ständig weiter vorrücken und auf ihrem Weg Tod und Verderben säen, da sie mit einer nie dagewesenen Raserei plündern, brennen und zerstören. Ich habe nirgendwo angehalten, sondern nahm die Abkürzung durch den Gowanforst und ritt Tag und Nacht durch. Erst auf unseren Besitztümern ließ ich die Pferde wechseln. Auch habe ich ihn deutlich brüllen hören: >Auf nach Carvetia!< In höchstens zwei Tagen werden sie hiersein.«