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Unterdessen wandte sich Aurelius, der schon am anderen Ende der Ebene angelangt war, um, ehe er in das Dickicht eines Eichenwaldes eintauchte, das sich vor ihm ausbreitete. Das letzte, was er sah, waren seine Kameraden, die nun von dem entsetzlichen Ansturm der Feinde überrannt wurden.

»Er hat es geschafft!« jubelte Antoninus von der Estrade des Feldlagers herunter. »Er ist im Wald, jetzt erwischen sie ihn nicht mehr. Uns bleibt noch eine Hoffnung!«

»Das stimmt«, erwiderte Vatrenus. »Unsere Kameraden auf der Brücke haben sich niedermetzeln lassen, um seinen Rückzug zu decken.«

In diesem Augenblick kam Batiatus aus dem Feldlazarett heraus.

»Wie geht es dem Kommandanten?« fragte Vatrenus.

»Der Chirurg hat seine Wunde kauterisiert, aber er sagt, daß die Pike ihm einen Lungenflügel durchbohrt hat. Er spuckt Blut, und das Fieber steigt.« Er ballte seine Riesenfäuste und preßte die Kiefer zusammen. »Ich schwöre, daß ich den ersten, der mir in die Hände fällt, niederschlage, zerquetsche und seine Leber vertilge ...«

Die Kameraden sahen ihn mit einer Art bewunderndem Staunen an: Sie wußten sehr wohl, daß dies keine leeren Worte waren.

Vatrenus wechselte das Thema. »Was für einen Tag haben wir heute?«

»Die Nonae des November«, antwortete Canidius. »Ist das so wichtig?«

»Vor drei Monaten um diese Stunde war Orestes gerade im Begriff, seinen Sohn dem Senat vorzustellen, und jetzt muß er ihn schon vor Odoakers Angriff schützen! Wenn Aurelius Glück hat, könnte er noch in finsterer Nacht eintreffen. Die Verstärkungen könnten dann im Morgengrauen aufbrechen und in zwei Tagen hier sein. Wenn Odoaker nicht schon sämtliche Pässe und Brücken hat besetzen lassen und wenn Orestes noch über treuergebene Truppen verfügt, die er sofort in Marsch setzen kann, und wenn ...«

Sein Redefluß wurde von dem Alarmgeschmetter, das von den Wachtürmen herunterdröhnte, und von den Rufen der Wachtposten unterbrochen: »Sie greifen an!«

Vatrenus reagierte wie auf einen Peitschenhieb. Er rief den Standartenträger: »Stellt die Insignien aus! Alle Mann auf die Gefechtsstände! Wurfmaschinen in Schußposition! Bogenschützen auf die Palisade! Legionäre der Nova Invicta, dieses Feld ist ein Zipfel Roms, heiliges Land der Vorfahren. Verteidigen wir es um jeden Preis! Zeigt diesen wilden Tieren, daß die römische Ehre noch lebendig ist!«

Er ergriff einen Wurfspieß und bezog seinen Posten auf den Erdwällen. Im selben Augenblick brach von den Hügeln herunter das Geschrei der heranflutenden Barbaren los, und Tausende und Abertausende von Reitern ließen mit ihrer wütenden Attacke die Erde erbeben. Sie zogen Karren und Lafetten hinter sich her; diese waren beladen mit zugespitzten Pfählen, die gegen die Befestigungsanlagen des römischen Lagers geschleudert werden sollten. Die Verteidiger drängten sich zur Palisade, spannten die Sehnen der Bogen und drückten krampfhaft die Spieße in der Faust. Sie waren blaß vor Anspannung, und ihre Stirn war feucht vom Nebel und von ihrem kalten Schweiß.

II

Orestes nahm die Gäste am Eingang seiner auf dem Hügel gelegenen Villa persönlich in Empfang: Es handelte sich um prominente Persönlichkeiten der Stadt, Senatoren und hohe Offiziere des Heeres mit ihren Familien im Gefolge. Die Lampen brannten, und gleich sollte das Abendessen serviert werden: Alles war bereit zur Feier des dreizehnten Geburtstages seines Sohnes und der Vollendung des dritten Monats seit seiner Thronbesteigung. Man hatte lange überlegt, ob das Bankett verschoben werden sollte, angesichts der dramatischen Situation, die durch den Aufstand Odoakers und seiner herulischen und skirischen Hilfstruppen entstanden war, aber am Ende hatte man beschlossen, das Programm nicht zu ändern, um keine Panik zu verbreiten. Seine am besten ausgebildete Truppe, die Nova Invicta, die nach Art der alten Legionen ausgerüstet war, rückte in Gewaltmärschen heran; sein Bruder Paulus näherte sich an der Spitze weiterer ausgewählter Soldaten von Ravenna her, und so würde die Rebellion bald eingedämmt sein.

