Kurz darauf sah ein Mann in einem braunen schmutzabweisenden Anzug zu uns herein, fand unseren Anblick nicht gerade berauschend und fragte, ob wir Transit-Passagiere wären. Wir sagten, ja, wären wir. Er schüttelte grenzenlos verdrossen den Kopf und sagte, wenn wir Transit-Passagiere wären, müßten wir in dem anderen der beiden Räume sein. Wer das nicht wußte, mußte offensichtlich geisteskrank oder zumindest ziemlich beschränkt sein. Gegen den Türrahmen gesackt, stand er da und zog pikiert die Augenbrauen hoch, bis wir unseren Kram zusammenpackten und durch den Gang in den Nebenraum schleiften. Er sah uns nach, schüttelte den Kopf, verwundert und betroffen darüber, wie heillos dämlich die Menschheit im allgemeinen und wir im besonderen waren, und schloß dann hinter uns die Tür.
Der zweite Raum sah genauso aus wie der erste, abgesehen von einer in eine Wand eingelassenen Luke. In dieser Luke, ein Schalter, lehnte ein großes, abwesend wirkendes Mädchen mit aufgestützten Armen und gegen die Wangenknochen gedrückten Fäusten. Sie beobachtete an der Wand hochkrabbelnde Fliegen, ohne dabei besonderes Interesse an den Tag zu legen, weil die Fliegen nichts Überraschendes taten, aber immerhin taten sie überhaupt irgend etwas. Hinter dem Mädchen stand ein mit Keksen, Schokoladentafeln, Cola und einer Kanne Kaffee vollgestapelter Tisch, und wie eine Horde Wiesel marschierten wir sofort darauf zu. Kurz bevor wir den Tisch erreichten, wurden wir allerdings von einem Mann in einem blauen schmutzabweisenden Anzug abgefangen, der uns fragte, was wir hier zu suchen hätten. Wir setzten ihm auseinander, wir seien Transit-Passagiere auf dem Weg nach Zaire, woraufhin er uns ansah, als habe sich unser Verstand jetzt vollständig verabschiedet.
»Transit-Reisende?« fragte er. »Transit-Reisende dürfen sich hier überhaupt nicht aufhalten.« Er winkte uns mit einer erhabenen Geste vom Snack-Tresen weg, ließ uns unseren ganzen Kram wieder aufsammeln und scheuchte uns durch die Tür und den Gang zurück in den ersten Raum, wo uns der Mann in dem braunen schmutzabweisenden Anzug eine Minute später erneut entdeckte.
Er sah uns an.
Ein zentnerschweres Unverständnis überkam ihn, gefolgt von Traurigkeit, Wut, tiefer Enttäuschung und dem Gefühl, daß die Welt einzig und allein erschaffen worden war, um ihm Verdruß zu bereiten. Er lehnte sich gegen die Wand, runzelte die Stirn, schloß die Augen und kniff sich in den Nasenrücken.
»Sie sind im falschen Raum«, sagte er schlicht. »Sie sind Transit-Passagiere. Bitte gehen Sie in den anderen Raum.«
In Situationen wie dieser fühlt man eine herrliche Ruhe in sich aufsteigen, ganz besonders, wenn auch ein Kiosk mit Erfrischungen darin verwickelt ist. Wir nickten, packten unseren Kram in Zen-Manier zusammen und machten uns durch den Gang auf den Rückweg in den zweiten Raum. Dort sprach uns der Mann im blauen schmutzabweisenden Anzug wieder an, aber diesmal erklärten wir ihm geduldig, daß er sich verpissen könne. Wir brauchten Schokolade, wir brauchten Kaffee, vielleicht sogar ein erfrischendes Päckchen Kekse und beabsichtigten darüber hinaus, das alles auch zu bekommen. Wir ließen ihn sprachlos zurück, warfen unsere Taschen zu Boden, marschierten aufrecht zum Schalter und trafen auf ein größeres, unvorhergesehenes Hindernis.
Das Mädchen wollte uns nichts verkaufen. Es schien sie zu überraschen, daß wir uns überhaupt die Mühe machten, das Thema anzuschneiden. Ohne die Wangenknochen von den Fäusten zu heben, schüttelte sie langsam den Kopf und starrte weiter die Fliegen an der Wand an.
