»Bevor ich dir antworte, muß ich dir eine Frage stellen.«
»Und die wäre?«
»Was ist über das Schwert Julius Cäsars bekannt?«
»Wirklich eine komische Frage. Laß mich nachdenken ... Also, nach Cäsars Tod gab es eine lange Zeit der Bürgerkriege: auf der einen Seite Octavianus und Marcus Antonius, auf der anderen Brutus und Cassius, die beiden, die die Verschwörung an den Iden des März angezettelt hatten, bei der Cäsar ermordet wurde. Wie du sehr wohl wissen solltest, gab es eine entscheidende Schlacht bei Philip-pi, in Griechenland, in der Brutus und Cassius besiegt und getötet wurden. So blieben Octavianus und Marcus Antonius übrig, die sich einige Jahre lang die Macht über das Römische Reich teilten:
Octavianus über den Westen, Marcus Antonius über den Osten. Doch schon bald verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den beiden, weil Marcus Antonius sich geweigert hatte, Octavianus' Schwester zu heiraten, und Cleopatra, der faszinierenden Königin von Ägypten, den Vorzug gegeben hatte. Antonius und Cleopatra wurden in einer großen Seeschlacht bei Actium besiegt und flüchteten nach Ägypten, wo sie sich das Leben nahmen, zuerst er, dann sie. Octavianus war nun der alleinige Beherrscher der Welt und bekam vom Senat den Titel Augustus verliehen. Zu dieser Zeit ließ er auf dem Forum Romanum den Tempel des Mars Ultor, des Rächers, errichten und legte dort das Schwert Julius Cäsars nieder. Im Laufe der Jahrhunderte, als die Barbaren kamen und Rom aus nächster Nähe bedrohten, wurde das Schwert aus dem Tempel entfernt und versteckt. Ich glaube, es war Valenanus oder Galhenus oder vielleicht irgendein anderer Kaiser. Ich habe auch gehört, Konstantinus habe es genommen, um es nach Konstantinopel, in seine neue Hauptstadt, zu bringen. Es heißt auch, daß das Schwert zu irgendeinem Zeitpunkt durch eine Kopie ersetzt worden sei, aber wo das Original geblieben ist, weiß niemand.«
Romulus sah ihn mit einem rätselhaften, zugleich aber auch triumphierenden Blick an. »Jetzt zeige ich dir etwas«, sagte er. Er ging zum Fenster und zur Tür, um sich zu versichern, daß niemand in der Nähe war, dann beugte er sich unter das Bett und zog das Bündel hervor, das er dort versteckt hatte, während sein Lehrer ihm, neugierig geworden, zusah.
»Schau!« rief er. Und er wickelte das wunderbare Schwert aus. Ambrosinus betrachtete es verwundert, ohne ein Wort sagen zu können. Romulus hielt es auf seinen beiden ausgestreckten Händen, und man konnte den großartig gestalteten goldenen Griff in Form eines Adlerkopfes mit zwei Augen aus Topasen sehen. Der polierte Stahl der Klinge glänzte im Halbschatten.
»Das ist das Schwert von Julius Cäsar«, sagte Romulus. »Schau dir diese Inschrift an: Cai Iulii Caesaris ensis ca ...«, begann er zu buchstabieren.
»Du großer Gott!« unterbrach ihn Ambrosinus und streckte seine zitternden Finger in Richtung Klinge aus. »Du großer Gott! Das cha-lybische Schwert Julius Cäsars! Ich habe immer geglaubt, es sei seit Jahrhunderten verschollen. Aber wie hast es bloß gefunden?«
»Es war an seiner Statue, in der Schwertscheide, an einem geheimen Ort. Eines Tages, wenn sie wieder etwas nachlässiger sind mit unserer Bewachung, führe ich dich dorthin und zeige dir alles. Du wirst deinen Augen nicht trauen! Aber was hast du da vorhin für ein Wort gebraucht? Was ist ein chalybisches Schwert?«
»Es bedeutet einfach, geschmiedet von den Chalybern, einem Volk südöstlich des Schwarzen Meeres, das berühmt ist für seine Fähigkeit, einen einzigartigen Stahl zu produzieren. Es heißt, daß Cäsar, als er den Krieg gegen Pharnakes, den König von Pontus, gewann ...«
»... als er sagte: >Veni, vidi, vici<?«
»Genau. Jedenfalls wird behauptet, daß ein Meisterschmied, dessen Leben er geschont hatte, es für ihn angefertigt habe aus einem Block Siderit, aus vom Himmel gefallenem Eisen. Der Meteor, den man auf einem Gletscher des Berges Ararat gefunden hatte, soll durch das Feuer gezogen, drei Tage und drei Nächte lang unablässig gehämmert und dann im Blut eines Löwen gehärtet worden sein.«
»Ist das möglich?«
»Durchaus«, antwortete Ambrosinus. »Ja, sogar sicher. Wir werden gleich wissen, ob das, was du gefunden hast, das stärkste Schwert der Welt ist. Los, nimm es in die Hand!«
Romulus gehorchte.