Doch seine Gemahlin, Flavia Serena, machte einen besorgten und übellaunigen Eindruck. Orestes hatte bis zu diesem Moment versucht, ihr die Katastrophe des Falls von Pavia zu verheimlichen, aber ihn beschlich die Angst, daß sie womöglich viel mehr wußte, als sie zu erkennen gab.

Finster und niedergeschlagen dreinblickend, hielt sie sich abseits, in der Nähe der Tür des getäfelten großen Saales, und ihr Verhalten wirkte auf Orestes wie ein schwerer Vorwurf: Flavia hatte sich immer dagegen ausgesprochen, daß Romulus den Thron bestieg, und das Fest hatte sie über die Maßen erbost. Orestes trat an sie heran und versuchte dabei, seine innere Beunruhigung und seinen Mißmut zu verhehlen. »Warum hältst du dich so abseits? Du bist die Herrin des Hauses und die Mutter des Kaisers. Du solltest im Zentrum der Aufmerksamkeit und der Feierlichkeiten stehen!«

Flavia Serena sah ihren Mann an, als habe er unsinniges Zeug geredet, und antwortete ihm schroff: »Du wolltest deinen Ehrgeiz dadurch befriedigen, daß du ein unschuldiges Kind einer tödlichen Gefahr aussetzt.«

»Er ist kein Kind mehr. Er ist fast ein Jüngling und bestens darauf vorbereitet, ein großer Herrscher zu werden. Darüber haben wir schon oft diskutiert, und ich habe gehofft, daß du mich wenigstens heute mit deiner üblen Laune verschonen würdest. Schau doch, wie glücklich unser Sohn ist. Auch sein Erzieher, Ambrosinus, ist zufrieden: Er ist ein weiser Mann, dem auch du immer dein Vertrauen geschenkt hast.«

»Du bist ein Träumer, Orestes. Was du aufgebaut hast, ist doch bereits am Zerfallen. Odoakers barbarische Truppen, die deine Macht eigentlich stützen sollten, haben rebelliert und bringen überallhin nur Tod und Zerstörung.«

»Ich werde Odoaker zwingen, zu verhandeln und einen neuen Vertrag zu unterzeichnen. Es ist nicht das erste Mal, daß solche Dinge passieren. Und es steht ihnen auch nicht zu, den Zusammenbruch jenes Reiches auszulösen, dessen Ländereien und Sold sie in Empfang nehmen.«

Flavia Serena seufzte und senkte für ein paar Sekunden den Blick, dann sah sie ihren Mann an: »Trifft es zu, was Odoaker behauptet? Stimmt es, daß du ihm als Lohn ein Drittel Italiens versprochen und dann dein Wort nicht gehalten hast?«

»Das ist falsch. Er ... er hat eine meiner Aussagen falsch interpretiert.«

»Das ändert nicht viel an der Lage: Wenn er sich behaupten wird, wie wirst du dann wohl unseren Sohn schützen können?«

Orestes nahm ihre Hände in seine. Der Lärm des Festes schien nachgelassen zu haben, als wäre alles weit weg, gedämpft von der Angst, die zwischen ihnen aufstieg wie ein nächtlicher Alptraum. In der Ferne bellte ein Hund, und Orestes bemerkte, wie ein Zittern durch die Hände seiner Gattin lief. »Sei unbesorgt«, sagte er zu ihr. »Wir haben nichts zu befürchten, und weil du weißt, daß du mir vertrauen kannst, sage ich dir etwas, was ich dir nie zuvor gesagt habe: In diesen Jahren habe ich in großer Heimlichkeit eine Spezialtruppe aufgestellt, eine treuergebene und starke Kampfeinheit, die nur aus Italern und Bewohnern der römischen Provinzen besteht und ausgerüstet ist wie die Legionen in früheren Zeiten. Ich habe sie unter den Befehl von Manilius Claudianus gestellt, einem Offizier aus der alten Aristokratie, einem Mann, der lieber sterben würde als sein Wort zu brechen. Diese Soldaten haben ihre unglaubliche Tapferkeit schon an mehreren Abschnitten unserer Grenze unter Beweis gestellt, und jetzt rücken sie, auf meinen Befehl, in Gewaltmärschen an. Sie könnten innerhalb von zwei oder drei Tagen hier sein. Und auch mein Bruder Paulus führt ein weiteres Kontingent an, das sich von Ravenna aus auf dem Marsch hierher befindet. Und jetzt bitte ich dich, komm und laß uns zu unseren Gästen gehen.«