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Es sah aus wie ein Mühlteich.

Winzige Wellen von weit entfernten Fischerbooten breiteten sich über das endlose Meer in Richtung Strand aus. Das Licht der Morgensonne lag auf dem Wasser wie auf einem Laken. Mark zufolge drehten über uns kleine Fregattvögel und weißbäuchige Seeadler gelassen ihre Runden. Für mich sahen sie aus wie schwarze Flecken.

Wir waren da, Mr. Condo nicht. Nach ungefähr einer Stunde tauchte aber immerhin Kiri auf, um seiner gewohnten Rolle entsprechend zu erklären, Mr. Condo werde nicht kommen, aber dafür sei ja er, Kiri, da und habe seine Gitarre mitgebracht. Außerdem sei der Kapitän eigentlich gar nicht der Kapitän, sondern dessen Vater. Und wir würden mit einem anderen Boot fahren. Die gute Nachricht war, daß wir definitiv nach Komodo fahren würden und daß die Reise höchstens vier Stunden dauern werde.

Das Boot war ein wirklich schmucker, sieben Meter langer Fischerkahn namens Raodah, und die vollständige Besatzung bestand, nachdem wir alles verladen und vertäut hatten, aus uns dreien, Kiri, dem Vater des Kapitäns, zwei ungefähr zwölfjährigen Jungen, die das Boot steuerten, und vier Hühnern.

Es war ein ruhiger, herrlicher Tag. Die beiden Jungen tollten über das Boot wie Katzen, entrollten und hißten die Segel blitzartig, sobald sich ein Windhauch regte, holten sie dann wieder ein, starteten den Motor und schliefen ein, wann immer der Wind erstarb. Zum erstenmal gab es nichts, was wir tun mußten oder tun konnten, also schlenderten wir an Deck herum, blickten auf das vorbeirollende Meer, beobachteten Haubenseeschwalben und Seeadler, die über uns kreisten, und die fliegenden Fische, die gelegentlich um das Boot herumschwirrten.

Die vier Hühner saßen im Bug des Bootes und beobachteten uns. Eine der verwirrendsten Begleiterscheinungen des Reisens in abgelegenen Gegenden ist die Notwendigkeit, seine Nahrung in unverderblicher Form mit sich zu führen. Für einen Mitteleuropäer, der seine Hühner gewöhnlich in Zellophan verpackt aus dem Supermarkt bezieht, ist es eine unangenehme Erfahrung, während einer langen Bootsreise von vier lebenden Hühnern mit tiefem, grauenvollem Argwohn angestarrt zu werden, ohne diesen irgendwie zerstreuen zu können.

Auch wenn man davon absieht, daß ein indonesisches Inselhuhn vermutlich ein wesentlich natürlicheres und glücklicheres Leben hinter sich hat als seine in englischen Legebatterien gezüchteten Verwandten, wird ein Huhn, mit dem man in einem Boot gesessen hat, wohl auch jene Leute ziemlich aus der Fassung bringen, die sich normalerweise keine Gedanken über den Kauf ofenfertiger Ware machen – was darauf schließen läßt, daß ein tief in die westliche Psyche eingegrabenes Tabu existiert, demzufolge man niemanden ißt, dem man persönlich vorgestellt wurde.

Es war uns nicht bestimmt, alle vier selbst aufzuessen. Jener Gott aus dem komplizierten Hindu-Pantheon, zu dessen bescheidenen Aufgaben es gehört, über Hühnerschicksale zu entscheiden, war an jenem Tag offenbar in ziemlicher Randalierstimmung und hatte eigene Pläne für eine kleinere Verwüstung geschmiedet.

Endlich lag die Insel Komodo vor uns und kroch uns langsam vom Horizont aus entgegen. Die Farbe des Meeres um uns verwandelte sich vom schweren, tintigen Schwarz der letzten Stunden in ein sehr viel helleres, durchlässiges Blau, aber die Insel selbst erschien uns, vielleicht auch nur unseren überaus empfänglichen Sinnen, als eine düstere, finstere Masse, die bedrohlich über die See heranrückte.

Im Näherkommen lösten sich ihre düsteren Konturen allmählich zu großen, schroffen Felsformationen und dahinterliegenden, mächtigen Verwerfungen auf. Kurz darauf gelang es uns, Einzelheiten der Vegetation auszumachen. Es wuchsen Palmen, allerdings nur sehr wenige. Sie steckten sporadisch in den Abhängen, als habe die Insel Stacheln oder jemand Dartpfeile in die Hügel geschleudert. Der Anblick erinnerte mich an eine Zeichnung aus Gullivers Reisen, auf der Gulliver von den Liliputanern am Boden festgezurrt worden ist und Dutzende von winzigen Liliputanerspeeren in seinem Körper stecken.

