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»Bilde dir bloß nicht ein, daß ich dir dafür dankbar bin!« sagte Wulfila, als Ambrosinus fertig war.

»Ich habe es bestimmt nicht deswegen getan.«

»Warum sonst?«

»Du bist ein wildes Tier, und der Schmerz kann dich noch wilder machen. Ich habe es in meinem eigenen Interesse getan, Wulfila, und im Interesse des Jungen.«

Er ging wieder zum Wagen, um den Sack zurückzubringen. Kurz darauf kam ein Soldat mit am Spieß gebratenem Fleisch, und der Alte und der Knabe aßen davon. Die Luft war kalt, nicht nur, weil es Herbst war, sondern auch wegen der Höhe. Dennoch zog Ambrosinus es vor, um eine zweite Decke zu bitten, statt, wie die anderen, sein Nachtlager in der Nähe des Feuers herzurichten. Tatsächlich machte die Wärme ihren Gestank unerträglich. Nachdem sein Lehrer darauf bestanden hatte, trank Romulus auch ein wenig Wein, der seinen Körper mit etwas Kraft und Lebenslust erfüllte. Unter dem sternenklaren Himmel streckten sie sich nebeneinander aus.

»Hast du verstanden, warum ich das getan habe?« fragte Ambrosinus.

»Diesem Schlächter das Gesicht zu säubern? Doch, ich kann es mir vorstellen: Wilde Hunde streichelt man mit dem Strich.«

»Ja, so ähnlich.«

Beide schwiegen lange, um dem Knistern des Feuers zu lauschen, auf das die Soldaten immer wieder trockene Zweige warfen, und um den Funken zuzusehen, die wirbelnd zum Himmel stiegen.

»Betest du, bevor du einschläfst?« fragte Ambrosinus plötzlich.

»Ja«, antwortete Romulus. »Ich bete zum Geist meiner Eltern.«

VIII

Livia gab ihrem Pferd die Sporen und bog auf einen Saumpfad ein, der sich bis zum Kamm des Berges hinaufschlängelte, dann blieb sie stehen und wartete auf Aurelius, der über eine andere Route, die durch den Wald führte, aufstieg. Von der Höhe konnte man bequem den Ausgang des Tunnels der Via Flaminia beobachten, der den Berg von der einen Seite zur anderen durchbohrte. Die beiden sprangen ab und stellten sich hinter ein Buchengestrüpp. Es dauerte nicht lange, bis aus dem Tunnel eine Gruppe herulischer Reiter auftauchte, dann erschien ihr Kommandant, an der Spitze von etwa dreißig Bewaffneten, und schließlich der Wagen, gefolgt von der Nachhut.

Aurelius zuckte zusammen, als er Wulfila erkannte, und sah instinktiv auf den Bogen, den Livia über der Schulter trug.

»Schlag dir das aus dem Kopf«, sagte das Mädchen, das seine Gedanken erraten hatte. »Selbst wenn ich ihn niederstrecken könnte, würden die anderen uns keine Chance lassen, und vielleicht würden sie dann ihre ganze Wut an dem Jungen auslassen.« Aurelius biß sich auf die Lippen.

»Der Augenblick wird schon noch kommen«, sagte Livia mit Nachdruck. »Jetzt müssen wir Geduld haben.«

Aurelius blickte eine Zeitlang auf die schwankenden Umrisse des Wagens, bis er sie hinter einer Biegung der Straße verschwinden sah. Livia legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich habe den Eindruck, daß es zwischen euch beiden um Leben oder Tod geht, ja, eigentlich nur um Tod, habe ich recht?« »Ich habe einige seiner treuesten Leute umgebracht, ich habe versucht, den Gefangenen, den man in seine Obhut gegeben hatte, zu entführen, und als er seinerseits versucht hat, mich daran zu hindern, habe ich ihm das Gesicht aufgeschlitzt und ihn bis zum Ende seiner Tage zum Monstrum gemacht: Glaubst du nicht, daß das reicht?«

»Soweit deine Seite. Und wie sieht es auf seiner Seite aus?«

Aurelius antwortete nicht. Er kaute auf einem trockenen Grashalm herum und blickte hinunter ins Tal.

»Erzähl mir bloß nicht, daß ihr euch nie zuvor begegnet seid!«

»Es ist schon möglich, aber ich erinnere mich nicht daran. Barbaren sind mir in den vielen Jahren des Krieges haufenweise über den Weg gelaufen.« Und in diesem Augenblick sah er sich noch einmal Wulfila von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, damals, im Korridor des Kaiserpalastes, als sie Schwert gegen Schwert kämpften, und er hörte, wie die rauhe Stimme des Gegners sagte: »Ich kenne dich, Römer, ich habe dich schon einmal gesehen!«

Livia baute sich vor ihm auf und sah ihm mit mitleidloser Eindringlichkeit in die Augen. Aurelius wandte den Blick ab.

