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Bei diesen Worten sahen die Männer einander an. »Wenn ihr uns das nicht verratet, werdet ihr es auch nie erfahren«, sagte schließlich Batiatus.

»Was soll diese ganze Geheimnistuerei? Los, raus mit der Sprache!« drängte Vatrenus.

»Auf uns könnt ihr euch verlassen. Unsere Freunde wissen das. Im Kampf haben wir immer versucht, uns gegenseitig zu schützen«, beharrten Demetrios und Orosius.

Aurelius wechselte einen raschen Blick mit Livia, und sie nickte erneut. Dann sagte er: »Wir wollen den Kaiser Romulus Augustus auf Capri befreien, wo er gefangengehalten wird.«

»Was hast du da gesagt?« fragte Vatrenus ungläubig.

»Das, was du gehört hast.«

»Beim Herkules!« fluchte Batiatus. »Das ist ja ein starkes Stück!«

»Ein starkes Stück? Ein Wahnsinn ist das! Er wird doch bestimmt von unzähligen Männern bewacht, die ihn keine Sekunde aus den Augen lassen«, rief Vatrenus aus.

»Diese verdammten Kerle mit ihren Sommersprossen«, knurrte Batiatus. »Wie ich die hasse!«

»Siebzig sind es insgesamt. Wir haben sie gezählt«, präzisierte Livia.

»Und wir sind fünf«, sagte Vatrenus und blickte seinen Kameraden der Reihe nach in die Augen.

»Sechs«, korrigierte Livia trotzig.

Vatrenus zuckte die Achseln.

»Unterschätze sie bloß nicht!« warnte ihn Aurelius. »Sie hat einem Kerl unten im Hafen fast die Hoden abgerissen, und der war stärker als du, und wenn ich nicht eingegriffen hätte, hätte sie ihm das Fell abgezogen wie einem Ziegenbock.«

»Na, na!« sagte Orosius und musterte das Mädchen.

»Und jetzt?« fragte Aurelius. »Ihr seid freie Leute. Ihr könnt gehen, und wir bleiben trotzdem Freunde. Und wenn wir uns eines Tages in irgendeiner Lasterhöhle wiedertreffen, dann ladet ihr mich auf einen Becher ein.«

»Und wie willst du das allein bewerkstelligen?« fragte Batiatus.

Vatrenus seufzte. »Ich habe verstanden. Wir sind vom Regen in die Traufe geraten, aber immerhin scheint man sich hier wenigstens amüsieren zu können. Kann man dabei auch zufällig ein bißchen was verdienen? Ich habe nämlich keinen roten Heller mehr, und ...«

»Tausend Goldsolidi pro Kopf«, antwortete Livia, »nach Beendigung des Unternehmens.«

»Bei allen Göttern!« rief Vatrenus. »Für tausend Solidi hole ich euch Zerberus höchstpersönlich aus der Unterwelt herauf!«

»Also, worauf warten wir noch?« fragte Batiatus. »Ich habe den Eindruck, daß alle einverstanden sind, oder täusche ich mich?«

Aurelius hob gebieterisch die Hand, und wieder trat Schweigen ein. »Es ist ein schwieriges Unterfangen«, sagte er, »bestimmt das schwierigste, das jeder einzelne von uns jemals durchgeführt hat. Es geht darum, auf die Insel zu gelangen, den Kaiser zu befreien und ihn dann quer durch Italien bis zu jenem Ort an der Adriaküste zu eskortieren, wo ein Schiff wartet, das ihn in Sicherheit bringen wird. Dort werden wir dann alle von Livia und den Leuten ausbezahlt, die sie mit diesem Auftrag betraut haben.«

»Und dann?« wollte Vatrenus wissen.

»Du fragst zuviel«, antwortete Aurelius. »Mir kommt es so vor, als sei es nicht gerade wenig gewesen, euch allein aus dieser Hölle herauszuholen! Vielleicht wird jeder seiner eigenen Wege gehen, oder vielleicht nimmt der Kaiser uns mit, oder vielleicht ... Ach, hören wir auf damit! Ich bin todmüde und möchte schlafen. Mit dem Licht des neuen Tages kommt uns allen sicher eine Erleuchtung. Jedenfalls müssen wir uns als erstes ein Boot besorgen, um näher an die Insel heranzukommen und die Lage zu erkunden. Dann sehen wir weiter. Wer übernimmt die erste Schicht der Nachtwache?«

»Die erste und die einzige, angesichts der vorgerückten Stunde. Ich mache das«, erbot sich Batiatus. »Ich bin nicht schläfrig, und außerdem bin ich in der Dunkelheit ja so gut wie unsichtbar.«

Völlig ausgepumpt und erschöpft, wie sie waren, wurden sie überall verfolgt, und ihnen drohten, sollte man sie tatsächlich schnappen, grauenhafte Strafen. Aber sie hatten die Herrschaft über ihr eigenes Schicksal zurückgewonnen und würden unter gar keinen Umständen zulassen, daß es ihnen noch einmal aus den Händen glitt. Lieber würden sie den Tod auf sich nehmen.

