»Und wie das?« fragte Vatrenus.
Aurelius wechselte einen Blick mit Livia, um sich ihrer Zustimmung zu versichern. »Mit einem Trick, der so alt ist wie die Welt - dem des Trojanischen Pferdes.«
Mit einem langen Blick suchte Batiatus die Wand bis zur oberen Mauer der Villa Elle für Elle ab und seufzte: »Zum Glück bleibe ich unten. Ich möchte nicht in eurer Haut stecken.«
»Nichts ist daran so schrecklich«, sagte Livia. »Es hat schon einmal einen einzelnen Mann gegeben, der mit bloßen Händen dort hinaufgekraxelt ist.«
»Das kann ich nicht glauben«, erwiderte Batiatus.
»Und doch ist es so. Zu Tiberius' Zeiten wollte ein Fischer dem Kaiser eine riesengroße Languste schenken, die er soeben gefangen hatte, und da man ihn nicht zum Hauptportal hereinließ, kletterte er vom Meer aus die Felswand hoch.«
»Beim Herkules!« rief Vatrenus aus. »Und wie ist die Sache ausgegangen?«
Livia verzog ein wenig den Mund. »Das verrate ich euch erst, wenn die Mission beendet ist. Und jetzt würde ich sagen, daß wir umkehren sollten, bevor der Wind sich dreht.« Sie holte die Leine ein, während Demetrios mit dem Ruder so manövrierte, daß er das Segel an den Wind stellte, und das Boot wendete in einem weiten Bogen, so daß der Bug landeinwärts schaute. Aurelius warf einen letzten Blick auf die Stufen der Villa und sah dort deutlich eine gespenstische Gestalt auftauchen: einen hünenhaften Krieger, der in einen von der Brise geblähten Umhang gehüllt war.
Wulfila.
Drei Tage später fuhr gegen Abend ein Lastschiff in den kleinen Hafen ein. Der Kapitän rief den Ladearbeitern etwas zu und warf ihnen das Ankertau entgegen. Vom Heck schleuderte der Steuermann ein zweites Tau herab, und das Schiff legte an. Die Auslader gingen zum Landesteg, und die Träger begannen, die kleineren Frachtstücke zu entladen: Säcke mit Getreidekörnern und Mehl, Bohnen und Kichererbsen sowie Amphoren, gefüllt mit Wein, Essig und eingekochtem Most. Dann rollten sie ein Hebegerät für die schwereren Lasten heran: sechs große Tonkrüge mit einem Fassungsvermögen von je fünfhundert Litern, drei davon gefüllt mit Olivenöl und drei voller Trinkwasser für die Bewohner der Villa.
Livia, die im Heck zwischen den Säcken kauerte, vergewisserte sich, daß niemand zu ihr herübersah, und kroch dann auf einen der Krüge zu. Sie hob den Deckel des ersten hoch und fand ihn mit Wasser gefüllt. Sie warf eine Rolle Seil hinein, dann stieg sie selbst in den Krug und schloß den Deckel über ihrem Kopf. Etwas Wasser schwappte über den Rand, aber alle waren so sehr mit dem Entladen beschäftigt, daß es niemandem auffiel. Nun wurden die riesigen Gefäße nacheinander mit dem Kran hochgehoben und auf ein Fuhrwerk gehievt, das von zwei Paar Ochsen gezogen wurde. Als sie mit dem Beladen fertig waren, ließ der Fuhrmann die Peitsche knallen und rief: »Hü! Hü!«, und der Wagen zockelte auf der steilen, schmalen Straße los, die zur Villa hinaufführte. Als er dort eintraf, lag der untere Teil der Insel bereits im Schatten, während der letzte Widerschein der untergegangenen Sonne noch die Federwolken am Himmel und die Dächer der höchstgelegenen Teile der weitläufigen Residenz rot färbte. Das große Portal wurde geöffnet, und der Karren, dessen Räder auf dem Steinpflaster schrecklich laut rasselten, fuhr in den unteren Hof ein. Gänse und Hühner stoben, wie wild mit den Flügeln schlagend, in alle Richtungen davon; die Hunde bellten, und sofort begannen Diener und Träger geschäftig mit dem Entladen der Waren.
Der Aufseher des Gesindes, ein alter Neapolitaner mit runzeliger Haut, rief seinen Leuten, die auf der oberen Terrasse schon den Lastenaufzug bereitgestellt hatten, etwas zu, und sie ließen die Hebebühne mit Hilfe einer Winde so weit herunter, daß sie bis zur Ladepritsche des Fuhrwerks reichte. Der erste der Krüge wurde gekippt, bis zu der Plattform gerollt, und dort dann mit Seilen und Keilen gesichert. Der Aufseher legte die Hände wie einen Trichter um den Mund und brüllte: »Hau ruck!« Die Diener drehten die Griffe der Winde, und die Plattform schwebte, stöhnend und knirschend und zuerst hin und her schwankend, in der Luft, bis sie ganz langsam anfing, sich auf die obere Terrasse zuzubewegen.
