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Der Vogel sah zu. Die Formulierung »Er sah mit Adleraugen zu« liegt nahe, aber er sah mit Falkenaugen zu.

Richard schwang seinen Arm zurück. Der Falkenkopf verfolgte die Bewegung genau. Mit weit ausholendem Schwung warf Richard die Maus hoch in die Luft. Für einen Moment betrachtete der Falke sie einfach, mit fast unmerklich auf dem Ast herumzappelnden Beinen, vertieft in eine imposante Meisterleistung auf dem Gebiet der Differentialrechnung. Das winzige Totgewicht der Maus erreichte den höchsten Punkt seiner steilen Parabel und drehte sich langsam in der Luft.

Schließlich ließ sich der Falke von seinem Ast fallen und schwang sich in die Luft, als hänge er am Ende eines langen Pendels, dessen exakte Länge, Kardinalposition und Schwingungsgeschwindigkeit er selbst errechnet hatte. Der Bogen, den er beschrieb, überschnitt sich makellos mit dem der fallenden Maus, der Falke ergriff die Maus sauber mit den Fängen, schwebte weiter in einen anderen nahegelegenen Baum und biß ihr den Kopf ab.

»Er frißt den Kopf selbst«, sagte Richard, »und nimmt die restliche Maus mit, um das Weibchen im Nest zu füttern.«

Wir verfütterten einige weitere Mäuse an den Falken, indem wir sie manchmal in die Luft warfen und manchmal auf dem halbkreisförmigen Felsen liegenließen, damit er in aller Ruhe danach tauchen konnte. Schließlich war der Vogel satt, und wir gingen.

Man richtet Falken ab, indem man Hunger als ein Mittel zur Manipulation der Vogelpsyche einsetzt. Wenn der Vogel zuviel zu fressen bekommen hat, wird er nicht zur Zusammenarbeit bereit sein und sich durch jeden Versuch, ihm etwas beibringen zu wollen, belästigt fühlen. Er sitzt einfach in einem Baumwipfel und schmollt. Er »hat es satt«.

Richard hatte dann am Abend auch so ziemlich alles satt, und das mit gutem Grund. Es hatte nichts mit Überfütterung zu tun, wohl aber mit dem, was andere Leute gern futterten. Eine mauritische Freundin kam auf einen Sprung vorbei und brachte ihren Chef mit, einen Franzosen von der nahe gelegenen Insel Réunion, der sich einige Tage lang auf Mauritius aufhielt und bei ihr wohnte.

Er hieß Jacques und war uns allen vom ersten Moment an unsympathisch, wenn auch keinem so sehr wie Richard, der ihn auf Anhieb haßte.

Er war ein Franzose von der adretten, arroganten Sorte. Mit trägem, herablassendem Blick, einem trägen, herablassenden Lächeln und, wie Richard es später formulierte, einem trägen, herablassenden und an Beschränktheit nicht zu überbietenden Gehirn.

Jacques betrat das Haus und stand träge und herablassend in der Gegend herum. Er wußte ganz offensichtlich nicht, was er hier sollte. Es war kein besonders elegantes Haus. Es war voll von abgenutzten alten Möbeln, und an sämtlichen Wänden hingen mit Reißzwecken befestigte Vogelbilder. Offensichtlich wollte er sich am liebsten trübsinnig gegen eine Wand lümmeln, nur fand er keine, die für seine Schulter geeignet gewesen wäre, also mußte er sich genau dort trübsinnig hinlümmeln, wo er gerade stand.

Wir boten ihm ein Bier an, das er unter Aufbietung aller Freundlichkeit, die ihm möglich war, entgegennahm. Er fragte uns, was wir hier täten, und wir sagten, wir würden eine Serie für die BBC produzieren und ein Buch über die Tierwelt von Mauritius schreiben.

»Warum denn das?« sagte er in verstörtem Tonfall. »Hier gibt es doch nichts.«

Richard legte anfänglich bewundernswerte Zurückhaltung an den Tag. Er stellte äußerst beherrscht klar, auf Mauritius lebten einige der seltensten Vögel der Welt. Er erläuterte, daß er und Carl und die anderen aus genau diesem Grund hier seien: um sie zu schützen und zu studieren und aufzuziehen.

