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Der Angestellte schüttelte sich, schlug die Augen auf und begriff, sobald er den Mann, der vor ihm stand, angesehen hatte, schlagartig, daß diese Worte der Wahrheit entsprechen mußten. Aurelius' Gesicht war von der Anstrengung entstellt, seine Züge verzerrt vor Anspannung und Strapazen. »Komm mit!« sagte er zu ihm und nahm im Vorbeigehen ein Stück Brot und eine Flasche Wein von einer Anrichte und reichte ihm beides, damit er einen Schluck trinken und einen Bissen essen konnte, während sie durch den Gang liefen und die Treppen zum Stall hinunterstiegen: Es war klar, daß er keinen Augenblick hier verweilen würde, um sich zu stärken. Die Boxen im Stall waren zum größten Teil leer, aber im Halbdämmer standen, kaum erkennbar, drei oder vier Pferde. Der Leiter der Station hob die Laterne hoch, um sie zu beleuchten. »Nimm diesen hier«, sagte er und zeigte auf einen stämmigen Rappen mit glattem, glänzendem Fell, »das ist ein großartiges Tier. Es heißt Juba. Es hat einem hohen Offizier gehört, der nicht mehr zurückgekommen ist, um es abzuholen.« Aurelius biß ein letztes Mal in den Brotlaib, nahm noch einen Schluck Wein, dann sprang er auf den Rücken des Tieres und trieb es die Rampe hinauf. Dabei rief er: »Ha! Ha! Juba!«

Mit einem großen Satz gelangte er ins Freie, wie eine verdammte Seele, die der Unterwelt entflieht, und stob in wildem Galopp davon. Er ritt über die Konsularstraße und bog in einen Pfad ein, der im blassen Schein des Mondes weiß in der Landschaft schimmerte. Auch der Leiter der Station trat ins Freie und rief, in der einen Hand ein Register und einen Griffel, in der anderen die Laterne haltend: »Die Quittung!« Aber Aurelius war bereits weit entfernt, und Jubas Galopp verlor sich in der Landschaft.

Mit leiser Stimme, als würde er mit sich selbst sprechen, wiederholte der Mann: »Du mußt mir noch die Quittung unterschreiben.« Als ihn später ein gedämpftes Wiehern wach rüttelte, bemerkte er Aurelius' Fuchs, der vor Schweiß dampfte. Er nahm ihn am Zügel und führte ihn in den Stall, »Komm, mein Schöner, sonst geschieht noch ein Unheil. Du bist ja ganz schweißgebadet und hast bestimmt auch Hunger, hast bestimmt nichts gefressen, genausowenig wie dein Herr, darauf könnte ich wetten.«

Ein fahler Schein begann sich soeben über den Horizont zu ergießen, als Aurelius in Sichtweite der Villa von Flavius Orestes eintraf. Schlagartig wurde ihm klar, daß er zu spät gekommen war: Eine Säule aus dichtem schwarzem Rauch erhob sich aus dem schon halb eingestürzten Gebäude, und rundum zeigte alles die Spuren einer wilden Zerstörungswut. Er band das Pferd an einen Baum und ging vorsichtig im Schutz einer Umfriedungsmauer weiter, bis er sich in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs befand. Die Flügel des großen Portals lagen am Boden; sie waren aus ihren Scharnieren gerissen worden und angesengt, und im Eingangshof häuften sich Dutzende von Leichen, die mit geronnenem Blut bedeckt waren. Viele waren Soldaten der kaiserlichen Garde, aber auch die Anzahl der in den heftigen Nahkämpfen gefallenen Barbaren war beträchtlich. Der Kampf mußte von erschreckender Grausamkeit gewesen sein:

Jeder lag dort, wo der Tod ihn ereilt hatte, und trug im Gesicht noch den Ausdruck, den das Grauen und das letzte Zucken im Todeskampf ihm eingeprägt hatten.

