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«Wir sind die letzten Chandlers, Monsieur Poirot; nach uns wird es in Lyde Manor keine Chandlers mehr geben. Als Hugh sich mit Diana verlobte, habe ich gehofft – nun, es hat keinen Sinn, jetzt davon zu sprechen. Gott sei Dank, daß er nicht geheiratet hat. Mehr kann ich nicht sagen!»

IV

Hercule Poirot saß auf einer Bank im Rosengarten. Neben ihm saß Hugh Chandler. Diana Maberly hatte sie eben verlassen.

Der junge Mann wandte sein schönes, gequältes Gesicht seinem Gefährten zu.

«Sie müssen es ihr begreiflich machen, Monsieur Poirot.» Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort:

«Wissen Sie, Di ist eine Kämpferin. Sie will das Spiel nicht aufgeben. Sie will sich nicht mit dem Unabänderlichen abfinden. Sie wird es wohl oder übel müssen. Sie – sie will weiter glauben, daß ich – geistig normal bin.»

«Während Sie selbst fest überzeugt sind, daß Sie – vergeben Sie mir – irrsinnig sind.»

Der junge Mann zuckte zusammen und führte aus:

«Ich habe noch nicht tatsächlich den Verstand verloren – aber es verschlimmert sich. Diana weiß es nicht. Sie sieht mich nur, wenn ich – normal – bin.»

«Und wenn Sie – nicht normal sind – was geschieht dann?»

Hugh Chandler schöpfte tief Atem und erklärte: «Erstens träume ich, und wenn ich träume, bin ich wahnsinnig. Vorige Nacht zum Beispiel – war ich kein Mensch mehr. Ich war zuerst ein rasender Stier – ein rasender Stier, der in der glühenden Sonne herumtobte – und ich schmeckte Blut und Staub in meinem Mund – Blut und Staub … Und dann war ich ein Hund – ein großer, sabbernder Hund. Ich hatte die Tollwut – Kinder stoben auseinander und flohen, wenn ich kam, Männer wollten mich erschießen – irgend jemand stellte mir eine Schüssel Wasser hin, aber ich konnte nicht trinken, Monsieur Poirot … ich konnte nicht schlucken … Oh, mein Gott, ich war nicht imstande zu trinken …»

Er stockte. «Ich erwachte, und ich wußte, daß alles wahr sei. Ich ging zum Waschtisch. Mein Mund war ausgedörrt – ganz ausgedörrt – und trocken. Ich war durstig. Aber ich konnte nicht trinken, Monsieur Poirot … ich konnte nicht schlucken … ich konnte nicht trinken …»

Hercule Poirot murmelte beschwichtigende Worte. Hugh Chandler fuhr in seiner Rede fort. Seine Hände umklammerten krampfhaft seine Knie, sein Gesicht war vorgeschoben, seine Augen waren halb geschlossen, als sähe er etwas auf sich zukommen.

«Und dann gibt es Dinge, die keine Träume sind. Dinge, die ich sehe, wenn ich hellwach bin, Gespenster, grauenhafte Gestalten. Sie grinsen mich an. Und manchmal kann ich fliegen, aus dem Bett steigen und durch die Luft fliegen, auf den Wolken reiten – und Unholde leisten mir Gesellschaft!»

«Ta – ta», machte Hercule Poirot.

Es war ein sanft mißbilligendes Geräusch.

Hugh Chandler wandte sich ihm zu. «Oh, es gibt keinen Zweifel mehr. Es steckt in meinem Blut. Es ist mein Erbteil. Ich kann dem Schicksal nicht entgehen. Gott sei Dank, daß ich es rechtzeitig bemerkte, ehe ich Diana geheiratet habe. Denken Sie, wenn wir ein Kind gehabt und ihm diese grauenhafte Krankheit vererbt hätten!»Er legte seine Hand auf Poirots Arm: «Sie müssen es ihr begreiflich machen. Sie müssen ihr sagen, daß sie vergessen muß. Sie muß vergessen. Eines Tages wird irgendein anderer da sein. Steve Graham zum Beispiel – er ist wahnsinnig verliebt in sie, und er ist ein furchtbar guter Kerl. Sie wäre glücklich mit ihm – und geborgen. Ich will – daß sie glücklich wird. Graham ist natürlich arm, und ihre Familie auch, aber wenn ich nicht mehr bin, sind sie versorgt!»

Hercule Poirots Stimme unterbrach ihn.

«Warum werden sie ‹versorgt› sein, wenn Sie nicht mehr sind?» Hugh Chandler lächelte. Es war ein sanftes, gewinnendes Lächeln. Er erklärte: «Das Geld meiner Mutter ist da. Sie war eine reiche Erbin, wissen Sie. Sie hat mir das Geld hinterlassen. Ich habe alles Diana vermacht.»