Die ersten Tage in seiner neuen Residenz auf Capri hatte Romulus als beinahe angenehm empfunden: Die Farben der Insel unter dem türkisblauen Himmel - das satte Grün der Pinienwälder und der Myrten- und Pistaziendickichte, das leuchtende Gelb der Ginsterbüsche und das Silbergrau der Oleandersträuche - vermittelten ihm in diesem magischen, blendenden Licht das Gefühl, sich in einem verzauberten Elysium zu befinden. Nachts glitzerte zitternd der Widerschein des Mondes auf den Meereswellen und ließ die Schaumkronen zwischen den Kieselsteinen am Ufer weiß aufblitzen, dort, wo sich die Brandung brach, oder rund um die großen Felsenspitzen, die wie zyklopische Türme aus dem Meer ragten. Der Wind trug den Salzgeruch herauf zu den Stufen der großen Villa, zusammen mit den tausend Düften dieses zauberhaften Eilandes: So hatte sich Romulus in seinen Kindheitsphantasien die Insel der Kalypso vorgestellt, auf der Odysseus sieben lange Jahre sein rauhes, steiniges Ithaka vergessen hatte.

Die Abendbrise wehte das Aroma der Feigen heran, den Duft nach Rosmarin und Minze, zusammen mit den durch die Entfernung gedämpften Lauten: Geblöke und die Rufe von Hirten und die Schreie der Vögel, die bei Sonnenuntergang in weiten Kreisen am karmesinroten Himmel schwebten. Die Segelschiffe kehrten in den Hafen zurück wie Schafe in ihren Stall, und in gemächlichen Kringeln stieg der Rauch aus den Häusern auf, die sich unten um die kleine stille Bucht drängten.

Ambrosinus hatte sofort begonnen, Kräuter und Mineralien zu sammeln, immer auf Sicht bewacht von den Posten; manchmal wurde er dabei von Romulus begleitet, dem er die Eigenschaften von Beeren, Wurzeln und Kräutern zu erklären versuchte. Nachts dagegen verbrachte er lange Stunden mit der Beobachtung des Himmels und der Bewegungen der Sternbilder, und er zeigte seinem Schüler den Großen und den Kleinen Bären mit dem Polarstern. »Das ist der Stern meiner Heimat«, sagte er, »Britannien, eine Insel, so groß wie ganz Italien, überzogen von grünen Wäldern und Wiesen, auf denen riesige Herden weiden, auch ganze Herden roter Ochsen mit großen schwarzen Hörnern. In den entlegensten Zipfeln des Landes geht im Sommer die Sonne niemals unter, ihr Licht leuchtet bis Mitternacht vom Himmel, und im Winter dauert die Nacht sechs Monate.«

»Eine Insel, so groß wie Italien«, wiederholte Romulus. »Ist denn so etwas überhaupt möglich?«

»Und ob«, erwiderte Ambrosinus und erinnerte ihn an die Um-schiffung durch den Admiral Agricola, der zu Zeiten Kaiser Traja-nus die ganze Insel umsegelt hatte.

»Und außer ... außer diesen unendlichen Nächten, was gibt es dort sonst noch, Ambrosinus?«

»Außerdem gibt es das letzte der aufgetauchten Länder, das Thule genannt wird. Es ist von einer zweihundert Ellen hohen Eismauer umgeben, wird Tag und Nacht gepeitscht von eisigen Winden und bewacht von Meeresschlangen und Ungeheuern mit Zähnen, die spitz sind wie Dolche. Niemand, der sich einmal dorthin gewagt hat, ist je wieder zurückgekehrt, mit Ausnahme eines griechischen Seefahrers aus Marseille namens Pytheas. Er hat einen ungeheuer großen Strudel beschrieben, der viele Stunden lang das Wasser des Ozeans schluckt und es dann mit einem entsetzlichen Tosen wieder ausspeit, zusammen mit den Gerippen von Schiffen und Seeleuten; er stößt das Wasser so weit, daß die Küsten und Strände meilenweit überflutet werden.« Romulus blickte Ambrosinus voller Verwunderung an und vergaß darüber sogar seinen Kummer.

Tagsüber gingen sie durch die großen Höfe oder auf den Terrassen spazieren, deren Stützmauern senkrecht über dem Meer errichtet waren. Wenn Ambrosinus im Schatten eines Baumes einen Stuhl fand, setzte er sich nieder, um seinem aufmerksam lauschenden Schüler Unterricht zu erteilen. Aber während die Tage vergingen, kam ihnen der Raum, den man ihnen zugewiesen hatte, immer enger vor, und selbst der Himmel rückte in immer weitere Entfernung und wurde immer gleichgültiger. Alles wirkte so beängstigend gleichförmig und unabänderlich: die Möwen und ihre Flugbahnen, die bewaffneten Wachen, die, gepanzerten Automaten gleich, auf den Stufen ihre Runden drehten; die Eidechsen, die sich an der letzten Herbstsonne wärmten und beim Geräusch nahender Schritte davonhuschten, um sich in den Ritzen der Mauern zu verstecken.