Auf der anderen Seite der Villa, am Fuße der Steilwand, sprang Batiatus an Land und zog das Boot achtern bis dicht an die kleine Bucht heran, die von großen Kieselsteinen und spitzen Felsen umrahmt war. Gerade war ein Wetterumschwung im Gange: Kalte Windböen kräuselten die Wellen des Meeres und wühlten ganze Stöße von Schaum auf, während vom Westen eine Front schwarzer Wolken heranzog, durch die immer wieder grelle Blitze zuckten. Das Grummeln des Donners vermischte sich mit dem dumpfen Grollen des fernen Vesuvs.
»Ein Sturm hat uns gerade noch gefehlt!« knurrte Vatrenus, während er zwei Seilrollen aus dem Boot holte.
»Besser so!« sagte Aurehus. »Die Wachen werden sich ins Trockene verkriechen, und wir haben mehr Handlungsfreiheit. Los, vorwärts, die Zeit fliegt uns davon!«
Batiatus sicherte das Achtertau, indem er es um einen Felsblock wickelte, und machte Demetrios ein Zeichen, damit er den Buganker abließ. Dann sprangen alle an Land. Jeder trug über seiner Tunika ein mit Leder oder Kettenpanzerung verstärktes Korsett, eine enganliegende Hose, einen breiten Gürtel mit Schwert und Dolch sowie einen Helm aus Eisen. Aurelius begab sich an den Fuß des Felsens und atmete tief durch, wie er es immer tat, wenn er im Begriff war, sich einem Feind entgegenzustellen. Von unten gesehen, hatte der erste feil der Wand eine leichte Neigung, die einen nicht allzu beschwerlichen Aufstieg ermöglichte.
»Wir müssen zu zweit bis zu dem Grat aufsteigen, dorthin, wo man diese hellere Gesteinsader sieht«, sagte Aurelius. »Ich bringe das Seil mit den dazwischengeknüpften Stäben mit, das uns als Sprossenleiter dienen wird. Du, Vatrenus, nimmst den Sack mit den Haken und dem Hammer. Livia sollte uns dann von oben das andere Seil herunterwerfen, damit wir den zweiten Abschnitt, den steileren, überwinden können. Notfalls werden wir im freien Anstieg hinaufgehen: Wenn das dieser Fischer geschafft hat, können wir es auch.« Dann wandte er sich an Batiatus: »Bei unserer Rückkehr mußt du das untere Ende des Seils ganz strammziehen, damit es nicht im Wind schwankt: Der Junge könnte sonst Angst bekommen oder das Gleichgewicht verlieren und abstürzen, vor allem, wenn es zu regnen anfängt und alles viel rutschiger wird. Los, gehen wir, solange es noch etwas hell ist.«
Vatrenus hielt ihn am Arm fest: »Bist du sicher, daß deine Schulter das aushält? Vielleicht wäre es besser, wenn Demetrios hinaufgeht. Der ist ja auch leichter.«
»Nein, ich gehe. Meine Schulter ist schon in Ordnung. Mach dir keine Sorgen.«
»Du bist ein Dickschädel, und wenn wir im Feldlager wären, würde ich dir schon zeigen, wer das Kommando hat, aber hier entscheidest du, und das ist auch gut so. Los, gehen wir!«
Aurelius hängte sich die Seilrolle über die Schulter und fing an hinaufzuklettern. Unweit von ihm begann Vatrenus den Aufstieg mit einer schweren Ledertasche: Sie enthielt den Hammer und die Zeltpflöcke, die er benutzen würde, um Aurelius' Seil am Fels zu befestigen, sobald er einen Punkt erreichte, an dem er Halt finden würde.
Im unteren Hof der Villa hievte man gerade den fünften der großen Krüge in die Höhe, als eine plötzliche Sturmbö die Hebebühne ins Wanken brachte. Eine zweite Bö verursachte eine noch größere Schwankung, so daß das Gewicht des riesigen Gefäßes, das bereits auf halber Höhe zwischen dem Pflaster des Hofes und der oberen Terrasse schwebte, das schwache Hebeseil, das sie trug, zerriß. Der Krug fiel hinunter und zerbarst beim Aufschlag auf den Boden mit donnerndem Getöse; die Tonscherben flogen nur so durch die Gegend, während sich am Boden ein gewaltiger Ölfleck ausbreitete. Einige der Männer trugen Verletzungen davon, andere wurden von Kopf bis Fuß mit Öl bespritzt und in groteske Gestalten verwandelt, die triefend und auf wackeligen Füßen dastanden. Der Aufseher fluchte, trat nach ihnen und schrie, außer sich vor Wut: »Ausgerechnet das Öl müßt ihr verschütten, ihr verdammten Blödiane! Aber dafür müßt ihr mir büßen, und wie ihr mir dafür büßen müßt!«