Während des folgenden Gesprächs, das fast so anregend vor sich hin plätscherte wie Gummi aus einem Baum, kristallisierte sich allmählich heraus, daß das Problem folgendes war: Sie war nicht bereit, anderes als tansanisches Geld anzunehmen. Ohne zu fragen, wußte sie, daß wir keins hatten, weil schlicht und ergreifend noch nie jemand tansanisches Geld gehabt hatte. Wir befanden uns in einer internationalen Wartehalle, und im Flughafen gab es keine Wechselstube, folglich konnte jemand, der hierherkam, unmöglich irgendwelche tansanischen Zahlungsmittel bei sich haben, folglich konnte sie auch niemandem etwas verkaufen.
Nach einer mehrminütigen, sinnlosen Diskussion mußten wir uns ihren makellosen Argumenten beugen und die restliche Zeit damit zubringen, mit von nutzlosen Dollar, Pfund, Franc und Kenia-Schillingen ausgebeulten Hosentaschen dazusitzen und den Kaffee und die Schokoriegel trübsinnig anzuschmachten. Das Mädchen sah abwesend die Fliegen an und hatte sich ganz offensichtlich damit abgefunden, daß sie niemals mit jemandem ins Geschäft kommen würde. Nach einer Weile beobachteten auch wir interessiert die Fliegen.
Schließlich sagte man uns, die Maschine sei jetzt wieder startklar, und wir kehrten zu unserer Flugzeugladung Missionare zurück.
Wo, wunderten wir uns, waren sie gewesen, während all das passiert war? Wir fragten nicht. Etwa eine Stunde später landeten wir endlich in Bukavu, und als wir auf die Terminalbaracken des Flughafens zurollten, hallte die Maschine von fröhlichen »Oh, wie schön, der Bischof ist gekommen, um uns zu begrüßen«-Rufen wider. Und da stand er. groß und freudestrahlend in seiner lila Tunika, und er trug eine Brille mit oben schwarzer und unten durchsichtiger Fassung. Die Missionare, die Missionsschullehrer und das amerikanische Paar, das sich sehr für Missionsarbeit interessierte, kletterten lächelnd aus der Maschine, und nachdem wir unsere Kamerataschen unter den Sitzen hervorgezogen hatten, folgten wir ihnen nach draußen.
Wir waren in Zaire.
Was in Zaire so grauenhaft schiefläuft, läßt sich, wenn man mich fragt, am besten durch den Abdruck einer Karte verdeutlichen, die uns einige Tage später von einem Beamten des Fremdenverkehrsverbandes überreicht wurde.
Ein Absatz ist den Touristen zuliebe in englischer Sprache abgefaßt. Er lautet wie folgt:
»Madam, Sir,
im Namen des Vorsitzenden und Gründers des MPR (Mouvement Populaire de la Révolution), des Präsidenten der Republik, seiner Regierung und meiner Landsleute wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen einen wundervollen Aufenthalt in der Republik Zaire.
Sie werden in diesem Land majestätische Sehenswürdigkeiten, eine üppige Flora und eine einzigartige Fauna vorfinden.
Die Aufgeschlossenheit und Gastfreundlichkeit der zairischen Menschen wird Ihnen den Einblick in die Traditionen und Gebräuche unseres Volkes erleichtern.
Unsere junge Nation erhofft sich viel von Ihren Anregungen und dankt Ihnen, daß Sie selbst uns durch Ihre Vorschläge dabei helfen, die Freunde, die Sie zu uns schicken, noch besser willkommen heißen zu können.
Der Fremdenverkehrsminister.«
Das klingt doch ganz anständig. Was einen ins Grübeln darüber bringt, was man denn nun wirklich vorfinden wird, ist der andere Absatz. Den soll man nämlich jedem Zairer zeigen, dem man begegnet, und er lautet wie folgt:
»ZAIRER, HELFT UNSEREN BESUCHERN!
Der Freund, der diese Karte bei sich hat, ist zu Besuch in unserem Land. Er ist unser Gast.
Falls er Fotos machen will, seid zuvorkommend und freundlich. Tragt dazu bei, daß er seinen Aufenthalt genießt, dann wird er wiederkommen und seine Freunde mitbringen.
Indem ihr ihm helft, helft ihr unserem Land. Denkt immer daran, daß uns der Tourismus mit Einnahmen versorgt, die uns die Schaffung neuer Arbeitsplätze, den Bau neuer Schulen, Krankenhäuser, Fabriken und anderer Einrichtungen ermöglichen.