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Während des langen Schweigens, das folgte, konnte Alexis zunächst nicht erkennen, worauf Schulmann hinauswollte. Die Sonne war hinter den braunen Hügeln hervorgekommen und schien direkt ins Fenster herein. Durch die grelle Beleuchtung war es für Alexis schwer, Schulmanns Gesichtsausdruck zu deuten. Unauffällig bewegte Alexis den Kopf zur Seite und fasste ihn noch mal genau ins Auge. Warum wurden die dunklen Augen plötzlich so milchig trüb? fragte er sich. Und lag es wirklich am Sonnenlicht, dass Schulmanns Haut bleich geworden war, dadurch wie aufgesprungen und krankhaft wie etwas Totes aussah? Doch dann, an diesem Tage, der angefüllt war mit aufschlussreichen und manchmal schmerzlichen Erkenntnissen, sah Alexis auch die Leidenschaft, die ihm bis dahin verborgen geblieben war, hier im Restaurant und auch dort unten in dem verschlafenen Kurort mit seinen wuchernd sich ausbreitenden Regierungsbauten. So, wie man manchen Männern ansieht, dass sie verliebt sind, ließ Schulmann erkennen, dass er von einem tiefen und furchteinflössenden Hass besessen war.

Schulmann flog am Abend dieses Tages ab. Der Rest seines Teams blieb noch zwei Tage länger. Eine Abschiedsfeier, mit der der Schlesier unbedingt die traditionell ausgezeichneten Beziehungen zwischen den beiden Geheimdiensten unterstreichen wollte - ein abendliches Zusammensein bei Bier und Wurst - wurde ohne jedes Aufheben von Alexis unterbunden; er wies darauf hin, dass die Bonner Regierung gerade an diesem Tag deutliche Hinweise über bevorstehende Waffenlieferungen an die Saudis hatte fallenlassen und die Gäste daher ganz gewiss nicht in der Stimmung seien zu feiern. Möglicherweise war dies seine letzte effektive Amtshandlung, denn wie Schulmann vorausgesagt hatte, wurde er einen Monat später nach Wiesbaden abgeschoben. Es ging bei dieser neuen Aufgabe um Geheimwaffen, und theoretisch gesehen handelte es sich um eine Beförderung, doch ließ der Posten seiner eigenwilligen Persönlichkeit kaum Raum, sich zu entfalten. Eine unfreundliche Zeitung, die einst zu den Anhängern des tüchtigen Mannes gezählt hatte, vermerkte säuerlich, Bonns Verlust sei für den Fernsehzuschauer ein Gewinn. Sein einziger Trost in einer Zeit, da so viele seiner deutschen Freunde ihn fallenließen wie eine heiße Kartoffel, war der herzliche handgeschriebene Glückwunsch mit dem Poststempel Jerusalem, der ihn am ersten Tag auf seinem neuen Schreibtisch begrüßte. Unterschrieben mit »Stets Ihr Schulmann«, wurde neben den Glückwünschen noch die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass man sich bei Gelegenheit privat oder von Amts wegen wiedersehen werde. Ein etwas verquältes Postskriptum deutete darauf hin, dass auch Schulmann es im Augenblick nicht gerade leicht hatte. »Ich habe das unbehagliche Gefühl, dass es mir wie Ihnen ergeht, wenn ich nicht bald ein Ergebnis liefere«, lautete es. Lächelnd warf Alexis die Karte in eine Schublade, wo jeder sie lesen konnte und zweifellos auch lesen würde. Er war sich völlig darüber im Klaren, was Schulmann tat, und bewunderte ihn dafür: Er legte die harmlosen Grundlagen für ihre zukünftige Beziehung. Ein paar Wochen später, als Dr. Alexis und seine junge Freundin in aller Stille heirateten, machten ihm unter allen Geschenken Schulmanns Rosen die größte Freude und amüsierten ihn am meisten. Dabei habe ich ihm nicht einmal gesagt, dass ich heiraten würde.

Diese Rosen waren wie die Verheißung einer neuen Liebesaffäre, genau in dem Augenblick, da er eine brauchte.

Kapitel 2

Es vergingen fast acht Wochen, ehe der Mann, den Dr. Alexis als Schulmann kannte, nach Deutschland zurückkehrte. Im Laufe dieser Zeit hatten die Ermittlungen und Planungen des Jerusalemer Teams so erstaunliche Fortschritte gemacht, dass diejenigen, die sich immer noch durch die Godesberger Trümmer hindurcharbeiteten, den Fall nicht wiedererkannt hätten. Wäre es nur darum gegangen, Schuldige zu bestrafen -hätte es sich bei dem Godesberger Zwischenfall um einen Einzelfall gehandelt und nicht um den Teil einer aufeinander abgestimmten Serie -, Schulmann hätte sich kaum die Mühe gemacht, sich persönlich einzuschalten, denn er verfolgte höhere Ziele als bloße Rache, und diese Ziele hingen eng mit seinem beruflichen Überleben zusammen. Monatelang hatten seine Teams nach etwas Ausschau gehalten, was er ein Fenster nannte, groß genug, dass jemand einsteigen konnte, um den Feind im eigenen Haus unschädlich zu machen, statt ihn mit Panzern niederzuwalzen und mit Artillerie niederzukartätschen, wozu man in Jerusalem zunehmend neigte. Dank Godesberg meinten sie, ein solches Fenster gefunden zu haben. Wo die Westdeutschen sich immer noch mit vagen Spuren herumschlugen, waren Schulmanns Schreibtischstrategen bereits dabei, heimlich Verbindungen herzustellen, die so weit auseinander lagen wie Ankara und Ost-Berlin. Alte Hasen sprachen schon von einem Spiegelbild: davon, dass in Europa Muster entstanden, wie sie einem vor zwei Jahren aus dem Mittleren Osten vertraut gewesen waren.

