Anfangs war nicht zu erfahren, was genau zwischen den beiden Männern vorging, denn weder Kurtz noch Gavron waren besonders vertrauensselig. Aber am nächsten Morgen verließ Kurtz -offenbar mit dem Segen irgendeiner höheren Stelle -seine Deckung und ließ Verstärkung antanzen. Als Mittelsmann bediente er sich dazu des eifrigen Litvak, der ein Sabra und ein Apparatschik bis in die Knochen war und der es verstand, sich unter Gavrons hochmotivierten jungen Leuten zu bewegen, die Kurtz insgeheim unbeweglich fand und mit denen umzugehen ihm unangenehm war. Das Baby dieser hastig zusammengetrommelten Familie war Oded, ein dreiundzwanzigjähriger junger Mann, der aus Litvaks eigenem Kibbuz stammte und wie er die angesehene Sayaret-Kommandoausbildung absolviert hatte. Der Großvater war ein siebzigjähriger Georgier namens Bougaschwili, kurz ›Schwili‹ genannt. Schwili hatte einen glänzenden kahlen Schädel und gebeugte Schultern und trug Hosen, die wie für einen Clown geschnitten waren - mit sehr tief sitzendem Schritt und kurzen Beinen. Ein schwarzer Homburg, den er sowohl im Haus trug wie draußen, krönte diesen sonderbaren Aufzug. Schwili hatte sein Leben als Schmuggler und Bauernfänger begonnen, Berufe, wie sie bei ihm daheim nicht ungewöhnlich waren, doch um die Mitte seines Lebens hatte er sich beruflich zu einem vielseitigen Fälscher entwickelt. Seine Meisterleistung hatte er in der Lubjanka vollbracht, wo er Papiere für seine Mithäftlinge fälschte - und zwar aus alten Ausgaben der Prawda, die er wieder in Papierbrei zurückverwandelte, um sein eigenes Papier daraus herzustellen. Nach seiner Entlassung hatte er sein überragendes Können auf diesem Gebiet - nicht nur als Fälscher, sondern auch als Experte, der bei angesehenen Kunstgalerien unter Vertrag stand - in den Dienst der schönen Künste gestellt und behauptete, dass er mehrmals das Vergnügen gehabt habe, Expertisen über seine eigenen Fälschungen abzugeben. Kurtz liebte Schwili, und wenn er einmal zehn Minuten erübrigen konnte, nahm er die Gelegenheit wahr, ihn in eine Eisdiele unten am Hügel auszuführen und ihm eine doppelte Portion Karameleis, Schwilis Lieblingseis, zu spendieren.
Außerdem stattete Kurtz Schwili mit den beiden unwahrscheinlichsten Helfern aus, die man sich nur vorstellen konnte. Bei dem einen - einer Litvak-Entdeckung - handelte es sich um einen Absolventen der London University namens Leon, einen Israeli, der, ohne dass er etwas dafür konnte, eine englische Kindheit verbracht hatte, denn sein Vater war ein Kibbuz-macher oder Geschaftlhuber, der als Vertreter einer Verkauf s-Kooperative nach Europa geschickt worden war. In London hatte Leon literarische Interessen entwickelt, eine Zeitschrift herausgegeben und einen Roman veröffentlicht, der überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden war. Sein dreijähriger Wehrdienst in der israelischen Armee hatte ihn ganz elend gemacht, und nach seiner Entlassung hatte er sich in Tel Aviv verkrochen, wo er sich einer der intellektuellen Wochenschriften angeschlossen hatte, die kommen und gehen wie schöne Mädchen. Als sie einging, machte Leon die ganze Zeitschrift allein. Trotzdem erlebte er irgendwie unter den friedensbesessenen, klaustrophobischen jungen Leuten in Tel Aviv ein tiefgehendes Wiedererwachen seiner Identität als Jude und - im Zusammenhang damit - den brennenden Drang, Israel von allen seinen ehemaligen und künftigen Feinden zu befreien.
