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Er zuckte die Achseln.

»Na ja, es leben nur zweihundert Baijis auf diesen zweitausend Kilometern. Und der Yangtsee ist sehr breit. Nicht gut, glaube ich.«

Wir tuckerten für einige Zeit dahin und fuhren am gegenüberliegenden Ufer entlang langsam zwei Kilometer flußaufwärts. Dort war das Wasser seichter, und es herrschte kein so starker Bootsverkehr. Aus genau diesem Grund halten sich auch die Delphine bevorzugt in Ufernähe auf, womit ihre Chancen steigen, sich in den Fischernetzen zu verfangen, die, wie wir im Vorbeifahren sahen, von am Ufer stehenden Bambusspanten ins Wasser hingen. Die Fischbestände im Yangtse nehmen ab, und bei all dem Krach fällt es den Delphinen immer schwerer, die verbliebenen Fische zu »sehen«. Ich konnte mir gut vorstellen, daß sich ein Delphin von einem Netz voller Fische in Lebensgefahr locken ließ.

Wir erreichten eine vergleichsweise ruhige Stelle in Ufernähe, und der Bootsführer schaltete den Motor aus.

Mr. Ho erklärte uns, dies sei eine gute Stelle zum Warten. Vielleicht. Hier waren vor kurzem Delphine gesehen worden. Er sagte, das könne vorteilhaft sein oder auch nicht. Entweder seien sie hier, weil sie vor kurzem hiergewesen seien, oder sie seien nicht hier, weil sie vor kurzem hiergewesen seien. Damit schienen alle Möglichkeiten erschöpft, also setzten wir uns und warteten.

Die ungeheure Ausdehnung des Yangtse wird einem besonders bewußt, wenn man ihn sorgfältig zu beobachten versucht. Welchen Abschnitt? Wo? Eine leichte Brise wehte, kräuselte die Oberfläche, und nachdem wir den Fluß bloß ein paar Minuten lang betrachtet hatten, begannen unsere Augen zu flattern. Jeder flüchtige schwarze Schatten einer tanzenden Welle sieht im Nu aus wie das, was man sehen möchte, und ich hatte nicht mal ein vernünftiges Bild dessen vor meinem geistigen Auge, wonach ich eigentlich Ausschau halten sollte.

»Weißt du, wie lange sie an der Oberfläche bleiben?« fragte ich Mark.

»Ja...«

»Und?«

»Sieht nicht gut aus. Der Delphin durchstößt die Oberfläche zuerst beim Blasen, mit der ›Fettlinse‹ seiner Stirn, dann kommt seine kleine Rückenflosse hoch, und dann taucht er wieder weg.«

»Und wie lange dauert das?«

»Nicht mal eine Sekunde.«

»Oh.« Das mußte ich erst mal verdauen. »Dann werden wir wohl kaum einen zu sehen kriegen, stimmt's?«

Mark wirkte deprimiert. Seufzend öffnete er eine Dose Baiji-Bier und nahm einen kräftigen, eher komplizierten Schluck, um die Augen nicht vom Wasser wenden zu müssen.

»Na, vielleicht sehen wir ja wenigstens einen finnenlosen Schweinswal«, sagte er.

»Die sind nicht so selten wie die Delphine, oder?«

»Na ja, sie sind im Yangtse nicht ernsthaft bedroht. Man schätzt, daß es noch ungefähr vierhundert gibt. Sie haben hier die gleichen Probleme, nur kommen sie auch in den chinesischen Küstengewässern und weiter westlich vor, bis rüber nach Pakistan, sind also als Art nicht so akut gefährdet. Sie sehen wesentlich besser als der Baiji, deswegen kann man davon ausgehen, daß sie noch nicht solange existieren. Da! Da ist einer! Ein finnenloser Schweinswal!«

Ich kam gerade noch rechtzeitig, um einen schwarzen Umriß ins Wasser zurückfallen und verschwinden zu sehen. Er war weg.

»Finnenloser Schweinswal!« rief Mr. Ho uns zu. »Haben Sie gesehen?«

»Ja, haben wir, danke!« sagte Mark.

»Woher wußtest du, daß es ein finnenloser Schweinswal war?« fragte ich ziemlich beeindruckt.

»Aus zwei Gründen, wenn man's genaunimmt. Zum einen konnten wir ihn richtig erkennen. Er ist hoch aus dem Wasser aufgestiegen. Finnenlose Schweinswale tun so was. Baijis tun es nicht.«

»Du meinst, wenn man ihn richtig erkennt, muß es ein finnenloser Schweinswal sein.«

»So ungefähr.«

»Und was ist der andere Grund?«

»Na, er hatte keine Finne.«

Eine Stunde verstrich. Ein paar hundert Meter von uns entfernt brummten große Frachtschiffe und Barkassen den Fluß hinauf. Ein Ölfleck trieb an uns vorbei. Hinter uns flatterten die Fischernetze im Wind. Ich dachte, daß der Begriff »gefährdete Art« zu einer Phrase geworden war, die keine lebendige Bedeutung mehr hatte. Man hört es einfach zu oft, um noch unbelastet darauf reagieren zu können.

