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»Ich wäre früher oder später zurückgekehrt, um dir zu danken, und ich hätte dir eine Nachricht hinterlassen, wenn ich etwas zu schreiben gehabt hätte. Ich kann Abschiede nicht ausstehen, die Trennungen ... Ich hätte nicht gewußt, was ich sagen sollte, und ...«

»Es gibt nichts zu sagen. Du gehst weg und Schluß. Du machst dich mit deinen Sachen aus dem Staub und läßt dich nie wieder blicken. Nichts ist leichter als das.«

»Es ist nicht so, wie du glaubst. In diesen Tagen habe ich ...« Er richtete den Blick langsam vom Boden nach oben, ihren Körper entlang, als fürchte er, direkt ihrem Blick zu begegnen. »Ich habe niemals jemanden gehabt, der sich so um mich gekümmert hat, ein Mädchen wie du, so jung und mutig und ... du bist wie keine andere von denen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe ... Ich habe befürchtet, daß es mir, hätte ich noch länger gewartet, jeden Tag noch ... schwerer gefallen wäre. Ich hatte Angst, daß es mir zu schwer fallen würde.« Livia antwortete nicht.

Jetzt wanderte Aurelius' Blick hinauf zu ihrem Gesicht, aber er verweilte noch einmal einen Augenblick lang auf dem Anhänger, den das Mädchen um den Hals trug, auf dem kleinen silbernen Adler. Livia bemerkte es, und als er ihr endlich in die Augen sah, reagierte sie weniger barsch, als er erwartet hätte. Sie betrachtete ihn mit einer Mischung aus Neugierde und schlichter Zuneigung und sagte dann: »Du brauchst mir dieses dumme Zeug nicht zu sagen. Wenn du gehen willst, dann geh. Du schuldest mir nichts.«

Aurelius brachte kein Wort heraus.

»Wohin gedenkst du zu gehen?« nahm Livia den Gesprächsfaden wieder auf.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Aurelius. »Fort. Weit weg von dieser Gegend, weg von diesem Gestank nach ihrer Barbarei und unserer Verderbnis, nur weg von diesem unaufhaltsamen Niedergang, weg von meinen Erinnerungen, weg von allem. Und du? Wirst du für immer in diesem Sumpf bleiben?«

Livia trat näher an ihn heran. »Es ist nicht so, wie du glaubst«, sagte sie. »Aus diesem Sumpf erwächst eine Hoffnung. Und es ist auch kein Sumpf, sondern eine Lagune. Hier gibt es das Leben und den Atem des Meeres.«

Juba schnaubte leise und scharrte mit den Hufen, als würde er diese ganze Verzögerung nicht verstehen. Livia griff nach dem Medaillon, das sie am Halse trug, und drückte es zwischen den Fingern. Aurelius schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Hoffnung, von keiner Seite. Nur Zerstörung, Plünderung, Gewalttätigkeit.«

»Warum hast du dann versucht, dieses Kind zu entführen?«

»Ich wollte es nicht entführen. Ich wollte es befreien.«

»Schwer zu glauben.«

»Ob du mir glaubst oder nicht - sein Vater hat mich im Angesicht seines Todes gebeten, es zu tun. Ich traf nach dem Gemetzel in der Villa von Piacenza ein. Ich kam aus dem Lager meiner bereits von einer feindlichen Übermacht umzingelten Legion, um Verstärkung anzufordern ... Er atmete noch, als ich ihn fand. Mit dem letzten Hauch seines Lebens flehte er mich an, seinen Sohn zu retten. Was hätte ich tun können?«

»Du Wahnsinniger! Was für ein Glück, daß es dir nicht gelungen ist. Was hättest du sonst gemacht?«

»Das weiß ich nicht. Ich hätte ihn irgendwohin mitgenommen. Ich hätte ihm beigebracht zu arbeiten, Bienen zu züchten, Oliven anzubauen, Ziegen zu melken. Wie ein echter Römer in den alten Zeiten.«

»Und hättest du keine Lust, es noch einmal zu versuchen?« ließ sich eine Stimme hinter ihm vernehmen.

»Stephanus! Was machst denn du hier?« fragte Livia. »Wir hatten doch vereinbart: niemals bei Tag und niemals hier!«

»Richtig! Aber es gibt einen dringenden Anlaß: Sie sind abgereist.«

»Wohin?«

»Das weiß man nicht. Sie haben die Via Romea in Richtung Fano eingeschlagen. Meiner Meinung nach werden sie auf der Via Flam-mia irgendwohin nach Süden ziehen. Wir werden versuchen, so bald wie möglich mehr in Erfahrung zu bringen.«

»Wovon redet ihr?« fragte Aurelius.

