Romulus, der seinem Erzieher entkommen war, sprang in den Sattel des Fohlens und gab ihm die Sporen. Er konnte nicht anders, als hinter seinen Kameraden herzureiten und an ihrer Seite zu kämpfen, selbst wenn er nur ein Messer anstelle eines Schwertes schwang.
Laut rufend lief Ambrosinus hinter ihm her: »Bleib stehen! Komm zurück!«, doch stand er schon bald allein auf ungeschütztem Gelände. Unterdessen attackierte Batiatus die Linien der feindlichen Reiter und focht heftig mit jedem, der es wagte, sich ihm entgegenzuwerfen, um ihn aufzuhalten. Die Kameraden stürzten sich gleichfalls hinter ihm in die wilde Rauferei und schlugen mit ihren Schwertern und Schilden auf alles ein, was ihnen in die Quere kam. Als Wulfila, der sich noch weit oben am Abhang befand, Aurelius ausfindig machte, stürzte er mit gezogenem Schwert auf ihn zu. Da entdeckte Vatrenus aus dem Augenwinkel heraus Romulus, der rechts von ihm auf seinem Fohlen ritt, und rief ihm zu: »Reite zum Hügel, Romulus, schnell, schnell, weg von hier!«
Zu Tode erschrocken und von feindlichen Reitern umringt, die aus allen Richtungen auf ihn zugaloppierten, schleppte sich Ambrosinus auf einen Felsvorsprung, der rechts von ihm aus dem Boden ragte. Von da hoffte er herauszufinden, wo der Junge war. Und er sah ihn, wie er, von seinem bockenden Fohlen mitgezerrt, auf den Megalithenkreis zusteuerte.
Mittlerweile hatte Wulfila Aurelius fast erreicht und schrie außer sich vor Wut: »Kämpfe, du Feigling! Du kannst mir nicht mehr entkommen!« Und dann holte er zum ersten tödlichen Schlag aus. Batiatus hob seinen Schild, eine Platte aus massivem Metall, um Aurelius vor dem Hieb zu bewahren. Das Schwert traf den Schild mit lautem Getöse, so daß sich eine funkelnde Fontäne ergoß. Unterdessen donnerten die ersten Reiter durch die Bresche, flogen über die Flammen des Scheiterhaufens hinweg und drangen ins Lager ein. In ihrem Zorn machten sie alles nieder, was sich ihnen darbot, setzten die Gebäude und Wachtürme in Brand, die sogleich wie riesige Fackeln in den Flammen aufgingen.
»Es ist niemand mehr da!« rief plötzlich einer. »Sie sind alle abgehauen. Schnell, hinter ihnen her!«
Von der Felsspitze aus, die er endlich erklommen hatte, beobachtete Ambrosinus, wie Aurelius sich verzweifelt gegen Wulfila wehrte, als plötzlich sein Schild in tausend Teile zerbrach und sein Schwert sich unter den Hieben der unbesiegbaren gegnerischen Klinge verbog. Und plötzlich wurde das Chaos aus wildem Geschrei und das Getöse der heftig aufeinanderprallenden Waffen von dem schrillen, durchdringenden Ton einer Bucina übertönt, jenem Signalhorn, das zum Angriff blies. Im selben Augenblick erschienen am östlichen Saum des Hügels das funkelnde Haupt und der purpurne Schweif des Drachen, hinter dem eine massive Linie von Kriegern einhermarschierte. Mit tiefgezogenen Lanzen rückten sie hinter einer Mauer aus Schilden vor und stießen bei jedem Schritt den alten Schlachtruf der römischen Infanterie aus. Wie aus dem Nichts war die Legion des Drachen aufgetaucht und stürmte im Laufschritt den Hügel hinab, gefolgt von zwei Reihen Berittener, die Kustennin anführte.
Wulfila zögert für einen Augenblick, derweil ihn Batiatus mit seinem ganzen Gewicht attackierte und ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Bevor Wulfila zum tödlichen Schlag gegen Aurelius ausholen konnte, der jetzt keine Waffe mehr hatte, schubste der Riese ihn rasch zur Seite, so daß der Barbar zu Boden fiel. Doch als Wulfila wieder aufstand, sah er Romulus vom Pferd fallen und zu Fuß auf den Steinkreis zulaufen, in der Hoffnung, dort Zuflucht zu finden. Sofort sprang er auf die Füße und stürmte los, doch Vatrenus, der seine Absicht erahnt hatte, schnitt ihm den Weg ab. Mit erschreckender Gewalt hieb Wulfilas Schwert auf ihn ein, zerteilte ihm Schild und Rüstung und riß ihm die Brust auf, aus der ein dicker Strahl Blut hervorspritzte. Und wieder rannte Wulfila los und schrie seinen Männern zu: »Gebt mir Deckung!« Vier seiner Krieger warfen sich auf Vatrenus, der sich, am ganzen Körper blutüberströmt, weiter wie ein Löwe schlug, bis er zurückwich, um sich an einen Baum zu lehnen. Da durchbohrten sie ihn, einmal, zweimal, dreimal, viermal, so daß die Spitzen ihrer Lanzen im Baumstamm steckenblieben. Mit letzter Kraft fauchte Vatrenus: »Zur Hölle mit euch, ihr Bastarde!« Dann ließ er leblos den Kopf sinken.