»Von jetzt an«, sagte Kurtz zu ihm, »schreibst du für mich. Eine große Leserschaft wirst du nicht haben, wohl aber eine, die das, was du schreibst, zu schätzen weiß - das bestimmt.« Bei Schwilis zweitem Helfer neben Leon handelte es sich um eine Miss Bach, eine unaufdringliche Geschäftsfrau aus South Bend, Indiana. Von ihrer Intelligenz genauso beeindruckt wie von ihrem nichtjüdischen Aussehen, hatte Kurtz Miss Bach für sich rekrutiert, sie in allen möglichen Fertigkeiten ausgebildet und sie schließlich als Ausbilderin für Computerprogrammierung nach Damaskus geschickt. Von da an hatte die gesetzte Miss Bach jahrelang über Reichweite und Aufstellung der syrischen Radarsysteme berichtet. Endlich zurückgerufen, hatte Miss Bach sehnsüchtig davon geredet, das Grenzerleben einer Siedlerin auf der Westbank zu führen, doch der neuerliche Ruf von Kurtz hatte ihr diese Unbequemlichkeit erspart.
Schwili, Leon und Miss Bach also. Kurtz nannte das gemischte Trio seinen ›Bildungs-Kreis‹ und räumte ihm eine besonders angesehene Stellung in seiner rasch anwachsenden Privatarmee ein.
In München hatte er Administratives zu erledigen, tat das jedoch mit Verschwiegenheit und viel Fingerspitzengefühl und schaffte es, seine vorantreibende Art in die bescheidenste aller Formen zu zwängen. Er hatte dort nicht weniger als sechs Mitglieder seines neu gebildeten Teams untergebracht, die in zwei völlig verschiedenen Unterkünften in weit auseinander liegenden Stadtteilen arbeiteten. Die erste Gruppe bestand aus zwei Männern vom Außendienst. Eigentlich hätten es insgesamt fünf sein sollen, doch war Misha Gavron immer noch entschlossen, ihn am kurzen Zügel zu führen, und so waren es bis jetzt nur zwei. Sie holten Kurtz auch nicht vom Flughafen ab, sondern aus einem schummerigen Schwabinger Cafe, benutzten - auch das aus Gründen der Sparsamkeit - den klapprigen Lieferwagen eines Bauunternehmens, um ihn darin zu verstecken, und fuhren ihn ins Olympische Dorf, in eine der dunklen Tiefgaragen, die der Lieblingsaufenthalt von Ganoven und Prostituierten beiderlei Geschlechts sind. Das Olympische Dorf ist selbstverständlich alles andere als ein Dorf, sondern eine ein Eigenleben führende und dem Verfall preisgegebene graue Betonfestung, die mehr als irgendetwas sonst in Bayern an eine israelische Siedlung erinnert. Von einer der ausgedehnten unterirdischen Garagen brachten sie ihn über eine schmutzstarrende Treppe, die über und über mit Wandschmierereien in vielen Sprachen bedeckt war, über kleine Dachgärten in ein Duplex-Apartment, das sie für kurze Zeit teilmöbliert gemietet hatten. Draußen sprachen sie englisch und redeten ihn mit ›Sir‹ an, doch drinnen nannten sie ihren Chef ›Marty‹ und unterhielten sich respektvoll auf Hebräisch mit ihm. Das Apartment lag im obersten Stock eines Eckgebäudes und war mit kunterbunt zusammengetragenen Beleuchtungsapparaten und ominösen Standkameras sowie Bandgeräten und Projektionsschirmen vollgestellt. Es war aufwendig mit einer offenen Teakholz-Treppe und einer rustikalen Empore ausgestattet, die laut knarrte, wenn sie zu fest darauf traten. Von der Empore ging es in ein viermal dreieinhalb Meter großes Gästezimmer mit einem Oberlicht in der Dachschräge, das sie, wie sie ihm ausführlich erklärten, zuerst mit einer Wolldecke, dann einer Hartfaserplatte und schließlich einer mehrere Handbreit dicken Kapokschicht abgedichtet hatten, die kreuz und quer mit Streifen von Isolierband angeklebt worden war. Wände, Boden und Decke waren ähnlich gepolstert, und das Ergebnis erinnerte an eine Mischung aus moderner Priester- und Gummizelle. Die Zimmertür hatten sie zur Vorsicht mit überstrichenem Stahlblech verstärkt und darin in Kopfhöhe noch ein kleines Geviert aus mehreren Schichten verschieden starken Panzerglases eingelassen; darüber hatten sie ein Pappschild mit der Aufschrift ›Dark Room Keep Out‹ und darunter ›Dunkelkammer - Kein Eintritt angebracht. Kurtz ließ einen von ihnen diesen kleinen Raum betreten, die Tür hinter sich zu machen und so laut schreien, wie er konnte. Als er nichts weiter hörte als einen heiseren, krächzenden Laut, zeigte er sich zufrieden.