Die Bilder, die die Insel der Phantasie aufnötigte, waren hartnäckig. Die felsigen Ausläufer hatten die Form massiver Schneidezähne, und die dunklen, düster stimmenden, graubraunen Hügel waren gewellt wie die schweren Hautlappen einer Eidechse. Ich wußte, daß ich, wäre ich ein Seefahrer in unbekannten Gewässern gewesen, »Hier Drachen« auf meine Seekarte geschrieben hätte.

Je genauer ich die Insel betrachtete, während sie auf der Steuerbootseite an uns vorbeikroch, und je mehr ich mich bemühte, die Eingebungen meiner regen Phantasie zu verscheuchen, desto unwiderruflicher drängten sich diese Bilder auf. Der Kamm eines Hügels, der sich in dicken, tiefzerfurchten Verwerfungen bis ins Wasser erstreckte, hatte die Konturen eines Eidechsenbeines – wenn schon nicht durch seine tatsächliche Form, so doch durch das natürliche Zusammenspiel seiner Umrisse und dank seiner schwerfälligen, mächtigen Struktur.

Es war das erste Mal, daß ich diesen Eindruck hatte, aber während der Reisen, die wir später in diesem Jahr unternahmen, beschlich mich jedesmal wieder das gleiche Gefühclass="underline" jedes neue Terrain, das wir irgendwo auf der Welt erkundeten, schien durch eine einzigartige Palette von Farben, Strukturen, Formen und Konturen charakterisiert zu sein; und die Lebensformen, auf die man in diesen Gebieten stieß, schienen oft mit der gleichen unverwechselbaren Palette gemalt. Natürlich kennen wir einige einleuchtende Mechanismen, mit denen sich dieses Phänomen erklären läßt: Für viele Lebewesen ist Tarnung ein überlebenswichtiger Mechanismus, und die Evolution wird sich für die günstigste entscheiden. Nur ist das Ausmaß dieser intuitiven, vielleicht zur Hälfte eingebildeten Übereinstimmungen wesentlich größer und umfassender, als mit diesem Mechanismus erklärt werden kann.

Wir beginnen zur Zeit, viele neue Vorstellungen über die Entstehung von Formen in der Natur zu entwickeln, und so unvorstellbar ist es nicht, daß wir, je mehr wir über die Fraktalgeometrie, die »chaotischen Attraktoren« lernen, die jeder neuen Variante der Chaos-Theorie zugrunde liegen, je mehr wir über die Interaktion zwischen Wachstum und Erosion wissen, vielleicht herausfinden werden, daß diese augenscheinlichen Übereinstimmungen von Form und Struktur nicht nur auf eine Laune oder auf einen Zufall zurückzuführen sind. Vielleicht.

Ich machte Mark gegenüber ein paar Bemerkungen in diese Richtung, und er meinte, ich sei albern. Da er immerhin dieselbe Landschaft betrachtete wie ich, räume ich ein, daß es sich bei der Geschichte um eine trotz der indonesischen Sonne möglicherweise nur halbgare Idee gehandelt haben könnte.

Wir legten an einem langen, wackligen Holzsteg an, der von einem breiten Sandstrand aus ins Wasser ragte. Am landwärts gelegenen Ende des Stegs stand ein Torbogen, von dessen höchstem Punkt uns ein Holzbrett auf Komodo willkommen hieß und so einen bescheidenen Beitrag leistete, unser Gefühl der Unerschrockenheit weiter zu verringern.

Als wir den Torbogen durchquerten, drang uns plötzlich ein starker Geruch in die Nase. Man mußte den Torbogen hinter sich lassen, um ihn wahrnehmen zu können. Solange man auf dem Steg stand, war man noch nicht richtig da und kam nicht in den Genuß des starken, deftigen, abgestandenen Geruchs von Komodo.

Den nächsten schweren Schlag bekam unsere Unerschrockenheit von einem ziemlich ordentlich angelegten Weg. Er führte vom Ende des Stegs aus parallel zum Ufer bis zum nächsten und entscheidenden Schlag gegen unser Gefühl der Unerschrockenheit – einem Besucherdorf.

Das Dorf bestand aus einer Ansammlung leidlich zusammengezimmerter Holzbauten: einem Gebäude, von dem aus die Insel (die ein Naturschutzgebiet ist) verwaltet wird, einer Terrasse mit Cafeteria und einem kleinen Museum. Hinter diesen Gebäuden standen, aufgereiht vor einer abschüssigen, halbkreisförmigen Böschung, ungefähr ein halbes Dutzend Besucherhütten – auf Pfählen.