Er blickte mit Wohlbehagen auf den elektrischen Grill vor sich.
«Und es gibt noch ältere sumerische Gesetze. Wenn eine Frau ihrem Mann sagt, du bist nicht mein Mann, so werfe man sie in den Fluß. Einfacher und billiger als eine Scheidung. Aber wenn ein Mann das gleiche zu seiner Frau sagt, muß er nur ein bestimmtes Maß Silber zahlen. Niemand wirft ihn ins Wasser.»
«Immer die alte Geschichte», klagte Alice Cunningham, «ein Gesetz für die Frau und eines für den Mann.»
«Frauen haben natürlich mehr Sinn für den Geldwert», sagte Professor Liskeard nachdenklich.
«Wissen Sie», fügte er hinzu, «ich liebe dieses Lokal. Ich komme fast jeden Abend hierher. Ich muß nichts bezahlen. Die Gräfin hat das liebenswürdigerweise arrangiert – weil ich sie wegen der Dekorationen beraten habe. Obwohl sie eigentlich nichts mit mir zu tun haben – ich hatte keine Ahnung, warum sie mich befragte – und natürlich haben sie und der Maler alles ganz falsch aufgefaßt. Ich hoffe, niemand wird je erfahren, daß ich auch nur im Entferntesten etwas mit dem fürchterlichen Zeug zu tun hatte. Es würde mich auf ewig unmöglich machen. Aber sie ist eine wundervolle Frau – ein wenig wie eine Babylonierin, finde ich. Die Babylonierinnen waren gute Geschäftsfrauen, wissen Sie –»
Die Worte des Professors wurden von einem plötzlichen Geschrei übertönt. Man hörte das Wort «Polizei» – Frauen sprangen auf, es war ein wildes Durcheinander von Lärm. Die Lichter verlöschten und der elektrische Grill gleichfalls.
Inmitten des Tumults fuhr des Professors Stimme ruhig fort, Auszüge aus dem Gesetzbuch Hammurabis zu zitieren.
Als die Lichter wieder aufflammten, war Hercule Poirot auf halber Höhe der breiten Treppe, die zum Ausgang führte. Die Polizeibeamten an der Tür grüßten ihn respektvoll, und er ging auf die Straße hinaus und schlenderte zur Straßenecke.
Hinter der Ecke stand an die Wand gepreßt ein kleiner, parfümierter Mann mit einer roten Nase. Er flüsterte heiser und ängstlich:
«Ich bin da, Chef. Soll ich es jetzt machen?»
«Ja, los.»
«Aber es sind so viele Polizisten hier.»
«Das tut nichts. Sie wissen von Ihnen.»
«Ich hoffe nur, sie werden sich nicht dreinmengen, das ist alles.»
«Sie werden sich nicht dreinmengen. Sind Sie auch sicher, daß Sie Ihr Vorhaben durchführen können? Das Tier, um welches es sich handelt, ist groß und bissig.»
«Mit mir wird er nicht bissig sein», meinte das Männchen zuversichtlich. «Nicht mit dem, was ich bei mir habe. Jeder Hund folgt mir dafür in die Hölle.»
«In diesem Fall», flüsterte Poirot,«soll er Ihnen aus der Hölle heraus folgen.»
In den frühen Morgenstunden klingelte das Telefon. Poirot nahm den Hörer ab.
Japps Stimme ertönte aus dem Apparat.
«Sie haben mich gebeten, Sie anzurufen.»
«Ja, gewiß. Eh bien?»
«Kein Rauschgift – wir haben die Smaragde gefunden.»
«Wo?»
«In Professor Liskeards Tasche.»
«Professor Liskeard?»
«Wundert Sie auch, nicht wahr? Offen gestanden, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Er sah so erstaunt drein wie ein neugeborenes Kind, starrte sie an und sagte, er habe nicht die leiseste Ahnung, wie sie in seine Tasche gekommen sind, und zum Teufel noch mal, ich glaube, er spricht die Wahrheit! Varesco konnte sie ihm während der Verdunkelung leicht in die Tasche geschmuggelt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann wie der alte Liskeard in eine solche Geschichte verwickelt ist. Er ist Mitglied all dieser hochtrabenden Gesellschaften, er steht sogar mit dem British Museum in Verbindung. Das einzige, wofür er je Geld ausgibt, sind Bücher und noch dazu muffige, antiquarische Bücher. Nein, das paßt nicht zu ihm. Ich fange an zu glauben, daß die ganze Sache ein Irrtum unsererseits ist – daß in dem Klub nie Rauschgift war.»