»Von der Befreiung eines Jungen«, erwiderte Stephanus. »Und wir brauchen deine Hilfe.«

Aurelius sah ihn verblüfft an und schüttelte ungläubig den Kopf, während er sagte: »Ein Junge ... Meinst du etwa ihn?«

Stephanus nickte: »Genau, ihn! Romulus Augustus Cäsar, den Kaiser der Römer!«

VII

Aurelius blickte seinen Gesprächspartner erstaunt an, dann wandte er sich seinem Pferd zu und begann, ihm die Sattelriemen so festzuzurren, als wolle er gleich losreiten. »Ich denke nicht daran«, erwiderte er.

»Warum nicht?« fragte Stephanus. »Du hast es doch selber getan und eine verzweifelte Aktion gestartet, und jetzt, da wir dir für dasselbe Unternehmen mit viel größeren Erfolgsaussichten unsere Hilfe und Unterstützung anbieten, da weigerst du dich?«

»Das war etwas anderes. Ich habe es getan, weil es mir richtig erschien und weil ich glaubte, wegen meines vollkommen überraschenden Vorgehens auf Erfolg hoffen zu können, und ich hätte es ja auch beinahe geschafft. Eure Ziele kenne ich nicht, und ich kenne auch euch nicht. Jedenfalls wird man nach meinem Überfall die Bewachung verstärkt haben. Es wird niemandem mehr gelingen, in die Nähe dieses Jungen zu gelangen, da bin ich mir sicher. Odoaker wird um ihn herum ein ganzes Heer aufgestellt haben.«

Stephanus trat näher an ihn heran: »Ich vertrete eine Gruppe von Senatoren, die direkte und wichtige Kontakte mit dem Ostreich unterhalten. Wir sind überzeugt, daß das die einzige Möglichkeit ist zu verhindern, daß Italien und der Westen endgültig in der Barbarei versinken. Einige unserer Gesandten haben Basiliskos in Spalato, in Dalmatien, getroffen, und sind mit einer wichtigen Nachricht zurückgekehrt: Der Kaiser ist bereit, Romulus in Konstantinopel Gastfreundschaft und Schutz zu gewähren und ihm eine seinem Rang entsprechende Pension auszusetzen.«

»Und das macht euch nicht mißtrauisch?« fragte Aurelius. »Basiliskos ist, soweit ich weiß, nichts anderes als ein Usurpator. Wie könnt ihr euch auf sein Wort verlassen? Wer sagt uns, daß er den Jungen nicht noch schlechter behandeln wird als dieser Barbar?«

»Dieser Barbar hat seine Eltern niedermetzeln lassen«, erwiderte Stephanus barsch. Aurelius wandte sich ihm zu und sah sich mit seinem festen und, wie es schien, undurchdringlichen Blick konfrontiert. Er sprach mit einem östlichen Akzent, der ihn an die Aussprache einiger seiner Mitkämpfer erinnerte, die aus Epirus stammten.

»Außerdem«, fuhr der andere fort, »ist Romulus zu ewiger Gefangenschaft in einem isolierten und unzugänglichen Ort verurteilt, dazu verdammt, für den Rest seiner Tage den Alptraum und die Greuel aufs neue zu durchleben und auf den Augenblick zu warten, in dem irgendein Stimmungsumschwung seiner Bewacher sein Ende herbeiführt. Hast du eine Vorstellung von den Beleidigungen, den Grausamkeiten und den Abscheulichkeiten, denen ein Kind ausgesetzt sein kann, das sich in der Gewalt dieser Bestien befindet?«

Vor Aurelius' geistigem Auge erschien noch einmal Romulus und der Blick, den er ihm zuwarf, als er ihn, die Schulter von einem Pfeil durchbohrt, allein zurücklassen mußte - ein Blick der Verzweiflung, der ohnmächtigen Wut, der unendlichen Bitterkeit. Stephanus mußte spüren, daß etwas in Aurelius vorging, denn er fuhr fort: »Auch in Konstantinopel haben wir Freunde, von denen einige sehr einflußreich sind, und wir haben deshalb auch die Möglichkeit, ihn wirksam zu schützen.«

»Und Julius Nepos?« beharrte Aurelius. »Er ist immer der Kandidat des Ostreiches für den Thron des Westens gewesen. Warum sollten sie jetzt ihre Meinung ändern und ihn fallenlassen?«

Livia versuchte einzugreifen, aber Stephanus gebot ihr mit einem Blick Einhalt. »Nepos interessiert niemanden mehr, und deshalb läßt man ihn in seiner Villa in Dalmatien versauern, wo er von der Welt abgeschnitten ist. Wir haben einen viel ehrgeizigeren Plan mit diesem Jungen, doch um ihn durchführen zu können, muß er vor den Gefahren geschützt werden, muß er eine angemessene Erziehung und Ausbildung erhalten, im Kaiserhaus in eine ruhige und sichere Position hineinwachsen, und er darf nicht den geringsten Verdacht erregen, bis der Augenblick gekommen ist, da er sein Erbe für sich einfordern wird.«