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Als er seine Geschichte beendet hatte, ließ er die Hand aufs Knie sinken und warf zufällig einen Blick auf die Uhr. Sofort sprang er mit gequältem Gesichtsausdruck auf und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. Er kam zu spät zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung.

Während unseres Aufenthaltes auf Mauritius hörten wir ihn regelmäßig und bitterlich klagen, er sei für Verwaltungsarbeiten oder Aufgaben, die diplomatisches Geschick erforderten, überhaupt nicht geeignet, müsse aber trotzdem irrsinnig viel Zeit mit beidem zubringen, um weiterarbeiten zu können. Er sei unentwegt damit beschäftigt, Geld aufzutreiben, sich den Geldgebern gegenüber zu rechtfertigen und zu erklären, wofür er das Geld ausgab, und mit diversen internationalen Schutzorganisationen zu verhandeln, die ihm offenbar ständig über die Schulter schielen. Und das hält ihn seiner Meinung nach bloß davon ab, das zu tun, was er am besten kann, und deshalb wäre es ihm am liebsten, sie ließen ihn einfach in Ruhe weiterarbeiten. Oder noch lieber, sie gäben ihm das Geld und ließen ihn einfach in Ruhe weiterarbeiten. Das Projekt zum Schutz der empfindlichen und einzigartigen mauritischen Umwelt muß mit einem erbärmlich mageren Budget auskommen, und Geld – beziehungsweise der Mangel daran – ist der Fluch, der auf Carls Leben lastet. »Man sollte meinen, daß alle, die in irgendeiner Form am Naturschutz beteiligt sind, an einem Strang ziehen«, sagte Mark, nachdem Carl weg war, »aber die Kabbelei und Bürokratie sind hier genauso schlimm wie überall.«

»Das kannst du laut sagen«, sagte Richard. »Und ausbaden müssen es immer die Leute, die die praktische Arbeit machen. Seht euch bloß mal diese Hasen an.«

Mit einer wegwerfenden Handbewegung zeigte er auf einen Käfig, in dem einige absolut gewöhnlich wirkende Hasen hockten und uns entgegenmümmelten.

»Es gibt hier in der Nähe eine Insel – eine sehr, sehr wichtige Insel, was wildlebende Tiere angeht – namens Round Island. Auf Round Island gibt es mehr einzigartige Pflanzen- und Tierarten als in jedem vergleichbaren Gebiet auf Erden. Vor ungefähr hundert, hundertfünfzig Jahren war jemand so übermäßig helle, Hasen und Ziegen auf der Insel auszusetzen, damit eventuelle Schiffbrüchige etwas zu essen hätten. Die Bestände vermehrten sich sehr schnell und unkontrolliert, und man hat bis Mitte der siebziger Jahre gebraucht, um wenigstens die Ziegen loszuwerden. Erst vor ein paar Jahren ist dann ein Team aus Neuseeland gekommen, um die Hasen auszurotten, bis irgendwer meinte, daß sie da eine seltene Frenchrabbit-Gattung ausrotteten, die in Europa nicht mehr existierte und deswegen nach Mauritius umgesiedelt werden sollte, um von jemandem, sprich: von uns, erhalten zu werden.

Wenn's nach mir ginge«, fuhr Richard fort, »könnten wir sie einfach in den Kochtopf stecken. Es sind stinknormale Hasen. Außerdem gibt's andere Leute, die behaupten: ›Das ist völliger Blödsinn – die gehören nicht zu dieser besonderen Gattung.‹

Was bedeutet, daß wir hier rumsitzen und die Hasen füttern können, bis sich die Experten geeinigt haben, ob die Viecher nun was Besonderes sind oder nicht. Für uns ist es Zeit- und Geldverschwendung. Ich meine, es ist schon problematisch, all diese Tiere bloß zu füttern. Sie brauchen alle unterschiedliches Futter, und man muß rauskriegen, was.

