Dieser Mann, dessen Rat Könige und Präsidenten schätzten, verkörperte nackte, primitive Macht. Zu Stones vielen Besitztümern gehörte ein großer, abgelegener Landsitz in den Bergen Colorados, auf dem sich alljährlich Wissenschaftler, Industriebosse und Spitzenpolitiker aus aller Welt zu Seminaren versammelten. Schwerbewaffnete Wachposten hielten unerwünschte Besucher fern.
Die Eheschließung seiner Tochter hatte Willard Stone nicht nur gebilligt, sondern sogar gefördert. Sein neuer Schwiegersohn war intelligent, ehrgeizig und vor allem formbar wie Wachs.
Zwölf Jahre nach der Hochzeit sorgte Stone dafür, daß Dustin den Botschafterposten in Südkorea erhielt. Einige Zeit später ernannte der Präsident ihn zum Botschafter bei den Vereinten Nationen. Und als Admiral Ralph Whittaker von heute auf morgen als ONI-Direktor abgelöst wurde, wurde Thornton sein Nachfolger.
An diesem Tag bestellte Willard Stone seinen Schwiegersohn zu sich und eröffnete ihm:»Das ist erst der Anfang, mein Junge. Ich habe noch viel mehr mit dir vor. «Und dann weihte er Dustin in seine Pläne ein.
Vor zwei Jahren war Robert Bellamy zum ersten Mal mit dem neuen ONI-Direktor zusammengetroffen.
«Nehmen Sie Platz, Commander«, sagte Dustin Thornton brüsk, ohne Robert anzusehen.»Wie ich aus Ihrer Personalakte sehe, sind Sie manchmal recht eigenwillig.«
Was zum Teufel soll das heißen? fragte sich Robert, während er sich setzte.
Thornton hob den Kopf.»Ich weiß nicht, wie Admiral Whittaker diese Dienststelle geleitet hat, aber ab sofort arbeiten wir streng nach Vorschrift. Ich erwarte, daß meine Befehle präzise und exakt ausgeführt werden, verstanden?«
Jesus! Was steht uns da bevor?
«Haben Sie verstanden, Commander?«
«Ja, Sir. Sie erwarten, daß Ihre Befehle präzise und exakt ausgeführt werden. «Robert überlegte, ob Thornton vielleicht erwartete, daß er zu diesen Worten salutierte.
«Danke, das war alles.«
Aber es war nicht alles.
Einen Monat später wurde Robert in die DDR geschickt, um einen Wissenschaftler herauszubringen, der überlaufen wollte. Der Auftrag war gefährlich, weil das dortige Ministerium für Staatssicherheit von dem Plan Wind bekommen hatte. Trotzdem gelang es Robert, den Mann über die Grenze zu schmuggeln und an einem sicheren Ort unterzubringen. Als er gerade Vorkehrungen für die Weiterreise nach Washington traf, erhielt er einen Anruf von Dustin Thornton. Sein Chef teilte ihm mit, die Lage habe sich geändert und Roberts Mission sei beendet.
«Wir können den Mann doch nicht einfach hier aussetzen«, protestierte Robert.»Dann bringen sie ihn um!«
«Das ist sein Problem«, erwiderte Thornton.»Sie haben Befehl, sofort zurückzukommen.«
Zum Teufel mit dir! dachte Robert. Ich lasse ihn nicht im Stich. Er rief einen Freund beim britischen Nachrichtendienst MI6 an und erläuterte ihm die Situation.
«Wenn er in den Osten zurückgeht«, sagte Robert,»machen sie Hackfleisch aus ihm. Könnt ihr ihn nicht brauchen?«
«Ich prüfe mal, was sich tun läßt, alter Junge. Am besten bringst du ihn gleich mit.«
Und der Wissenschaftler fand in England Zuflucht.
Dustin Thornton verzieh es Robert nie, daß er seinen ausdrücklichen Befehl mißachtet hatte. Seit dieser Zeit herrschte offene Feindschaft zwischen den beiden Männern.
Thornton saß hinter seinem Schreibtisch, als Robert eintrat.
