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Volusianus drehte sich um. »Ihr könnt nicht Weiterreisen. Ihr werdet so lange hierbleiben, wie es nötig ist.«

»General ...«, versuchte es Ambrosinus noch einmal, doch Volusianus hatte ihm bereits den Rücken zugewandt und eilte auf das Forum zu. Plötzlich wurden Ambrosinus und seine Gefährten von einer großen Zahl Wachsoldaten umringt, und ein Offizier befahl ihnen: »Folgt uns.« Aurelius bedeutete ihnen, keinen Widerstand zu leisten, während Ambrosinus verzweifelt rief: »Was bedeutet das alles? Wieso haltet ihr uns fest? Wir haben nichts getan und sind nur Wanderer, die ...« Doch als er erkannte, daß ihm niemand zuhörte, ging er bedrückt hinter den Soldaten her.

Romulus trat zu Aurelius. »Warum tun sie das?« fragte er. »Sind sie denn nicht ebenso Römer wie wir?«

»Vielleicht verwechseln sie uns mit jemandem«, versuchte Aurelius ihn zu beruhigen. »Das kommt manchmal vor. Du wirst sehen, es wird sich alles aufklären. Mach dir also keine Sorgen.«

Vor einem Gebäude aus behauenem Stein, das sehr karg wirkte, blieben die Soldaten stehen. Der Offizier befahl, die Tür zu öffnen, und ließ sie in einen großen, kahlen Raum eintreten. Zu beiden Seiten befanden sich schmale eisenbeschlagene Türen. Ein Gefängnis.

»Eure Waffen«, ordnete der Offizier an. Es folgte ein Moment höchster Anspannung, in dem Aurelius die Anzahl der sie umringenden Soldaten kurz abschätzte und die möglichen Folgen sämtlicher Handlungen erwog, die er in dieser Situation unternehmen könnte. Dann zog er das Schwert aus der Scheide und überreichte es einem der Kerkermeister. Resigniert und verwundert über den unerwarteten Ausgang ihrer Reise, taten es seine Gefährten ihm nach. Die Waffen wurden in einem eisenbeschlagenen Schrank an der hinteren Wand verstaut. Der Offizier wechselte einige leise Worte mit dem Kerkermeister, dann ließ er seine Soldaten mit gezogenen Waffen Aufstellung nehmen, bis jeder Gefangene eingesperrt war. Romulus warf Aurelius einen Blick stummer Verzweiflung zu, dann folgte er Ambrosinus in die für sie beide vorgesehene Zelle.

Der dumpfe Hall, mit dem die schwere Außentür geschlossen wurde, dröhnte donnernd in dem weitläufigen leeren Innenraum wider, während sich das Geräusch der im Gleichschritt marschierenden Soldaten kurz darauf draußen auf der Straße verlor. Übrig blieb allein die Stille.

Livia saß auf der dreckigen Pritsche. Da sie nicht schlafen konnte, ging sie in Gedanken noch einmal die letzten Ereignisse durch. Trotz der beklemmenden Situation der Gefangenschaft konnte sie nicht umhin, Aurelius Entscheidung gutzuheißen, der sämtliche verzweifelte Befreiungsversuche ohne Aussicht auf Erfolg vermieden hatte. Es hofft der Mensch, solang er lebt ..., dachte sie. Doch sie war in Sorge um Romulus, vor allem, wenn sie sich an seinen Gesichtsausdruck im Augenblick des neuerlichen Eingesperrt werdens erinnerte, der sie äußerst betroffen gemacht hatte. Ihr war klargeworden, daß der Junge die Grenze seiner Leidensfähigkeit erreicht hatte. Dieser ständige Wechsel zwischen Hoffnung und Schrecken, Illusion und Verzweiflung drohte ihn zu zerstören. Schon die unüberlegte, gefährliche Flucht aus Argentoratum hatte ihr damals offenbart, in welchem Gemütszustand er sich befand. In der gegenwärtigen Lage aber schienen die Dinge weit schlimmer. Ihr einziger Trost war, daß Ambrosinus mit Romulus zusammen war. Die Anwesenheit seines Erziehers trug sicher zu seiner Beruhigung bei und gab ihm ein Minimum an Vertrauen zurück.

Tief in diese Gedanken versunken, hörte sie plötzlich seltsame Geräusche an ihrer Zellentür, und mit gespitzten Ohren und angehaltenem Atem preßte sie sich an die Mauer. Ihr Kampfinstinkt, der in jahrelangen Angriffen, Fluchten und Hinterhalten geschult worden war, erwachte sofort und rief sämtliche Reserven in ihrem Körper und ihrem Geist hervor. In aller Eile bereitete sie sich darauf vor, im nächsten Augenblick loszuschlagen.

Dann vernahm sie das Schnappen des Türriegels, dem ein leises Getuschel und ein gedämpftes Kichern folgten. Nun begriff sie. Obwohl ihr Volusianus versprochen hatte, man werde sie gut behandeln, kam es doch sicher nicht allzuoft vor, daß sich eine junge, attraktive Frau in diesem stinkenden Gefängnis aufhielt. Und so hatte eine Zecherei ausgereicht, um die Wärter so weit in Versuchung zu bringen, daß sie sämtliche Risiken einer Bestrafung vergaßen.