Diese Rodrigues-Flughunde, wegen denen ihr hergekommen seid, müssen wir mit einer in Milch gelösten Mischung aus Früchten und pulverisiertem Hundefutter ernähren. Die bananenhaltige Kost, mit der wir sie anfangs gefüttert haben, war überhaupt nicht gut für sie. Das einzige, was sie davon bekommen haben, waren nervöse Zuckungen.« Er zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht, was du gegen sie hast«, sagte Mark. »Ich finde, es sind großartige Tiere.«

»Ich habe nichts gegen sie. Sie sind großartig. Sie sind nur nicht selten, das ist alles.«

Mark protestierte. »Sie sind die seltensten Flughunde der...« »Jaaa, aber es gibt Hunderte davon«, beharrte Richard. »Hunderte bedeutet, daß sie ernsthaft bedroht sind«, sagte Mark. »Weißt du, wie viele freilebende Mauritiussittiche es gibt?« schrie Richard auf. »Fünfzehn! Das ist selten. Hunderte ist alltäglich. Wenn man nach Mauritius kommt und eine Art in den letzten Zügen liegen sieht, wird alles andere unwichtig. Es wird unwichtig, weil wir hier eine Art vorfinden, die gerettet werden könnte, wenn sich die Leute damit beschäftigen würden, und falls sie ausstirbt, ist es unsere Schuld, weil wir nicht da waren, um sie zu retten. Es sind noch fünfzehn übrig. Wir haben die Falken und die Tauben einzig und allein wieder aufpäppeln können, weil wir uns um sie, um Geld und um Personal gekümmert haben. Die Sittiche? Wir arbeiten sehr, sehr hart, um sie zu retten, und falls wir das nicht schaffen, werden sie für immer verschwunden sein – und wir müssen uns um die Hasen anderer Leute kümmern.«

Er schüttelte den Kopf und beruhigte sich dann wieder.

»Paß auf«, sagte er zu Mark, »du hast recht. Der Rodrigues-Flederhund ist ein sehr wichtiges Tier, und wir bemühen uns, ihn zu schützen. Er hat viel von seinem Lebensraum verloren, weil die Menschen auf Rodrigues vom Ackerbau abhängig sind und viel Wald gerodet haben. Der Fledermausbestand ist so reduziert, daß ein einziger großer Orkan – und die gibt es hier – sie auslöschen könnte. Nur haben die Bewohner von Rodrigues auf einmal gemerkt, daß das Abholzen der Wälder auch zu ihrem eigenen Nachteil ist, weil es ihre Wasserversorgung beeinträchtigt. Falls sie sich ihre Wasserscheiden erhalten wollen, müssen sie die Wälder stehenlassen, und das bedeutet, daß den Fledermäusen Platz zum Überleben bleibt. Ihre Chancen stehen also nicht schlecht. Wenn man den Weltmaßstab anlegt, sind sie ernstlich gefährdet, aber nach den Maßstäben dieser Inseln, auf denen jede einheimische Art gefährdet ist, geht's ihnen prima.«

Er grinste.

»Wollt ihr ein paar gefährdete Mäuse sehen?« fragte er.

»Ich wußte nicht, daß jetzt auch schon Mäuse zu den gefährdeten Arten gehören«, sagte ich.

»Ich hab nichts von Art gesagt«, sagte Richard. »Ich meinte bestimmte Mäuse. Naturschutz ist nichts für Sensibelchen, Wir müssen einen Haufen Tiere töten, teils, um die gefährdeten Arten zu schützen, teils, um sie an sie zu verfüttern. Viele der Vögel ernähren sich von Mäusen, und deswegen müssen wir sie hier züchten.«

Er verschwand in einem kleinen, warmen Raum, in dem es laut piepste, und tauchte ein paar Sekunden später mit einer Handvoll frisch getöteter Mäuse wieder auf.

»Zeit zum Vögelfüttern«, sagte er und machte sich auf den Rückweg zu seinem höllischen Landrover.

Die beste und schnellste Verbindung zur Black-River-Schlucht, wo die Falken leben, ist eine Privatstraße durch die Medine-Zuckerrohrplantage.

Zucker ist, vom Standpunkt der mauritischen Umwelt aus betrachtet, ein ernst zu nehmendes Problem. Ausgedehnte Waldgebiete auf Mauritius sind zerstört worden, um Platz für den Anbau eines reinen Exportgutes zu schaffen, das seinerseits unsere Zähne zerstört. Das ist überall ein ernstes, auf Inseln jedoch besonders ernstes Problem, weil die Inselökologie sich grundlegend von einer Festlandsökologie unterscheidet. Sogar das Vokabular unterscheidet sich. Wenn man viel Zeit auf Inseln und in Gegenwart von Naturforschern zubringt, führt das dazu, daß man vor allem zwei Begriffe furchtbar oft zu hören bekommt: »endemisch« und »exotisch«. Drei, wenn man »Katastrophe« mitzählt.