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Ottawa, Kanada 05.00 Uhr
Nachdem Janus General Shipleys Bericht laut verlesen hatte, sprang der Italiener auf und rief erregt:»Sie bereiten eine Invasion vor!«
«Ihre Invasion läuft bereits«, stellte der Franzose fest.»Unsere Abwehrmaßnahmen kommen zu spät«, sagte der Russe.»Die Katastrophe ist da, und wir können sie nicht mehr verhindern.«
«Ihre Forderungen sind unannehmbar«, erklärte der Brasilianer.»Was wir mit unseren Bäumen machen, geht sie nichts an. Der sogenannte Treibhauseffekt ist wissenschaftlicher Unsinn, völlig unbewiesen.«
«Und was ist mit uns?«fragte der Deutsche.»Wenn sie uns dazu zwingen, die Luft unserer Großstädte sauberer zu machen, müssen wir unsere Fabriken schließen. Damit wäre unsere Industrie erledigt.«
«Und wir müßten aufhören, Autos zu bauen«, sagte der Japaner.»Wo stünde die zivilisierte Welt dann?«
«Wir sitzen alle im gleichen Boot«, konstatierte der Russe.»Wenn wir ihre Forderungen erfüllen und jegliche Umweltverschmutzung einstellen würden, würde das den Zusammenbruch der Weltwirtschaft bedeuten. Wir müssen Zeit gewinnen, bis wir SDI gegen sie einsetzen können.«
«Darüber sind wir uns einig«, sagte Janus energisch.»Im Augenblick geht es darum, die Öffentlichkeit im unklaren zu lassen und jegliche Panik zu vermeiden.«
«Wie kommt Commander Bellamy voran?«wollte der Kanadier wissen.
«Er macht ausgezeichnete Fortschritte. Ich rechne damit, daß sein Auftrag in zwei bis drei Tagen abgeschlossen ist.«
31
Kiew, UdSSR
Wie die meisten ihrer Landsleute war Olga Romantschenko von der Perestrojka enttäuscht. Anfangs hatte sie Hoffnung in die Verheißungen der neuen Männer in Moskau gesetzt und erwartet, daß es nun bald Frischfleisch, Gemüse, hübsche Kleider, Lederschuhe und weitere wundervolle Artikel in den Geschäften der sowjetischen Hauptstadt zu kaufen geben würde. Aber jetzt — sechs Jahre nachdem alles angefangen hatte — machte sich bittere Enttäuschung breit. Das Warenangebot war spärlicher als je zuvor. Schwarzmarktgeschäfte waren lebensnotwendig. Praktisch alles war jetzt knapp, und die Preise hatten sich verdreifacht. Und die Hauptstraßen waren noch immer von Rytwina — riesigen Schlaglöchern — übersät. Täglich gab es Protestdemonstrationen, und die Zahl der Verbrechen stieg unaufhaltsam.
Olga Romantschenko arbeitete seit zehn Jahren in der Kiewer Stadtbibliothek am Lenkomsomol-Platz. Unmittelbar vor ihrem 33. Geburtstag hatte sie den Beschluß gefaßt, sich einen lange gehegten Wunschtraum zu erfüllen und eine Auslandsreise zu machen. Also zog sie einen Atlas aus ihrem Bücherregal und blätterte darin. Da ihr für eine größere Reise das Geld fehlte, kam nur ein europäisches Land in Frage. Und schließlich entschied sie sich für die Schweiz.
Obwohl sie das niemals zugegeben hätte, erschien ihr die Schweiz vor allem deshalb verlockend, weil sie einmal Schweizer Schokolade gekostet und diesen Geschmack nie wieder vergessen hatte. Sie hatte eine Vorliebe für Süßigkeiten. Russische Süßigkeiten — wenn sie überhaupt zu bekommen waren — wurden fast ohne Zucker hergestellt und schmeckten abscheulich.
Ihre Vorliebe für Schokolade sollte Olga Romantschenko das Leben kosten.
Olga war von Zürich begeistert. Die Menschen auf den Straßen waren so elegant gekleidet und fuhren so teure Autos, daß Olga den Eindruck hatte, in dieser Stadt lebten nur Millionäre. Und erst die Geschäfte! Sie machte einen Schaufensterbummel auf der Bahnhofstraße, der großen Züricher Einkaufsstraße, und staunte über die unglaubliche Vielfalt des Warenangebots.