Jacques zuckte die Achseln und sagte, sie seien nicht besonders interessant oder ungewöhnlich.

»Ach?« sagte Richard betont ruhig.

»Nichts mit irgendwie interessantem Gefieder dabei.« »Tatsächlich?« sagte Richard.

»Mir ist so was wie der arabische Kakadu lieber«, sagte Jacques mit einem trägen Lächeln.

»Aha.«

»Ich lebe nämlich auf Réunion«, sagte Jacques.

»Aha.«

»Und dort gibt es mit Sicherheit keine interessanten Vögel«, sagte Jacques.

»Das liegt daran, daß die Franzosen sie alle abgeschossen haben«, sagte Richard.

Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in die Küche, um sehr, sehr geräuschvoll abzuwaschen. Er kam erst wieder, nachdem Jacques gegangen war. Er stakste mit einer noch nicht geöffneten Rumflasche zurück ins Zimmer und warf sich auf ein zerschlissenes altes Sofa.

»Vor ungefähr fünf Jahren«, sagte er, »haben wir zwanzig der Rosa Tauben, die wir im Zentrum großgezogen hatten, genommen und freigelassen. Ich schätze mal, daß uns jeder der Vögel, wenn man die Zeit, die Arbeit und die Mittel zusammenrechnet, die wir investiert haben, tausend Pfund gekostet hat. Aber das ist nicht ausschlaggebend. Ausschlaggebend ist die Erhaltung des einzigartigen Lebens auf dieser Insel. Nur steckten binnen kurzer Zeit all die Vögel, die wir aufgezogen hatten, in Schmortöpfen. Nicht zu fassen. Wir konnten es einfach nicht fassen.

Begreift ihr, was mit dieser Insel geschieht? Sie ist ein Sauhaufen. Sie ist eine völlige Ruine. In den fünfziger Jahren ist sie mit DDT getränkt worden, das schnurstracks in die Nahrungskette gelangt ist. Das hat eine Menge Tiere ausgerottet. Dann sind Orkane über die Insel gezogen. Gut, dagegen können wir nichts tun, aber sie sind über eine Insel gezogen, die bereits durch das ganze DDT und die Rodungen geschwächt war, also haben sie irreparable Schäden angerichtet. Heute sind wegen der fortgesetzten Abholzung und Brandrodung nur noch zehn Prozent des ursprünglichen Waldbestandes erhalten, und die werden für die Rotwildjagd abgeholzt. Was von den einmaligen Arten auf Mauritius noch übrig ist, wird von irgendwelchem Zeug überwuchert, das überall auf der Welt vorkommt – Liguster, Guaven und ähnlichem Scheiß. Hier, seht euch das an.«

Er reichte uns die Flasche. Es war ein in der Gegend gebrauter Rum namens »Green Island«.

»Lest mal, was auf der Flasche steht.«

Unter dem romantischen Bild eines alten Segelschiffs, das sich einer idyllischen Tropeninsel näherte, stand folgendes Zitat von Mark Twain: »Es reift die Vorstellung, zuerst sei Mauritius entstanden und dann der Himmel; und daß der Himmel Mauritius nachempfunden wurde.«

»Das ist nicht mal hundert Jahre her«, sagte Richard. »Und seitdem hat man Mauritius fast alles angetan, was man einer Insel niemals antun sollte. Außer vielleicht Atomversuchen.«

Im Indischen Ozean, dicht bei Mauritius, gibt es eine Insel, die wundersamerweise noch nicht versaut ist, und das ist Round Island. In Wirklichkeit ist das überhaupt nicht wundersam, sondern hat einen ganz einfachen Grund, den wir erfuhren, als wir mit Carl und Richard über unsere Pläne sprachen, dorthin zu fahren.

»Könnt ihr nicht«, sagte Carl. »Also, ihr könnt es versuchen, aber ich bezweifle, daß ihr es schafft.«

»Warum nicht?« fragte ich.

»Wellen. Das Meer«, sagte Carl, »sieht da so aus.« Er machte mit beiden Armen heftige Wellenbewegungen.