Hercule Poirot lehnte sich zurück. Ein Ah entfuhr seinen Lippen.

«Aber Sie können ein sehr alter Mann werden, Mr. Chandler», bemerkte er dann.

Hugh Chandler schüttelte den Kopf und wehrte scharf ab:

«Nein, Monsieur Poirot, ich habe nicht die Absicht, ein alter Mann zu werden.» Plötzlich wich er schaudernd zurück.

«O Gott! Schauen Sie!» Er starrte über Poirots Schulter. «Dorf – neben Ihnen – es ist ein Skelett – es klappert mit den Knochen. Es ruft mich – es winkt mir –»

Seine Augen starrten mit geweiteten Pupillen ins Sonnenlicht. Er lehnte sich plötzlich zur Seite, als wollte er ohnmächtig werden. Dann wandte er sich zu Poirot und flüsterte fast mit einer Kinderstimme: «Sie haben – nicht irgend etwas gesehen?» Poirot schüttelte langsam den Kopf. Hugh Chandler sagte heiser:

«Ich mache mir nicht so viel daraus – aus diesen Halluzinationen. Was mir Angst macht, ist das Blut. Das Blut in meinem Zimmer – auf meinen Kleidern … Wir hatten einen Papagei. Eines Morgens lag er mit durchschnittener Kehle in meinem Zimmer – und ich lag auf dem Bett, in meiner Hand ein Rasiermesser, noch naß von seinem Blut!» Er beugte sich tiefer zu Poirot hinüber.

«Jüngst wurden Tiere getötet», flüsterte er. «Hier im Umkreis – im Dorf – draußen auf den Feldern. Schafe, junge Lämmer – ein Schäferhund. Vater sperrte mich ein, aber manchmal – manchmal ist die Tür morgens offen. Ich muß einen Schlüssel irgendwo versteckt haben, aber ich weiß nicht wo. Ich weiß es nicht. Ich bin es nicht, der diese Dinge macht – es ist jemand anders, der in mich hineinschlüpft – der von mir Besitz ergreift – der mich aus einem Menschen in ein rasendes Ungeheuer verwandelt, das nach Blut lechzt und kein Wasser trinken kann …»

Plötzlich vergrub er sein Gesicht in den Händen.

Nach einer kleinen Pause fragte Poirot:

«Ich verstehe noch immer nicht, warum Sie keinen Arzt konsultiert haben.»

Hugh Chandler schüttelte den Kopf.

«Verstehen Sie es wirklich nicht? Physisch bin ich stark. Stark wie ein Stier. Ich kann Jahre leben – Jahre – zwischen vier Wänden eingesperrt! Dem kann ich nicht ins Auge sehen! Es wäre besser, ganz von der Bildfläche zu verschwinden … Es gibt immer Mittel und Wege, wissen Sie. Ein Unfall beim Putzen des Gewehres … etwas Derartiges. Diana wird es begreifen … Ich möchte mir lieber meinen eigenen Abgang zurechtlegen!»

Er blickte Poirot herausfordernd an, aber Poirot reagierte nicht darauf. Statt dessen fragte er gelassen:

«Was essen und trinken Sie?»

Hugh Chandler warf den Kopf zurück. Er brüllte vor Lachen.

«Alpdrücken nach verdorbenem Magen? Denken Sie daran?»

Poirot wiederholte nur ruhig:

«Was essen und trinken Sie?»

«Genau was alle anderen Leute essen und trinken.»

«Keine besonderen Medikamente, Tabletten, Pillen?»

«Du lieber Himmel, nein. Glauben Sie wirklich, daß Wunderpillen mich heilen könnten?» Er zitierte höhnisch:

«Könnt Ihr denn eine kranke Seele heilen?»

Hercule Poirot sagte trocken:

«Ich versuche es. Hat hier im Haus irgend jemand ein Augenleiden?»

Hugh Chandler blickte sehr erstaunt.

«Vaters Augen machen ihm viel zu schaffen. Er muß ziemlich oft zum Augenarzt gehen.»

«So!» Poirot überlegte einige Augenblicke. Dann fuhr er fort:

«Ich vermute, Colonel Frobisher hat einen großen Teil seines Lebens in Indien verbracht?»

«Ja, er war in der indischen Armee. Er ist sehr begeistert von Indien – erzählt viel davon – Sitten und Gebräuche der Eingeborenen und all das.»

Poirot murmelte wieder: «So!» Dann bemerkte er: «Ich sehe, daß Sie sich am Kinn geschnitten haben.»

Hugh führte die Hände an sein Kinn.