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»Das wird nicht nötig sein«, antwortete Ambrosinus ruhig. Aurelius schüttelte den Kopf und ging hinaus in den Hof, um seinen Kameraden zu helfen.

Unermüdlich und mit kaum faßbarer Begeisterung arbeiteten sie den ganzen Tag, als sei ihnen endlich eine unerträgliche Last vom Herzen genommen. Bei Sonnenuntergang betrachteten Aurelius und die Seinen ihr Werk, von der Anstrengung völlig erschöpft, schweißgebadet und mit Erde und Staub bedeckt: In ordentlichen Reihen waren Katapulte und Wurfmaschinen auf den Wällen aufgebaut, und neben jeder Maschine stand ein Bündel von Wurfspießen und Speeren bereit. Außerdem hatten sie die Brustwehr verstärkt und vor jeder Schießscharte Bögen in großer Anzahl mit einer Fülle gebrauchsfertiger Pfeile aufgeschichtet. Und schließlich befanden sich vor der Palisade die im neuen Glanz erstrahlenden Rüstungen, die nur darauf warteten, von ihnen angelegt zu werden. Darunter auch die von Batiatus, die er mit einem Hammer auf dem Amboß zuerst abgeändert, dann brüniert und glänzend poliert hatte. Ursprünglich gefertigt, um die Brust eines Pferdes zu bedecken, schützte sie nun den Oberkörper dieses schwarzen Herkules in der Schlacht.

Sie setzten sich rings um das Feuer zu einem gemeinsamen Mahl, dann bereiteten sie sich für die Nacht vor.

»Schlaft diesmal alle, um morgen zum Kampf bereit zu sein«, sagte Ambrosinus. »Ich werde wachen. Ich sehe sehr gut und höre noch besser.«

Alle schliefen. Batiatus hatte neben der noch warmen Schmiede den Kopf auf seine Rüstung gebettet, während Livia in Aurelius' Armen in der ehemaligen Kaserne lag. Demetrios und Orosius lagen bei den Pferden im Stall, Romulus schlief, eingewickelt in seine Reisedecke, unter dem Vordach und Vatrenus im Wachturm auf den Wällen.

Ambrosinus hielt Wache neben dem Tor und war tief in Gedanken versunken. Als all seine Gefährten fest schliefen, erhob er sich plötzlich, öffnete leise das Tor und ging auf den Kreis der Megalithen zu. Dort angekommen, häufte er eine große Menge an Holz, Zweigen und Resten von trockenen Baumstümpfen auf, die er zu Füßen der jahrhundertealten Eichen fand. Dann eilte er auf die mächtigste Eiche zu, schlüpfte in einen Spalt in dem Stamm und holte einen großen, runden Gegenstand und einen Holzknüppel hervor. Eine Trommel. Rasch hängte er sie an einen Ast der Eiche und schlug kräftig mit dem Knüppel darauf. Ein tiefes Dröhnen ertönte, das wie der Klang eines Sturms von den Bergen zurückgeworfen wurde. Dann schlug er die Trommel ein zweites, ein drittes und noch ein viertes Mal.

Aurelius erhob sich in der Kaserne von seinem Lager. »Was war das?« fragte er. Livia ergriff seine Hand und zog ihn an sich. »Das ist nur der Donner, schlaf weiter.«

Doch wurde der Ton zunehmend lauter, bis er, dunkel metallisch und durch das Echo vervielfacht, von den Talhängen und Weiden und sogar von den Gipfeln der Berge widerhallte. Nun hörte Aurelius genauer hin. »Nein«, sagte er. »Das ist nicht der Donner, das klingt eher wie ein Warnsignal ... doch für wen?«

Vom Turm erklang die Stimme von Vatrenus. »Kommt und seht, aber schnell!« Sie ergriffen ihre Waffen und stiegen zu den Wällen empor. In der Ferne stand der Steinkreis in Flammen. Ein riesiges Feuer war zwischen den großen Steinsäulen im Inneren entfacht und schoß seine wirbelnden Funken in den schwarzen Nachthimmel empor. Und wie ein Gespenst bewegte sich im Schein der Flammen ein Schatten, der deutlich zu erkennen war.

»Das ist Ambrosinus, der seinen Zaubereien nachgeht«, sagte Aurelius. »Und wir dachten, er hielte Wache. Ich geh wieder schlafen. Bleib du hier, Vatrenus, bis er zurückkommt.«

Doch die Hirten und Bauern in ihren Gehöften, die über die Landschaft verstreut lagen, die Schmiede und Handwerker erblickten das Feuer. Ja, sie zündeten sogar noch weitere an, verwundert beäugt von ihren Frauen und Kindern, bis die Flammen überall hell aufloderten: auf den Hügeln und Bergen von der Ozeanküste bis zu dem Großen Wall.

