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»Stell dir vor: Ja! Es kommt darauf an, wie viele wir finden, falls wir sie überhaupt finden. Mach dir nicht zu viele Illusionen, ich muß dir das noch einmal sagen: Miseno ist eine Möglichkeit, aber eben nur eine Möglichkeit unter mehreren.«

»Es ist schon seltsam: Einerseits möchte ich sie wiederfinden, andererseits habe ich auch Angst davor ... Angst, von ihnen zu erfahren, welches Ende die übrigen genommen haben.«

»Du hast getan, was du konntest«, sagte Livia, »quäle dich nicht. Was gewesen ist, ist gewesen, und wir können es nicht mehr ändern.«

»Für dich ist es leicht. Aber die Legion war mein Leben. Alles, was ich hatte.«

»Hast du nie eine Familie gehabt?«

Aurelius schüttelte den Kopf.

»Eine Frau ... eine Geliebte?«

Aurelius wandte den Blick ab. »Gelegentliche Begegnungen. Keine Bindung. Es ist schwer, sich an jemanden zu binden, wenn man keine Wurzeln hat.«

Eine Zeitlang ritten sie im Gleichschritt weiter, ohne etwas zu sagen. Dann unterbrach Livia erneut das Schweigen. »Eine Legion ...«, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. »Das kommt einem unwahrscheinlich vor, denn seit Kaiser Gallienus' Reform ist von den alten Legionen kaum der Name übriggeblieben, und in den letzten vierzig Jahren ist auch der allmählich verschwunden. Was für einen Sinn soll es gehabt haben, eine neue Legion auf die Beine zu stellen?«

»Und trotz alledem war es ein außergewöhnliches Unternehmen! Zunächst einmal eignet sich das italienische Terrain fast nie zum Aufmarsch großer Reiterkontingente. Zudem wäre der Zusammenprall entsetzlich gewesen: Orestes wollte, daß die Leute einen silbernen Adler in der Sonne glitzern sahen; er wollte, daß die Römer ihren Stolz zurückgewannen, wieder ihre Fußsoldaten marschieren sahen mit den alten Rüstungen und den großen Schilden, die Truppen, die den Erdboden unter ihrem gleichmäßigen Schritt erbeben ließen. Er wollte die Disziplin der Barbarei, die Ordnung dem Chaos entgegensetzen. Wir alle waren stolz dazuzugehören. Unser Kommandant war ein Mann, der die alten Tugenden und einen unglaublichen Mut besaß: Er war streng und gerecht und eifersüchtig auf seine eigene Ehre und die seiner Leute bedacht.«

Livia sah ihn an: Seine Augen funkelten, und seine Stimme bebte vor tiefer Rührung, während er diese Worte aussprach. Sie hätte mehr über seine Gefühle erfahren wollen, sah aber, daß die Kolonne in der Ferne offenbar langsamer geworden war, und bedeutete ihrem Begleiter anzuhalten. »Es ist nichts«, sagte sie nach einer Weile. »Eine Schafherde überquert die Straße.«

Sie ritten im Gleichschritt weiter und hielten sich am Rand eines mit Büschen bewachsenen Streifens, der sich im Abstand von dreioder vierhundert Fuß an der Straße entlang zog.

»Fahr bitte fort!« sagte sie.

»Die Männer wurden sorgfältig aus anderen Truppen ausgewählt: Offiziere und Soldaten, Hilfskräfte und Techniker, zum größten Teil Italer und Bewohner der Provinzen des Römischen Reiches. Es wurden auch Barbaren aufgenommen, aber in sehr begrenzter Zahl, und nur Leute von bewährter Treue, deren Familien seit mehreren Generationen im Dienst des Staates standen. Sie wurden an einem geheimen Ort in Noricum zusammengeführt und dann fast ein Jahr lang täglich viele Stunden lang trainiert. Als die Legion zum erstenmal in eine Schlacht, auf das offene Feld, zog, erwies sich ihre Effizienz als tödlich: Mit der Wucht einer Kriegsmaschine drang sie in die feindliche Schlachtordnung ein und brachte den Gegnern schwere Verluste bei. Wir hatten das Beste der alten Technik beibehalten und zugleich auch von der modernen das Beste übernommen.«

»Und du? Wo hattest du dich gemeldet?«

Aurelius ritt eine Zeitlang wie in Gedanken versunken und blickte starr vor sich hin. Sie hielten sich auf halber Höhe zwischen den Wäldern, um nicht von Wulfilas Kundschaftern ertappt zu werden, die jetzt unaufhörlich die Flanken des Tales absuchten, um möglichen Überfällen zuvorzukommen. In diesen so unwirtlichen und wilden Gegenden sorgten sie sich mehr um die Briganten als um den unwahrscheinlichen Fall, daß irgend jemand dem Knaben zu Hilfe kommen wollte.