»Du hast Angst, in dein Inneres hineinzuschauen, und möchtest auch nicht, daß andere das tun. Warum?«

Aurelius drehte sich plötzlich um. »Würdest du dich nackt ausziehen - vor mir?« fragte er sie, und seine Augen sprühten Funken. Livia hielt seinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ja«, antwortete sie, »wenn ich dich lieben würde.«

»Aber du liebst mich nicht. Und ich liebe dich auch nicht. Stimmt' s?«

»Stimmt«, erwiderte Livia mit ebenso fester Stimme.

Aurelius nahm Juba am Zaumzeug und wartete, bis das Mädchen seinen Fuchs losband. Dann sagte er zu ihr: »Wir haben ein gemeinsames Ziel und eine Aufgabe zu erfüllen, die uns eine Zeitlang beieinander halten wird. Wir müssen unbedingt zusammenstehen und uns mit absoluter Sicherheit aufeinander verlassen können. Deshalb müssen wir beide vermeiden, im anderen Unbehagen und Unzufriedenheit zu wecken. Verstehst du, was ich meine?«

»Und ob«, antwortete Livia.

Aurelius begann, den Hang zu Fuß hinabzusteigen, und hielt dabei Juba am Zügel fest. »Wenn wir einen Versuch unternehmen wollen«, sagte er, das Thema wechselnd, »dann auf jeden Fall noch während der Reise, denn sobald der Konvoi sein Ziel erreicht hat, wird die Sache unmöglich.«

»Zu zweit gegen siebzig? Das scheint mir keine gute Idee zu sein. Und deine Wunde ist noch nicht einmal verheilt! Nein. Wir können nicht riskieren, ein zweites Mal zu scheitern.«

»Und was schlägst du dann vor? Du wirst doch auch einen Plan haben. Oder lassen wir es einfach darauf ankommen?«

»Erstens müssen wir wissen, wohin sie wollen; dann werden wir herausfinden, wie wir bei ihnen eindringen und den Jungen entführen können. Es gibt keine andere Möglichkeit: In Ravenna gab es keine Männer, die sich hätten anheuern lassen, und selbst wenn es sie gegeben hätte, so war doch die Zahl von Odoakers Spitzeln so groß, daß das Komplott sofort aufgedeckt worden wäre. Auch wenn es dir komisch vorkommt: Unser Vorteil besteht genau in der Tatsache, daß niemand von unserer Existenz weiß und niemand argwöhnt, daß zwei Reisende ein solches Unternehmen wagen könnten. Es wäre dir beinahe gelungen, deinen Versuch erfolgreich zu Ende zu führen, eben weil niemand mit einer solchen Möglichkeit gerechnet hatte. Wenn wir Männer anwerben, dann sehr weit von Ravenna entfernt, wo niemand etwas von uns weiß.«

»Und mit welchem Geld wirst du sie anwerben?«

»Das Geld wird in verschiedenen Orten Italiens für uns verfügbar sein. Antemius hat in vielen Banken Depots, und ich habe seinen Kreditbrief bei mir. Du weißt doch, was das ist, oder?«

»Nein. Aber das Wichtigste ist, daß du über Geld verfügen kannst. Ich habe die Hoffnung, meine Kameraden wiederzufinden, noch nicht aufgegeben.«

»Ich auch nicht. Ich weiß, wie wichtig das für dich ist.« Sie sagte es in einem Ton, der verriet, daß ihre Gefühle stärker waren als die Kameradschaft unter Kämpfern, die sie seit einigen Tagen miteinander verband.

So ritten sie über mehrere Etappen weiter, legten ungefähr zwanzig Meilen am Tag zurück und hielten dabei immer einen beträchtlichen Abstand von dem Konvoi. Selbst die Wachsamkeit der Barbaren rund um die Kutsche schien teilweise nachgelassen zu haben: Die Sicherheit dieser starken Eskorte, die mächtige Präsenz Wulfilas und das absolute Fehlen jeglicher Bedrohung, soweit der Blick reichte, trugen dazu bei, daß sich die Spannung und manchmal sogar die Disziplin lockerten.

Sie überquerten den Apennin und stiegen hinab ins Tibertal.

»Wenn wir meine Gefährten finden sollten«, sagte Aurelius plötzlich, »würdest du mir helfen, sie zu befreien?«