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Romulus hielt den Rand fest, schob die Platte mit Mühe noch ein wenig weiter auf und legte in die Mitte des Spaltes einen Stein, damit die Platte nicht hinter ihm zufallen konnte. Dann stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus und trat ein.

Sobald seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, bot sich ihm ein noch atemberaubenderer Anblick dar: Vor ihm stand eine herrliche Statue, gemeißelt aus verschiedenen mehrfarbigen Marmorarten, die die Farben der Natur nachahmten, ausgestattet mit echten, feingetriebenen Waffen.

Romulus hob langsam den Blick, um jede Einzelheit zu erforschen, von dem über den muskulösen Waden gebundenen Schuhwerk über den Brustpanzer, der mit Bildern von Medusen und Seeungeheuern mit schuppigen Schwänzen verziert war, bis hinauf zu dem strengen Gesicht mit der Adlernase und dem grimmigen Blick des dietator perpetuus: Es war Julius Cäsar! Über die Oberfläche des Bildnisses flirrte ein seltsames Leuchten, ähnlich dem Reflex einer unsichtbaren Wellenbewegung, und Romulus bemerkte, daß ihn ein magisches blaßblaues Licht von unten, von einer marmornen Brunnenumrandung aus beleuchtete, die er auf den ersten Blick mit einem Weihaltar verwechselt hatte. Romulus beugte sich über den Rand und sah unten auf dem Grund ein bläuliches Schimmern, ein sich ständig änderndes Licht. Er ließ einen Stein hineinfallen und spitzte die Ohren, um lange ein Abprallen und Rollen zu vernehmen, ehe er hörte, wie der Stein auf das Wasser aufschlug und von ihm verschluckt wurde. Der Weg mußte lang, die Fallhöhe gewaltig sein.

Er wich zurück, ging um die Statue herum und betrachtete sie mit noch größerer Aufmerksamkeit. Er sah einen breiten Gürtel, an dem die Schwertscheide hing, und sie schien ihm von einer Wirklichkeitstreue, wie sie sonst an keiner Statue, ob aus Marmor oder Bronze, anzutreffen war. Er stieg auf ein Kapitell und streckte die zitternde Hand aus, um den Griff des Schwertes zu berühren und dann zu drücken, und dabei versuchte er gleichzeitig, dem grimmigen Blick des Diktators auszuweichen, der wirkte, als wolle er ihn wie ein Blitz treffen. Er zog ein wenig an dem Schwert. Es folgte gehorsam seiner Hand und glitt aus der Scheide, in der es steckte: Eine Klinge, wie er sie nie zuvor gesehen hatte, scharf wie ein Rasiermesser, glänzend wie Glas, dunkel wie die Nacht. Darauf eingeritzt waren Buchstaben, die er im Augenblick nicht entziffern konnte. Jetzt hielt er es mit beiden Händen fest, eine Handbreit vom Gesicht entfernt, und zitterte bei diesem Anblick wie Espenlaub: Vor sich hatte er das Schwert, das die Gallier und die Germanen, die Ägypter und die Syrer, die Numider und die Iberer bezwungen hatte. Das Schwert Julius Cäsars!

Das Herz schlug ihm zum Zerspringen, und wieder fiel ihm ein, daß Ambrosinus sich ängstigen mußte, weil er ihn nirgendwo sah, und er dachte an Wulfilas Wut. Er überlegte, ob er das Schwert an seinen Platz zurückstecken sollte, aber eine Macht, die stärker war als sein Wille, hinderte ihn daran. Er wollte und er konnte sich nicht davon trennen.

Er nahm den Umhang ab, wickelte es darin ein und kehrte auf dem gleichen Weg, den er gekommen war, zurück und schob die Platte wieder vor. Dann warf er noch einen letzten Blick auf den säuerlich dreinblickenden Diktator, ehe er aus seinem Gesichtskreis verschwand, und murmelte: »Ich behalte es nur eine Zeitlang ... nur ein bißchen, und dann bringe ich es dir zurück ...«