«Oh, doch, mein Lieber, es war Rauschgift dort, und zwar noch heute nacht. Sagen Sie mir, ist niemand durch die Geheimtür herausgekommen?»
«Ja, der Prinz Henry von Sandenberg und sein Stallmeister – er ist erst gestern in England angekommen. Vitamian Evans, der Minister; übrigens, ein teuflischer Beruf, Labour-Minister zu sein, man muß so vorsichtig sein! Niemand kümmert sich darum, wenn ein Tory-Minister in Saus und Braus lebt, weil die Steuerzahler glauben, daß es sein eigenes Geld ist – aber wenn es ein Mann von der Labour-Partei tut, so glauben die Leute, daß er ihr Geld ausgibt. Und so ist es auch in gewissem Sinn. Lady Beatrice Viner war die letzte – sie heiratet übermorgen den jungen Herzog von Leominster, diesen Tugendbold. Ich glaube nicht, daß irgend jemand von ihnen in die Geschichte verwickelt war.»
«Sie haben recht. Dessen ungeachtet war Rauschgift im Klub, und jemand hat es aus dem Klub herausgeschafft.»
«Wer?»
«Ich, mon ami», sagte Poirot sanft.
Er legte den Hörer auf und schnitt Japps aufgeregtes Gestammel ab, als es klingelte. Er ging hinaus und öffnete die Eingangstür. Die Gräfin Rossakoff rauschte herein.
«Wenn wir nicht leider zu alt wären, wie kompromittierend wäre das!» rief sie aus.«Sie sehen, ich bin gekommen, wie Sie es mir in Ihrem Briefchen geschrieben haben. Ich glaube, ein Polizeimann folgt mir, aber er kann auf der Straße bleiben. Und nun, mein Freund, was gibt es?»
Poirot nahm ihr galant ihren Pelz ab.
«Warum haben Sie die Smaragde in Professor Liskeards Tasche gesteckt?» fragte er ohne Umschweige. «Ce n’est pas gentil ce que vous avez fait là!» Die Gräfin machte große Augen. «Ich wollte die Smaragde natürlich in Ihre Tasche stecken.»
«In meine Tasche?»
«Gewiß. Ich ging zu dem Tisch hinüber, an dem Sie gewöhnlich sitzen, aber die Lichter waren ausgelöscht, und so habe ich sie vermutlich aus Unachtsamkeit in die Tasche des Professors gesteckt.»
«Und warum wollten Sie gestohlene Smaragde in meine Tasche stecken?»
«Ich mußte geistesgegenwärtig sein, wissen Sie – und da schien es mir das beste.»
«Wirklich, Vera, Sie sind unbezahlbar.»
«Aber lieber Freund, bedenken Sie! Die Polizei kommt. Die Lichter gehen aus (unser kleines Privatabkommen, damit die Gäste nicht in Verlegenheit geraten) und eine Hand nimmt meine Handtasche vom Tisch weg. Ich reiße sie wieder an mich, aber ich fühle durch den Samt drinnen etwas Hartes. Ich stecke meine Hand hinein, und mit dem Tastsinn merke ich, daß es Schmuck ist, und erfasse sofort, wer ihn hineingelegt hat.»
«So, wirklich?»
«Natürlich weiß ich es! Es ist dieser salaud! Dieses Reptil, dieses Ungeheuer, dieser doppelzüngige, hinterlistige, kriechende Wurm, dieser dahergelaufene letztklassige Kerl, Paul Varesco.»
«Der Mann, der in der Hölle Ihr Partner ist?»
«Ja, ja, er ist der Eigentümer, er ist der Geldgeber. Bis jetzt habe ich ihn nicht verraten – ich kann Wort halten, ich! Aber jetzt, wo er mich hintergeht, wo er versucht, mich in eine Sache mit der Polizei zu verwickeln – ah! Jetzt spucke ich seinen Namen aus – ja ich spucke ihn aus!»
«Beruhigen Sie sich», besänftigte sie Poirot, «und kommen Sie mit mir ins Nebenzimmer.»
Er öffnete die Tür. Es war ein kleines Zimmer und schien im ersten Augenblick vollkommen ausgefüllt mit Hund. Zerberus hatte sogar in den weiten Räumen der Hölle überlebensgroß gewirkt, in dem winzigen Speisezimmer von Hercule Poirots Etagenwohnung schien außer Zerberus nichts in dem Raum zu sein. Immerhin war noch das parfümierte Männchen da.
«Wir sind plangemäß hier aufgetaucht, Chef», sagte der kleine Mann mit heiserer Stimme.
«Doudou!» kreischte die Gräfin. «Mein süßer Doudou!»