»Und jetzt schlag mit voller Kraft auf diesen Kandelaber.«
Romulus hieb zu, und die Klinge zischte durch die Luft, verfehlte aber um ein Haar das Ziel. Der Junge richtete sich auf und bereitete sich auf einen zweiten Versuch vor, doch Ambrosinus hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
»Diesmal mache ich es besser«, sagte Romulus, »paß auf ...«, doch er hielt, verblüfft über den verzückten und gerührten Blick seines Lehrers, inne.
»Was ist los, Ambrosinus? Warum siehst du mich so an?«
Der Hieb, der an dem Kandelaber vorbeigesaust war, hatte ein Spinnennetz, das in einer Ecke des Zimmers gespannt war, entzweigeschnitten, und der Spinne, die es gewoben hatte, nur die obere Hälfte gelassen, mit einem Schnitt von bestürzender Sauberkeit und Perfektion.
Ambrosinus trat näher, ungläubig angesichts dieses Wunders, und murmelte: »Schau, mein Kind, schau ... kein Schwert auf der Welt hätte so etwas je vollbringen können.«
Er blieb wie verzaubert stehen, um die Spinne zu beobachten, die ihre halbierte Wohnstätte verließ, einen Moment lang im goldenen Staub eines Sonnenstrahls schwebte, der durch eine Ritze im Fensterladen drang, und schließlich in der Dunkelheit verschwand. Dann wandte er sich um und suchte Romulus' Blick: In den Augen des Knaben glänzte jetzt dasselbe Licht stolzer Kühnheit wie in dem Augenblick, als er sich dem wilden Wulfila, ohne mit der Wimper zu zucken, zu seiner Verteidigung entgegengestellt hatte. Ein Licht, das er bei ihm niemals zuvor gesehen hatte ... derselbe metallische und schneidende Reflex, der auf der Schärfe dieser Klinge, in den herrlichen Augen des Adlers glitzerte. Und wie ein Gebet kamen ihm die alten Verse über die Lippen:
Vemet adulescens a man infero cum spatha..
»Was hast du gesagt, Ambrosinus?« fragte Romulus, während er das Schwert wieder in den Umhang wickelte.
»Nichts ... nichts ...«, erwiderte sein Erzieher. »Ich bin nur glücklich ... glücklich, mein Junge.«
»Warum? Weil ich dieses Schwert gefunden habe?«
»Weil der Augenblick gekommen ist, diesen Ort zu verlassen. Und niemand wird uns daran hindern können.«
Romulus sagte nichts: Er legte das Schwert zurück, ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Ambrosinus kniete sich auf den Boden, drückte zwischen beiden Händen den Mistelzweig, den er am Hals hängen hatte, und betete, aus der Tiefe seines Herzens, daß sich die Worte, die er soeben ausgesprochen hatte, bewahrheiten mochten.
XVI
Romulus saß auf einer Holzbank und stocherte mit einem Stock in einem Ameisenhaufen herum. Das kleine Volk, das sich bereits auf den Winter eingerichtet hatte, war in Panik geraten, und die Ameisen flitzten in alle Richtungen und versuchten, die Eier ihrer Königin in Sicherheit zu bringen. Ambrosinus, der gerade vorbeikam, trat an Romulus heran und fragte: »Wie geht es heute meinem kleinen Cäsar?«
»Schlecht. Und nenne mich nicht so. Ich bin nichts.«
»Aber du läßt deine Frustration an diesen armen unschuldigen Tierchen aus! Vergleichsweise hast du unter ihnen keine geringere Tragödie ausgelöst als es der Fall von Troja oder zu Neros Zeiten der Brand von Rom gewesen waren. Ist dir das klar?«
Verärgert warf Romulus das Stöckchen weg. »Ich will meinen Vater wiederhaben und auch meine Mutter. Ich will nicht allein sein, und ich will kein Gefangener sein. Warum ist mein Schicksal nur so grausam?«
»Glaubst du an Gott?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das solltest du aber tun. Niemand ist Gott näher als der Kaiser. Er ist sein Stellvertreter auf Erden.«
»Ich erinnere mich an niemanden, der nach der Besteigung des Thrones länger als ein Jahr Kaiser gewesen wäre. Vielleicht sollte Gott sich weniger kurzlebige Stellvertreter auf Erden aussuchen. Meinst du nicht auch?«