Mühsam tauchte er wieder aus dem unterirdischen Raum auf und spähte, unter der Traufe angelangt, in alle Richtungen, wartete auf den Moment, da ihn keiner sehen konnte, und kroch hinter eine Reihe von Büschen. Dann erreichte er, verborgen hinter einer Leine, auf der Wäschestücke trockneten, keuchend sein Zimmer und versteckte das Bündel unter dem Bett. Draußen hallte die ganze Villa von Rufen und Schreien und von einem diffusen Getrampel wider, das ein fieberhaftes Kommen und Gehen der Wachen verriet, die ihn nicht ausfindig machen konnten. Er stieg ins Erdgeschoß hinunter, ging durch die Ställe, wo er sich mit Spreu beschmutzte, und trat endlich ins Freie. Einer der Barbaren erblickte ihn sofort und brüllte: »Das ist er! Ich habe ihn gefunden!« Und er hielt ihn brutal an einem Arm fest und zerrte ihn zur Wachstube. Aus dem Inneren drangen Klagelaute, die Romulus einen Stich ins Herz gaben: Ambrosinus mußte für die zeitweilige Abwesenheit seines Schülers bitter bezahlen.

»Laßt ihn los!« rief er, entwand sich seinem Wächter und stürzte hinein. »Laßt ihn sofort los, ihr Schurken!« Ambrosinus, der regungslos auf einem Schemel saß, hatte die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Er blutete stark aus Nase und Mund, und seine linke Wange war geschwollen. Romulus lief zu ihm und umarmte ihn fest. »Verzeih mir, verzeih mir, Ambrosinus«, sagte er. »Das habe ich nicht gewollt, wirklich nicht gewollt ...«

»Es ist schon gut, mein Junge, ist schon gut«, erwiderte der Alte. »Das Wichtigste ist, daß du wieder da bist. Ich hatte mir deinetwegen schon Gedanken gemacht.«

Wulfila packte Romulus an den Schultern und zog ihn so nach hinten, daß er auf den Boden fiel. »Wo hast du gesteckt?« brüllte er.

»Ich bin im Stall gewesen und auf dem Stroh eingeschlafen«, antwortete Romulus, während er mit einem Ruck wieder aufstand und ihm mutig entgegentrat.

»Du lügst!« schrie der andere und traf ihn mit einem Hieb, der ihn mit aller Macht gegen die Wand schleuderte. »Wir haben alles abgesucht!«

Romulus wischte sich das Blut ab, das ihm aus der Nase rann, und trat noch einmal auf ihn zu, mit einem Mut, der Ambrosinus verblüffte. »Dann habt ihr nicht richtig gesucht«, erwiderte er. »Siehst du nicht, daß ich noch Spreu auf den Kleidern habe?«

Wulfila holte erneut aus, um ihn zu schlagen, aber Romulus blickte ihn unerschrocken an und sagte: »Wenn du noch einmal wagst, meinen Lehrer anzurühren, ziehe ich dir die Haut ab wie einem Schwein. Das schwöre ich dir.«

Der Barbar brach in dröhnendes Gelächter aus. »Womit denn? Jetzt verschwinde und danke deinem Gott, daß ich heute gut aufgelegt bin. Weg mit euch, habe ich gesagt, weg mit dir und deiner alten Küchenschabe!«

Romulus band Ambrosinus die Fesseln los und half ihm aufzustehen. Der Lehrer sah in den Augen seines Schülers einen mutigen und stolzen Glanz, den er zuvor noch nie gesehen hatte, und war davon so beeindruckt wie von einem Wunder, einer unerwarteten Erscheinung. Romulus stützte ihn liebevoll und führte ihn, unter dem Gelächter und Gespött der Barbaren, in seine Kammer. Doch diese euphorische, fast schon frenetische Freude zeigte, daß die Leute bis vor kurzem noch von Angst gepackt waren. Ein Junge von dreizehn Jahren war der Kontrolle und Aufsicht von siebzig der besten Soldaten der kaiserlichen Armee entwischt, für länger als eine Stunde, und hatte alle in Angst und Schrecken versetzt.

»Wo hast du gesteckt?« fragte Ambrosinus, sobald sie allein in ihrem Zimmer waren.

Romulus nahm ein feuchtes Tuch und begann, ihm das Gesicht zu säubern. »An einem geheimen Ort«, erwiderte er. »Wie bitte? In dieser Villa gibt es keine geheimen Orte.« »Es gibt unter dem Boden des Innenhofs einen Geheimgang, und ich ... und ich bin hineingefallen«, log er. »Im Lügen bist du schlecht. Sag mir die Wahrheit.« »Ich bin hineingegangen, von einem Abflußgitter aus. Ich habe gespürt, daß dort Luft entweicht, habe es geöffnet und bin hinuntergestiegen.«

»Und was hast du da unten gefunden? Ich hoffe, etwas, wofür sich all diese Prügel, die ich deinetwegen einstecken mußte, gelohnt haben.«