Nichts war zu hören bis auf das Prasseln der Flammen und hin und wieder das plötzliche Geräusch eines Balkens, der auf den Boden krachte, oder von Ziegeln, die von dem verbrannten Dachstuhl herunterfielen, auf den Fußboden prallten und zerbrachen. Inmitten dieser ganzen Verwüstung blickte Aurelius verwirrt und ungläubig um sich, und je mehr sich die Tragödie in ihrer ganzen gräßlichen Realität zeigte, desto größere Bedrückung empfand er, und er wurde von einer schier unerträglichen Beklemmung gepackt. Der Gestank nach Tod und Exkrementen verpestete jene Innenräume, die das Feuer noch nicht verzehrt hatte; die Leichen der entblößten und geschändeten Frauen und der noch blutjungen Mädchen lagen mit anstößig gespreizten Beinen neben denen ihrer niedergemetzelten Väter und Ehemänner. Überall war Blut - auf den Fußböden aus eingelegtem Marmor, auf den mit schönen Fresken verzierten Wänden, in den Atrien, in den Bädern, im Triklinium, auf den Tischen und den Speiseresten, selbst die Vorhänge, die Teppiche und die Tischwäsche waren damit getränkt.

Aurelius fiel auf die Knie und stieß einen Schrei ohnmächtiger Wut und Verzweiflung aus. Er verharrte lange in dieser Stellung, wobei er mit der Stirn fast die Knie berührte, bis er plötzlich durch ein Stöhnen aufgerüttelt wurde. War das möglich? Konnte nach diesem grauenhaften Blutbad noch irgend jemand am Leben sein? Er sprang auf, trocknete sich eilends die Tränen, die ihm über das Gesicht liefen, und wandte sich in die Richtung, aus der diese Klagelaute herüberwehten. Sie kamen aus dem Hof, von einem Mann, der mit dem Gesicht nach unten in einer großen Blutlache lag. Aurelius kniete neben ihm nieder und drehte ihn behutsam um, damit er ihm ins Gesicht sehen konnte. Obwohl der Mann schon vom Tod gezeichnet war, erkannte er die Insignien und die Uniform wieder. Er murmelte: »Legionär ...«

Aurelius rückte noch etwas näher an ihn heran. »Wer bist du?« fragte er ihn.

Der Mann atmete mühsam, und jeder Atemzug mußte ihm schreckliche Qualen bereiten. Er antwortete: »Ich bin Flavius ... Orestes.«

Aurelius zuckte zusammen. »Kommandant«, sagte er. »Oh, ihr Götter ... Kommandant, ich gehöre zur Nova Invicta.« Und dieser Name klang in seinen Ohren wie eine Ironie des Schicksals.

Orestes zitterte und klapperte mit den Zähnen, denn die Kälte des Todes hatte sich schon in seinem Körper eingenistet. Aurelius nahm seinen Umhang ab, deckte Flavius Orestes zu, und diese Geste des Mitgefühls schien diesen einen Moment lang zu ermutigen und ihm einen Hauch von Energie zurückzugeben. »Meine Frau, mein Sohn ...«, sagte er. »Sie haben den Kaiser gefangengenommen. Ich bitte dich, melde das der Legion! Ihr müßt ... sie befreien!«

»Die Legion ist von einer feindlichen Übermacht angegriffen worden«, erwiderte Aurelius. »Ich bin gekommen, um Verstärkung anzufordern.«

Auf Orestes' Antlitz erschien ein Ausdruck tiefster Bestürzung, und dennoch zitterte in seiner Stimme, während er Aurelius mit tränenerfüllten Augen ansah, noch ein Fünkchen Hoffnung. »Rette sie«, sagte er, »ich flehe dich an.«

Aurelius gelang es nicht, der traurigen Eindringlichkeit seines Blickes standzuhalten. Er senkte die Augen und sagte: »Ich ... bin allein übriggeblieben, Kommandant.«

Orestes schien seine Worte vollkommen zu überhören. Mit allerletzter Kraft versuchte er sich aufzurichten und klammerte sich mit beiden Händen an den Saum seines Brustpanzers. »Ich beschwöre dich, Legionär«, röchelte er, »rette meinen Sohn, rette den Kaiser.

Wenn er stirbt, stirbt Rom. Wenn Rom stirbt, ist alles verloren.« Erschlafft glitt seine Hand zu Boden, und seine Augen verloren in der Schreckensstarre des Todes jeglichen Ausdruck.

Aurelius strich ihm mit den Fingerkuppen über die Lider, um sie zu schließen. Dann nahm er seinen Umhang und ging davon, während hinter ihm die Sonne, die sich inzwischen über den Horizont erhoben hatte, den Schauplatz des Massakers und sein ganzes Grauen in ein helles Licht tauchte. Er ging zurück zu Juba, der ruhig auf der Wiese weidete, band ihn los, schwang sich in den Sattel und trieb ihn, auf den Spuren des Feindes, nach Norden.