«Sie wollten mich sprechen?«
«Ganz recht. Nehmen Sie Platz, Commander. Wie ich erfahren habe, sind Sie zur National Security Agency abkommandiert worden. Sobald Sie zurückkommen, habe ich einen…«
«Ich komme nicht zurück. Dies ist mein letzter Einsatz.«
«Wie meinen Sie das?«»Ich quittiere den Dienst.«
Als Robert später über diese Szene nachdachte, fragte er sich, welche Reaktion er eigentlich erwartet hatte. Dustin Thornton hätte überrascht sein können; er hätte protestieren können; er hätte wütend oder erleichtert reagieren können. Statt dessen nickte er lediglich.»Okay, das wär’s dann, nicht wahr?«
Als Robert zurückkam, erklärte er seiner Sekretärin Barbara:»Ich muß für einige Zeit verreisen — in ungefähr einer Stunde.«
«Sind Sie irgendwo zu erreichen?«
Robert erinnerte sich an General Hilliards Anweisungen.»Nein.«
«Sie haben einige Termine, die.«
«Sagen Sie sie ab. «Er sah auf seine Armbanduhr. Zeit für das Treffen mit Admiral Whittaker.
Sie frühstückten im Innenhof des Pentagons. Um halbwegs ungestört reden zu können, hatte Robert einen Ecktisch reservieren lassen. Admiral Whittaker erschien pünktlich. Als Robert ihn auf sich zukommen sah, hatte er den Eindruck, daß der Admiral merklich gealtert und auch kleiner geworden war.
Waren das die Folgen des Ruhestandes?
Trotzdem war Whittaker noch immer ein blendend aussehender Mann mit seinen energischen Zügen, seiner Adlernase, den kräftigen Backenknochen und der silbergrauen Mähne. Robert, dessen Vorgesetzter der Admiral in Vietnam und später im Office of Naval Intelligence gewesen war, empfand große Hochachtung für ihn. Nein, es war mehr als nur große Hochachtung. Admiral Whittaker war sein Ersatzvater.
Der Admiral nahm Platz.»Guten Morgen, Robert. Na, gehören Sie jetzt zur NSA?«
Robert nickte.»Abkommandiert«, meinte er knapp.
Die Bedienung kam, und die beiden Männer studierten die Speisekarte.
«Ich hatte vergessen, wie miserabel das Essen hier ist«, meinte Admiral Whittaker mit melancholischem Lächeln. Aus seinem Blick sprach stumme Sehnsucht.
Sie bestellten. Als die Bedienung außer Hörweite war, begann Robert:»Admiral, General Hilliard schickt mich über den Atlantik, damit ich ein paar Leute ausfindig mache, die den Absturz eines Wetterballons beobachtet haben. Weiter hat er mir gesagt, daß die Sache äußerst dringend sei — und mir gleichzeitig verboten, meine Verbindungen zu europäischen Geheimdienstkreisen zu nutzen. Ist das nicht sonderbar?«
Admiral Whittaker zuckte mit den Schultern.»Der General wird seine Gründe dafür haben, nehme ich an.«
«Ich begreife sie nur nicht«, sagte Robert.
Admiral Whittaker musterte ihn. Commander Bellamy hatte in Vietnam unter seinem Kommando gestanden — der beste Pilot seiner Staffel. Dann war jener schreckliche Tag gekommen — und seither hatte Robert für den Admiral den Platz des einzigen Sohnes eingenommen.
«Sie sind noch immer entschlossen, den Dienst zu quittieren?«fragte der Admiral. Robert hatte ihm bereits vor längerer Zeit seinen Entschluß mitgeteilt.
«Ich hab’ einfach genug.«
«Wegen Thornton?«
«Es liegt nicht nur an ihm. Ich hab’s satt, mich in anderer Leute Leben einzumischen.«Ich hab ’ das Lügen und Betrügen satt — und all die gebrochenen Versprechen. Ich hab ’s satt, Leute zu manipulieren oder selbst manipuliert zu werden. Ich hab ’ das Versteckspielen und die Gefahr und den Verrat satt. Das hat mich alles gekostet, was mir jemals etwas bedeutet hat.
«Haben Sie schon eine Vorstellung, was Sie in Zukunft tun wollen?«
«Etwas Nützliches — Positives.«
«Was ist, wenn man Sie nicht gehen läßt?«
«Es bleibt ihnen doch nichts anderes übrig, oder?«meinte Robert.
6
Die schwere Limousine wartete auf dem Parkplatz am Ausgang zum Potomac River.
«Kann’s losgehen, Commander?«fragte Hauptmann Dougherty.
Ich bin so bereit, wie ich ’s jemals sein werde, dachte Robert.»Ja.«
Der Hauptmann fuhr ihn zu seiner Wohnung. Wie lange braucht man für einen unmöglichen Auftrag? fragte sich Robert. Er packte genügend Sachen für eine Woche und legte im letzten Augenblick noch ein gerahmtes Photo von Susan in den Koffer. Ob sie sich wohl in Brasilien amüsierte? Hoffentlich nicht! Hoffentlich ist’s dort gräßlich! dachte er. Und schämte sich augenblicklich für diesen Gedanken.