Die anderen formten eine Mauer um die kleine Schar der Kämpfenden, die noch immer mit wilder Energie zuschlugen. Auch Aurelius, der das Schwert eines Gefallenen aufgenommen hatte, focht weiter und tat alles, um sich den Weg zu Wulfila freizukämpfen, der hinter Romulus auf den Steinkreis zulief, in dem der Knabe Schutz suchen wollte. Demetrios und Orosius versuchten, an seine Seite zu eilen, um ihm Deckung zu geben, doch sie wurden überwältigt und fielen. Batiatus allein gelang es nicht, sie zu retten, aber er konnte die Mauer der Feinde durchbrechen, so daß Aurelius das offene Gelände erreichte und auf den Steinkreis zulief. Nun von allen Seiten umringt, ließ Batiatus, der Riese, seine Streitaxt kreisen, trennte Köpfe und Arme ab, zerschlug Schilde und Harnische und tränkte den Boden mit Blut. Da bohrte sich eine Lanze in seine Schulter, und er wich an einen Felsen zurück. Wie ein Bär, der von einer Meute Hunde belagert wird, schlug Batiatus mit furchterregender Gewalt um sich, obwohl das Blut ihm in Strömen von seiner linken Seite rann. Als Livia das sah, warf sie sich blitzschnell aufs Pferd und beschoß die Angreifer, die sich um den verwundeten Riesen scharten, mit ihren Pfeilen, wobei sie nicht wenige in den Rücken traf.
Das Kampfgeschehen tobte inzwischen überall. Doch mit dem hocherhobenen Banner des Drachen rückten die frisch eingetroffenen Krieger unablässig weiter vor und drängten die Feinde, die durch ihr unerwartetes Erscheinen völlig verwirrt waren, ins Tal zurück.
Inzwischen hatte auch Ambrosinus erkannt, welchen Schachzug Wulfila vorhatte, und lief mit keuchendem Atem so schnell er konnte am Rand des Schlachtfelds entlang auf den Megalithenkreis zu und rief mit aller Kraft: »Flieh, Romulus, flieh! Lauf, was du kannst!«
Als Romulus oben auf dem Hügel angekommen war, drehte er sich um, um seine Freunde in dem tobenden Gewühl zu erspähen.
Plötzlich stand er einem hünenhaften Krieger mit langen schneeweißen Haaren und einer goldenen Maske auf dem Gesicht gegenüber. Furchterregend anzuschauen, war er von Kopf bis Fuß mit Blut und Schweiß bedeckt. Er kam auf ihn zu und schwang sein Schwert, das rot von Blut war. Dann riß er sich plötzlich die Maske vom Gesicht und zeigte ihm grinsend seine zerschnittene Fratze: Wulfila! Entsetzt wich Romulus an einen der großen Pfeiler zurück und streckte in einem schwachen Verteidigungsversuch sein Messer aus. Aus der Ferne drangen die angstvollen Rufe seines Meisters und das wirre Getöse der Schlacht an sein Ohr, doch folgte sein Blick, wie von einem Magneten angezogen, unablässig der Spitze des Schwertes, die sich nun zu dem todbringenden Hieb nach oben richtete. Ein Stoß dieses Schwertes genügte, und sein Messer würde dem Feind zu Füßen fallen. Romulus wich noch ein wenig weiter zurück, bis er mit dem Rücken an den Pfeiler stieß. Die lange Flucht war zu Ende und mit ihr alle Sorgen und angstvollen Hoffnungen. In einem kurzen Moment würde diese Klinge ihn ausgelöscht haben. Plötzlich wichen die Hektik und der panische Schrecken, die ihn beim Anblick seines Widersachers ergriffen hatten, und ihn überkam das Gefühl einer rätselhaften Gelassenheit, während er sich darauf vorbereitete, wie ein echter Soldat zu sterben. Dann schoß das Schwert vor, um ihm das Herz zu durchbohren. In diesem Moment hörte er hinter sich ganz deutlich Ambrosinus' Stimme, die sagte: »Verteidige dich!« Und wie durch ein Wunder wich er mit einer blitzartigen Bewegung dem Stoß aus. Das Schwert bohrte sich statt dessen in einen Riß im Stein und blieb darin stecken, während Romulus, ohne sich auch nur umzudrehen, nach der brennenden Glut auf dem großen Stein griff und sie Wulfila in die Augen schleuderte. Der schrie auf vor Schmerz und wich zurück. Dann gab ihm Ambrosinus mit klarer, fester Stimme einen neuen Befehclass="underline" »Nimm das Schwert.«