»Ich hab's dir doch gesagt«, erwiderte Aurelius plötzlich, »ich bin immer Teil der Legion gewesen. Ich erinnere mich an nichts anderes.« Und der Ton in seiner Stimme verriet unmißverständlich, daß dieses Thema für ihn beendet war.

So ritten sie schweigend weiter, und Livia machte ab und zu einen Abstecher und folgte einer Route, die entweder weiter oben am Berg oder weiter unten, zum Tal hin, verlief, weil sie das beharrliche Schweigen ihres Begleiters nicht ertragen konnte. Wenn sie wieder zusammentrafen, wechselte sie mit ihm nur wenige Worte über den Weg oder über die Schwierigkeiten des Geländes und entfernte sich dann erneut. Aurelius war eindeutig außerstande, sich von dem Alptraum des Massakers an seinen Kameraden, der Vernichtung seiner Truppe und der Unmöglichkeit, sie zu retten, zu befreien. An seiner Seite ritten Gespenster, bluttriefende Schatten junger Männer, die in der Blüte ihrer Jahre niedergemetzelt, von Männern, die bis zu ihrem letzten Atemzug grausam gefoltert worden waren. Er konnte ihre herzzerreißenden Schreie hören, ihre Rufe aus der Tiefe der Unterwelt. So ritten sie mehrere Stunden im Schritt, bis es zu dämmern begann und der Konvoi sich auf die Nacht vorbereitete. Livia bemerkte auf dem Gipfel eines Hügels, etwa eine Meile von Wulfilas Lager entfernt, eine Hütte und zeigte sie ihrem Begleiter. »Vielleicht könnten wir da oben übernachten und auch die Pferde unterstellen.« Aurelius pflichtete ihr mit einem Kopfnicken bei und trieb Juba auf den Wald zu, in die Richtung des Hügels.

Er trat als erster ein und vergewisserte sich, daß niemand drinnen war. Die Hütte schien für die Viehhüter zu sein, die die Kühe zur Weide trieben: In einer Ecke lag etwas Stroh, und hinter dem Gebäude, unter einer Art primitivem Vordach, fand er einige Ballen Heu und Stroh. Nicht weit davon ergoß sich ein Rinnsal in eine Tränke, einen ausgehöhlten Sandsteinblock, und das überfließende Wasser rann zwischen großen, moosbedeckten Steinen nach unten, wo es sich in einem natürlichen Becken sammelte. So war ein kleiner, kristallklarer Tümpel entstanden, in dem sich der Himmel und die umstehenden Bäume spiegelten. Während die Sonne unterging, erstrahlte der Wald in seinen herbstlichen Farben. An den Stämmen der Eichen rankten die Reben des wilden Weins empor; zwischen seinen großen, hochrot gefärbten Blättern sah man die kleinen Trauben mit ihren dunkelvioletten Beeren.

Aurelius kümmerte sich um die Pferde, band sie unter dem Vordach fest und breitete ein wenig Heu vor ihnen aus. Livia ging unterdessen zum Tümpel, zog sich aus und tauchte hinein. Bei der Berührung mit dem eiskalten Wasser erschauerte sie, aber der Wunsch, sich zu waschen, war stärker als die Kälte. Als Aurelius sich anschickte, den Hang hinterzusteigen, sah er ihren nackten Körper durch das glasklare Wasser gleiten, und er blieb, verzaubert von dieser markanten Schönheit, stehen, um sie ein paar Sekunden lang zu betrachten. Dann wandte er, verwirrt und beunruhigt, den Blick ab. Er wäre gern näher getreten, um ihr zu sagen, wie sehr er sie begehrte, aber der Gedanke, daß sie ihn zurückweisen könnte, war ihm unerträglich. So ging er zur Tränke und wusch sich seinerseits, zuerst den Oberkörper und die Arme und dann den Unterleib. Als Livia zurückkam, war sie in ihre Reisedecke gehüllt und hielt in der Rechten eine Harpune, auf der zwei große Forellen steckten.

»Es gab nur diese beiden«, sagte sie, »und sie waren wahrscheinlich darauf gefaßt zu sterben. Geh hinunter und hol meine Kleider, sie hängen an einem Ast beim Tümpel. Ich mache derweil Feuer.«

»Du bist ja wahnsinnig! Sie werden uns bemerken und uns jemanden auf den Hals jagen!«

»Sie können nicht hinter jeder Rauchsäule hersein, die in der Landschaft aufsteigt«, antwortete sie. »Und außerdem befinden wir uns in einer beherrschenden Position: Sollte irgend jemand versuchen, sich uns zu nähern, dann spieße ich ihn auf wie diese Forellen hier und schleppe ihn in den Wald: Es dauert es nur ein paar Stunden, und von ihm existieren nicht einmal mehr die Knochen! In dieser Zeit leiden auch die wilden Tiere Hunger.«