Schulmann kam nicht nach Bonn, sondern nach München, und auch nicht als Schulmann; weder Alexis noch sein schlesischer Nachfolger ahnten etwas von seinem Aufenthalt, und genau das hatte er beabsichtigt. Sein Name - falls er überhaupt einen hatte -lautete Kurtz, nur benutzte er ihn so selten, dass man es ihm verziehen hätte, hätte er ihn ganz und gar vergessen. Kurtz mit t, Kurtz wie von Abkürzung, sagten einige, und seine Feinde, Kurtz wie von Kurzschluss. Andere stellten bemühte Vergleiche mit Joseph Conrads Helden an. In Wirklichkeit war es einfach ein mährischer Name, ursprünglich Kurz geschrieben, bis ein britischer Polizeibeamter während der Mandatszeit in seiner großen Weisheit noch ein t hinzugefügt hatte - und Kurtz hatte es in seiner Weisheit beibehalten, ein scharfer kleiner Dolch, der in die Masse seiner Identität gestoßen worden war und dort als eine Art anspornender Stachel steckenblieb.

Er traf von Tel Aviv kommend über Istanbul in München ein und hatte unterwegs zweimal den Pass und dreimal das Flugzeug gewechselt. Zuvor hatte er in London eine Woche lang einiges in die Wege geleitet, dort jedoch eine ganz besonders unscheinbare Rolle gespielt. Wohin er auch kam, hatte er Dinge klargestellt und Ergebnisse überprüft, Hilfe mobilisiert, Leute überredet, sie mit Tarngeschichten und Halbwahrheiten traktiert und die Zögernden mit seiner außerordentlich rastlosen Energie und dem Ausmaß sowie der Reichweite seiner Vorausplanungen überrollt, selbst wenn er sich dabei manchmal wiederholte oder eine kleine Anweisung vergaß, die er gegeben hatte. Unser Leben ist so kurz, erklärte er mit Vorliebe augenzwinkernd, und man ist viel zu lange tot. Das war das Äußerste, was er jemals an Entschuldigung vorbrachte, und seine persönliche Lösung bestand dann, auf Schlaf zu verzichten. In Jerusalem sagten sie gern, Kurtz schlafe so schnell, wie er arbeite. Und das war schnell. Kurtz, erklärten sie einem wohl, sei ein Meister der aggressiven europäischen List. Kurtz schlage die unwahrscheinlichsten Abkürzungen ein. Kurtz bringe die Wüste zum Blühen. Kurtz schlage Haken, lüge und betrüge sogar im Gebet, doch erzwinge er damit mehr Glück, als die Juden in den letzten zweitausend Jahren gehabt hätten.

Nicht, dass sie ihn ausnahmslos liebten; dazu war er viel zu widersprüchlich und kompliziert und eine viel zu schillernde Persönlichkeit. In mancher Hinsicht hatte er zu seinen Vorgesetzten - besonders zu Misha Gavron, seinem Chef -mehr das Verhältnis des knurrend geduldeten Außenseiters als des Partners, dem man restlos vertraute. Er hatte kein festes Aufgabengebiet, wollte aber auch keins. Seine Macht stand auf ziemlich schwachen Füßen und verlagerte sich ständig, je nach dem, wen er bei seiner Suche nach brauchbarer Ergebenheit zuletzt vor den Kopf gestoßen hatte. Er war kein Sabra; ihm fehlte der elitäre Hintergrund der Kibuzzim, der Universitäten oder der Eliteregimenter, aus deren Angehörigen sich zu seinem Leidwesen zunehmend die aristokratische Spitze seines Dienstes rekrutierte. Er hatte nichts im Sinn mit ihren Vervielfältigungsapparaten, ihren Computern und ihrem wachsenden Glauben an Machtspiele amerikanischen Stils, ihrer angewandten Psychologie und ihrem Krisenmanagement. Er liebte die Diaspora und gab ihr gerade jetzt den Vorzug, da die meisten Israelis eifrig und doch voll innerer Hemmungen dabei waren, ihre Identität als Orientalen aufzupolieren. Aber Widerstände waren genau das, woran Kurtz wuchs, und Ablehnung hatte ihn zu dem gemacht, was er war. Er konnte notfalls an allen Fronten zugleich kämpfen, und was ihm freiwillig auf die eine Weise nicht gegeben wurde, nahm er sich heimlich auf die andere. Aus Liebe zu Israel. Um des Friedens willen. Um der Mäßigung willen. Und um seines verdammten Rechtes willen, seinen Schlag zu landen und zu überleben.