Schließlich erreichte das Dröhnen der Trommel auch Kustennins Ohr, der aus dem Bett sprang und lauschte. Als er ans Fenster trat und die Feuer erblickte, verstand er, warum an diesem Morgen niemand zum Hafen gekommen war. Zufrieden schaute er auf die leeren Betten von Egeria und Ygraine und dachte an das Schiff, das zu dieser Stunde über das ruhige Wasser fuhr und sie an einen sicheren Ort brachte. Dann öffnete er eine Truhe und holte daraus den Drachen aus Silber und Purpur hervor, weckte seinen Diener und befahl ihm, seine Rüstung und das Pferd vorzubereiten.

»Wohin reitest du, mein Herr, zu dieser frühen Stunde?« fragte dieser ihn verwundert.

»Freunde treffen.«

»Und warum nimmst du dein Schwert mit?«

In diesem Moment trug der Wind wieder das ferne Dröhnen herbei, das laut durch die Nacht drang.

Kustennin seufzte. »Es gibt Augenblicke«, sagte er, »da muß man sich zwischen dem Schwert und der Pflugschar entscheiden.« Dann hängte er das Schwert an seinen Gürtel und ging die Treppe zum Pferdestall hinab.

Bei Tagesanbruch standen Aurelius, Vatrenus und ihre Gefährten bis an die Zähne bewaffnet auf den Wällen und starrten schweigend auf den Horizont. Mit einem Topf dampfender Suppe eilte Romulus von einem zum anderen, bis er zuletzt Aurelius einen Napf voll gab.

»Wie schmeckt sie?« fragte er.

Aurelius nahm einen Löffel. »Gut. Die beste, die mir je in einem Heerlager serviert wurde.«

Romulus lächelte. »Vielleicht haben wir uns die ganze Mühe umsonst gemacht. Vielleicht kommen sie nicht.«

»Vielleicht ...«

»Weißt du, was ich denke? Daß es schön wäre, hier unsere kleine Gemeinschaft zu gründen. Vielleicht entsteht ja aus diesem Lager einmal ein Dorf, und ich könnte mir ein Mädchen suchen. Eins habe ich schon unten in der Stadt getroffen. Sie hat rote Haare, weißt du?«

Aurelius lächelte. »Das ist schön. Ich meine, daß du anfängst, an Mädchen zu denken. Das bedeutet, daß du erwachsen wirst. Es bedeutet aber auch, daß deine Verletzungen langsam heilen und die Erinnerung an deine Eltern nicht mehr ausschließlich vom Schmerz geprägt wird, sondern daß das Angenehme überwiegt. Der Gedanke an ihre Liebe wird dich dein ganzes Leben begleiten.«

Romulus seufzte. »Ja, vielleicht hast du recht, doch bin ich noch nicht einmal vierzehn Jahre alt. Und ein Junge in meinem Alter braucht einen Vater.« Er schöpfte ein wenig Suppe in seinen Napf und begann zu essen, als gelänge es ihm damit leichter, die Haltung wiederzugewinnen. Von Zeit zu Zeit sah er verstohlen zu Aurelius herüber, um festzustellen, ob auch er zu ihm herüberschaute. »Du hast recht«, sagte er. »Die Suppe ist nicht schlecht. Livia hat sie gekocht.«

»Das dachte ich mir schon«, antwortete Aurelius. »Aber sag, wenn dein Vater da wäre, was würdest du gern von ihm wissen?«

»Nichts Besonderes. Ich möchte nur mit ihm zusammen sein und etwas mit ihm zusammen machen. Ebenso wie wir beide jetzt miteinander essen. Ganz einfache, unbedeutende Dinge, einfach beisammen sein und wissen, daß man nicht allein ist. Verstehst du?«

»Gewiß«, antwortete Aurelius. »Auch mir fehlen meine Eltern sehr, obwohl ich viel älter bin als du.«

Eine Weile blickten sie nur auf den Horizont, ohne ein Wort zu sagen. Dann brach Aurelius das Schweigen. »Weißt du was? Ich habe noch keine Kinder und weiß auch nicht, ob ich je welche haben werde. Ich meine ... ich weiß nicht, was uns erwartet, und ...«

»Ich verstehe«, antwortete Romulus.

»Ich habe mich gefragt, ob ...«

»Was?«

Aurelius zog seinen bronzenen Ring mit der kleinen Kamee vom Finger, in die ein Monogramm eingraviert war. »Jetzt weiß ich, daß dieser Ring mir wirklich gehört. Er ist mein Familienring, und ich frage mich ... ich frage mich, ob du ihn wohl annehmen würdest.«

Romulus sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Willst du damit sagen, daß ...«

»Ja. Wenn du einverstanden bist, wäre ich glücklich, dich als meinen Sohn anzunehmen.«

»Hier? Jetzt?«