Als ich dem Wind beim Kräuseln der galligen Yangtse-Oberfläche zusah, wurde mir mit schmerzhafter Deutlichkeit bewußt, daß irgendwo unter mir oder um mich herum intelligente Lebewesen, deren Wahrnehmungswelt wir uns nicht einmal andeutungsweise vorstellen können, in einer gärenden, vergifteten, betäubenden Welt lebten und daß sie ihr Leben höchstwahrscheinlich in ständiger Verwirrung, ständigem Hunger, ständigem Schmerz und ständiger Furcht verbrachten.

Wir erlebten keinen Delphin in freier Wildbahn. Wir wußten, daß wir uns zumindest einen würden ansehen können, denjenigen, der als einziger seiner Art im Hydrobiologischen Institut in Wuhan in Gefangenschaft gehalten wird, waren aber trotzdem deprimiert und enttäuscht, als wir am frühen Abend in unser Hotel zurückkehrten.

Dort stellten wir umgehend fest, daß es Professor Zhou schließlich doch gelungen war, jemanden wegen unserer Ankunft zu alarmieren, und wurden zu unserer Überraschung von einer ungefähr zwölfköpfigen Delegation des Tongling Baiji Conservation Committee der Kommunalverwaltung von Tongling begrüßt.

Leicht verdattert wegen dieses unerwarteten, offiziellen Interesses, wo wir uns gerade darauf eingestellt hatten, uns gemütlich in ein Bier zu vertiefen, wurden wir in einen großen Sitzungssaal des Hotels geführt und zu einem großen Tisch geleitet. Etwas besorgt, nahmen wir neben einem extra zu diesem Anlaß herbeigeschafften Dolmetscher an der einen Tischseite Platz, während sich die Mitglieder des Komitees auf der anderen Seite formierten.

Für einen Augenblick saßen sie still da, alle mit vor sich auf dem Tisch ordentlich aufeinandergelegten Händen, und sahen uns distanziert an. Kurzzeitig schwirrte mir die Halluzination im Kopf herum, wir würden gleich die Anklageschrift eines ideologischen Tribunals zu hören bekommen, aber dann ging mir auf, daß ihr distanziertes, förmliches Verhalten vermutlich nur bedeutete, daß sie uns gegenüber mindestens so gehemmt waren wie wir ihnen gegenüber.

Einige von ihnen hatten eine Art grauen Uniformrock an, einer trug den alten, blauen maoistischen Waffenrock, die anderen waren zwangloser gekleidet. Ihr Alter reichte von etwa Mitte Zwanzig bis Mitte Sechzig.

»Das Komitee heißt Sie in Tonling willkommen«, begann der Dolmetscher, »und fühlt sich durch Ihren Besuch geehrt.« Er stellte sie der Reihe nach vor, woraufhin die Genannten uns jeweils mit einem leicht nervösen Lächeln zunickten. Einer war der stellvertretende Leiter des Projekts, ein anderer der leitende Schriftführer der Gesellschaft, ein anderer der stellvertretende leitende Schriftführer und so weiter.

Ich saß mit dem Gefühl da, daß wir mitten in einem gigantischen Mißverständnis steckten, und gab mir alle erdenkliche Mühe, intelligent auszusehen und mir nicht anmerken zu lassen, daß ich bloß ein Science-Fiction-Komödienschreiber auf Urlaub war.

Mark hingegen schien sich absolut wohl zu fühlen. Er erklärte kurz und bündig, wer wir waren, ließ dabei den Teil mit der Science-Fiction-Komödie aus, umriß Sinn und Gegenstand unseres Projekts, schilderte, weshalb wir uns für den Baiji interessierten, und stellte ihnen eine intelligente Eröffnungsfrage zum Bau des Schutzgebietes.

Meine Anspannung ließ nach. Natürlich, wurde mir klar, war es ein fester Bestandteil von Marks Art und Weise, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, geistreich in ihm unbekannten Sprachen mit großen Komitees über Schutzprojekte zu sprechen.

Sie erkärten uns, das Delphin-Schutzgebiet sei ein sogenanntes »halbnatürliches Schutzgebiet«. Das angestrebte Ziel sei, die Tiere in einem eingegrenzten Bereich zu halten, ohne sie aus ihrer natürlichen Umgebung zu entfernen.