Dann stieß Olga auf die für ihre Pralinen und Schokoladen berühmte Confiserie Sprüngli. Vier große Schaufenster waren mit einer verwirrenden Vielzahl von Süßigkeiten aller Art dekoriert. Es gab riesige Schachteln mit verschiedenen Pralinen, Schokoladentiere, Marzipan mit Schokoladeüberzug, Schokoladetafeln, in Schokolade getauchte Nüsse, Bananen in Schokolade und Likörbohnen. Schon die Auslagen waren ein Fest fürs Auge. Olga hätte am liebsten von allem etwas gekauft, aber als sie die Preise sah, begnügte sie sich mit der kleinsten Schachtel Pralinen und einem Schokoriegel.
Im Laufe der folgenden Woche besuchte Olga den Zürichberg, das Rietberg-Museum, das Großmünster und ein Dutzend weiterer Touristenattraktionen.
Am vorletzten Tag ihres Aufenthalts in der Schweiz nahm sie an einer höchst aufregenden Busrundfahrt durch die Alpen teil. Die Landschaft war atemberaubend schön, und unterwegs sahen sie den Absturz eines mysteriösen Flugobjekts, das Olga für eine Fliegende Untertasse hielt. Aber der neben ihr sitzende kanadische Bankier erklärte ihr, es gäbe keine Fliegenden Untertassen und dies sei lediglich ein vom Schweizer Fremdenverkehrsamt inszeniertes Touristenspektakel. Olga war nicht restlos überzeugt und sprach nach der Heimkehr mit ihrer Mutter darüber.
«Natürlich gibt es Fliegende Untertassen!«sagte ihre Mutter.»Ich sehe jeden Abend welche.«
Nachdem Robert sein Visum an der Reception des Stockholmer Hotels abgeholt hatte, verspürte er plötzlich das heftige Bedürfnis, mit Susan zu sprechen. Vielleicht ist sie ja schon wieder aus Brasilien zurück, dachte er. Und er hatte Glück!
«Hallo?«Diese kehlige, sexy klingende Stimme!
«Hi, Susan. Wie war’s in Brasilien?«
«Robert! Ich hab’ versucht, dich anzurufen, und nie erreicht.«
«Ich bin nicht zu Hause.«
«Oh. «Sie wußte, daß es keinen Sinn hatte zu fragen, von wo aus er anrufe.»Geht’s dir gut?«
Für ‘nen Eunuchen bin ich prima in Form.»Klar. Großartig. Wie geht’s Money… Monte?«
«Danke, auch gut. Robert, wir laufen morgen nach Gibraltar aus.«
«Oh?«Natürlich auf Moneybags’ verdammter Jacht. Wie heißt sie gleich wieder? Ah, richtig: Halcyon.»Mit der Jacht?«
«Ja. Du kannst mich an Bord anrufen. Weißt du das Rufzeichen noch?«
«Ja, natürlich. WS 337.«Was bedeutet wohl die Abkürzung WS? Wunderbare Susan?
«Meldest du dich mal? Nur damit ich weiß, daß bei dir alles in Ordnung ist.«
«Klar. Ich vermisse dich, Baby.«
Am anderen Ende herrschte lange, schmerzliche Stille. Robert wartete. Was erwartete er zu hören? Komm und rette mich vor diesem charmanten Mann, der wie Paul Newman aussieht und mich dazu zwingt, auf seiner Achtzigmeterjacht zu verreisen und in unseren schäbigen kleinen Palästen in Rom, Monte Carlo, Paris, London und weiß der Teufel wo noch zu leben.
«Ich vermisse dich auch, Robert. Paß gut auf dich auf.«
Nachdem Robert ein Zimmer im Kiewer Hotel Dnjepr bezogen hatte, sah er auf seine Armbanduhr. 20.10 Uhr. Die Bibliothek würde bereits geschlossen sein. Das bedeutete, daß er bis zum nächsten Morgen warten mußte.
Nach dem Abendessen verließ er das Hotel und schlenderte durch die Innenstadt. Die ukrainische Metropole war eine attraktive, europäisch wirkende Großstadt mit Parks und herrlichen Alleen. Überragt wurde Kiew von prachtvollen alten Kirchen — der Zehntkirche zu Maria Geburt, der Kirche des hl. Andreas, und der weißen, im Jahre 1037 erbauten Kathedrale der hl. Sophia mit ihrem vierstöckigen Glockenturm.
Zwölfter Tag Kiew, UdSSR
Früh am nächsten Morgen, nur wenige Minuten nach Öffnung der Stadtbibliothek, betrat Robert Bellamy das riesige düstere Gebäude und blieb an der Information stehen.
«Ich suche eine Frau, die meines Wissens hier arbeitet. Olga.«