Und tatsächlich öffnete sich nun die Tür. Zwei Gefangenenwärter betraten den Raum und beleuchteten ihn mit einer Öllampe. »Wo bist du, mein Täubchen?« fragte der eine. »Komm doch heraus und hab keine Angst. Wir wollen dir nur ein wenig Gesellschaft leisten.«

Livia gebärdete sich, als sei sie zu Tode erschrocken, dann ließ sie die linke Hand eilig an ihrem Bein hinabgleiten, bis sie die Schnür-bänder ihres Stiefels erreichte, unter denen sie ein scharfes Stilett herauszog. Es hatte die Form eines Stachels und steckte in einem kugelförmigen Griff, so daß sie es leicht in der Faust verstecken konnte und nur noch die Spitze zwischen Zeige- und Mittelfinger herausragte. »Ich bitte euch, tut mir nichts!« flehte sie, doch diese Bitte erregte die beiden Wärter nur noch mehr.

»Sei ganz ruhig, wir werden dir nichts tun. Höchstens etwas Gutes. Danach wirst du dem guten alten Priapos ein Trankopfer bringen, denn er hat uns mit einem so schönen, großen Ding ausgestattet, genau dazu gemacht, so einen Bettschatz wie dich glücklich zu machen.« Er machte sich daran, seine Hose zu öffnen, während sein Kamerad Livia mit einem großen Messer bedrohte. Livia zeigte sich noch verängstigter, legte sich auf das Feldbett und rutschte mit den Schultern soweit wie nur möglich an die hintere Wand.

»Also«, sagte der erste der beiden, »jeder kommt zum Schuß. Erst ich und dann auch mein Freund. Und anschließend erzählst du uns, wer besser war und den Größeren hatte. Ist das nicht lustig?«

Er hatte inzwischen seinen Unterkörper entblößt und stützte sich mit den Knien am Rand des Feldbettes ab. Derweil machte sich Livia mit ihrem speziellen Stachel bereit, den sie fest in der Faust hielt. Und während der eine Wächter sich vornüberbeugte, um sie zu packen, schoß sie mit einer raschen Beckenbewegung von der Seite zu dem anderen vor und bohrte ihm das Stilett in die Brust. Genau in diesem Augenblick verlor der andere Wärter die Balance und fiel flach auf die Pritsche. Mit einer blitzartigen Bewegung ließ Livia ihr Instrument von der linken in die rechte Hand gleiten und stieß es ihm mit einem so harten Ruck in den Nacken, daß ihm die Wirbelsäule durchtrennt wurde. Und während er schlaff auf dem Bett zusammenbrach, sank der andere zu Boden, beinahe gleichzeitig und ohne den geringsten Laut.

Nun blieb ihr keine Wahl mehr, also nahm Livia die Schlüssel an sich und eilte zu den Zellen ihrer Gefährten, die sie plötzlich ruhig lächelnd vor sich stehen sahen. »Aufstehen, Leute, es wird Zeit, setzt euch in Bewegung!«

»Aber, wie ...«, begann Aurelius verwundert, als sie die Tür aufsperrte und ihn umarmte.

Sie zeigte ihm das Stilett. »In calceo venenum oder Die Tücke liegt im Schuh!« lachte sie in Abwandlung des alten Sprichworts. »Sie haben vergessen, in meinen Schuhen nachzusehen.« Und dann lief ihr Romulus entgegen, fiel ihr um den Hals und drückte sie so fest an sich, daß er sie beinahe erstickte. Livia öffnete den Schrank, der ihre Waffen enthielt, und sie schlichen eiligst zum Ausgang. Doch plötzlich war draußen ein Geräusch von Schritten zu hören und dann ein Riegel, der zurückgeschoben wurde. Volusianus stand in der Türöffnung, umringt von seiner Leibgarde in Kampfausrüstung.

Rasch wechselte Livia einen Blick mit Aurelius. »Ich laß mich nicht noch einmal gefangennehmen«, sagte er schlicht, und die Art, wie sie alle nach ihren Waffen griffen, ließ sofort erkennen, daß die anderen der gleichen Meinung waren. Da hob Volusianus seine Hand. »Halt«, rief er. »Hört mich an, es bleibt nicht viel Zeit. Odoakers Barbaren sind bei Syagrius vorstellig geworden und wollen sicher über eure Auslieferung verhandeln. Ich habe keine Zeit, um lange Erklärungen abzugeben, kommt einfach mit mir. Draußen steht euer Pferd und noch ein paar weitere, die ich habe bereitstellen lassen. Flieht zum westlichen Stadttor, wo eine Bootsbrücke über den Fluß führt, welche die Insel mit dem Festland verbindet. Die Wachen sind mir treu ergeben und werden euch durchlassen. Folgt dem Fluß bis zur Küste, dort gibt es ein Fischerdorf namens Brixate. Fragt nach einem gewissen Teutasius und sagt ihm, daß ich euch geschickt habe. Er kann euch nach Frisia oder Armorica übersetzen, wo euch niemand mehr belästigen dürfte. Meidet Britannien. Die Insel ist von den inneren Kämpfen der Stammesführer zerrissen, und überall treiben Räuber und marodierendes Volk ihr Unwesen. Doch nun rasch, ich muß jetzt Alarm schlagen. Um keinen Verdacht auf mich zu lenken, muß ich meine eigenen Truppen zu eurer Verfolgung ausschicken, falls es mir befohlen wird. Sollten sie euch gefangennehmen, kann ich nichts mehr für euch tun. Also geht jetzt, lauft!«