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Tag und Nacht, hatte Joseph gesagt.

Und so mühte sie sich Tag und Nacht - um Michels willen, um ihrer eigenen wahnsinnigen Normalität willen, um Palästinas willen, um Fatmehs und Salmas und der durch Bomben verletzten Kinder im

ehemaligen Gefängnis von Sidon willen; sie zwang sich aus sich heraus, um dem Chaos in ihrem Inneren zu entgehen, sammelte die Elemente ihres angenommenen Charakters wie nie zuvor, schmiedete sie zu einer einzigen Schlachtidentität zusammen. Ich bin eine trauernde Witwe, völlig außer mir und hierhergekommen, um den Kampf meines toten Geliebten fortzusetzen. Ich bin als Kämpferin erwacht, will mich nicht länger mit halben Maßnahmen zufrieden geben und stehe - das Schwert in der Hand - vor euch.

Ich habe die Hand auf das palästinensische Herz gelegt; ich habe gelobt, die Welt an den Ohren zu packen, in die Höhe zu heben und zu zwingen, zuzuhören.

Ich lodere, aber ich bin auch listig und findig. Ich bin die schläfrige Wespe, die einen ganzen Winter warten kann, bis sie sticht. Ich bin Genossin Leila, eine Bürgerin der Weitrevolution. Tag und Nacht.

Sie spielte diese Rolle voll und ganz aus, vom wütenden Aufbegehren, mit dem sie ihren unbewaffneten Kampf durchführte, bis zum unbeirrten Funkeln, mit dem sie ihr eigenes Gesicht im Spiegel betrachtete, wenn sie sich das lange schwarze Haar ausbürstete, das an den Wurzeln bereits wieder rot wurde. Bis das, was als Willensanstrengung begonnen hatte, für Geist und Körper zur Gewohnheit geworden war, ein ungesunder, immer vorhandener, einsamer Zorn, der sich rasch ihrem Publikum mitteilte, egal, ob es Ausbilder oder gleichfalls Rekruten waren. Fast von Anfang an fanden sie sich mit einer gewissen Fremdartigkeit bei ihr ab, die Distanz herstellte. Vielleicht hatten sie das schon bei anderen vor ihr erlebt; Joseph behauptete, das sei so. Die eiskalte Leidenschaftlichkeit, die sie zu den Ausbildungsstunden an den Waffen mitbrachte - bei der es von handgehaltenen russischen Raketenabschussvorrichtungen über Bombenbasteln mit rotem Leitungsdraht und Zündern bis zur unvermeidlichen Kalaschnikow ging - machte sogar auf den überschwenglichen Bubi Eindruck. Sie war der Sache ergeben, aber sie stand für sich allein. Allmählich spürte sie, wie sie bei ihr nachgaben. Die Männer, sogar die Angehörigen der syrischen Miliz, hörten auf, ihr wahllos Anträge zu machen; die Frauen gaben es auf, sie wegen ihres hinreißenden Aussehens für verdächtig zu halten; die schwächeren Genossen fingen schüchtern an, sich um sie zu scharen, und die Starken erkannten sie als ebenbürtig an. In ihrem Schlafsaal standen drei Betten, doch hatte sie zunächst mal nur eine Zimmergenossin - eine winzige Japanerin, die viel Zeit damit verbrachte, im Gebet zu knien, mit ihren Mitmenschen jedoch kein Wort in irgendeiner Sprache außer ihrer eigenen wechselte. Im Schlaf knirschte sie dermaßen laut mit den Zähnen, dass Charlie sie eines Nachts weckte, dann neben ihr saß und ihre Hand hielt, während sie schweigende asiatische Tränen vergoss, bis die Musik zu plärren begann und es Zeit war aufzustehen. Bald danach verschwand auch sie ohne jede Erklärung und wurde von zwei algerischen Schwestern ersetzt, die muffige Zigaretten rauchten und von Bomben und Gewehren genauso viel Ahnung zu haben schienen wie Bubi. In Charlies Augen waren es ganz einfache Mädchen, doch die Ausbilder brachten ihnen wegen irgendeiner bewaffneten Heldentat den Aggressoren gegenüber größte Hochachtung entgegen. Morgens sah man sie in ihren wollenen Trainingsanzügen verschlafen aus den Quartieren der Ausbilder herausschlendern, wenn weniger Begünstigte ihre Ausbildung im waffenlosen Kampf beendeten. Auf diese Weise hatte Charlie ihren Schlafraum für eine Weile für sich allein, und obwohl eines Nachts - geschrubbt und gebürstet wie ein Chorknabe - Fidel, der sanfte Kubaner, erschien, um ihr seine revolutionäre Liebe anzutragen, verharrte sie in verkrampfter Selbstverleugnung bei ihrer Pose und gewährte ihm nicht einmal einen Kuss, ehe sie ihn fortschickte.

Der nächste, der nach Fidel versuchte, ihre Gunst zu erringen, war Abdul, der Amerikaner. Er stattete ihr eines Abends spät noch einen Besuch ab und klopfte so leise, dass sie schon erwartete, eine von den Algerierinnen zu sehen, die beide regelmäßig ihren Schlüssel vergaßen. Inzwischen war Charlie zu der Überzeugung gelangt, dass Abdul ein fester und dauernder Bestandteil des Lagers war. Er war den Ausbildern zu nahe, genoss zuviel Freiheit und hatte nichts weiter zu tun, als in einem gedehnten Südstaaten-Akzent, bei dem Charlie argwöhnte, dass er aufgesetzt war, langweilige Vorträge zu halten und Marighella zu zitieren. Fidel, der ihn bewunderte, sagte, er sei ein Vietnam-Deserteur, der den Imperialismus hasse und über Kuba hierher gekommen sei.

»Hallo«, sagte Abdul und schlüpfte grinsend herein, ehe sie ihm die Tür vor der Nase hatte zuknallen können. Er setzte sich auf ihr Bett und fing an, sich eine Zigarette zu drehen.

»Hau ab«, sagte sie. »Zieh Leine.«

»Klar«, sagte er und drehte seine Zigarette weiter. Er war groß, sein Haar lichtete sich, war von nahem betrachtet sehr dünn. Er trug kubanisches Drillich-Zeug und einen seidigen braunen Bart, dem die Haare ausgegangen zu sein schienen.

»Wie heißt du richtig?« fragte er.

»Smith, Leila.«

»Das gefällt mir. Smith.« Er wiederholte den Namen etliche Male in immer anderer Tonart. »Kommst du aus Irland, Smith?« Er steckte die Zigarette an und bot ihr einen Zug an. Sie ging nicht darauf ein.

»Soviel ich gehört hab’, bist du persönliches Eigentum von Mr. Tayeh. Ich bewundere deinen Geschmack. Tayeh ist sehr wählerisch. Was machst du so beruflich, Smith?«

Mit energischen Schritten ging sie zur Tür und riss sie auf, doch er blieb ungerührt auf dem Bett sitzen und sah sie auf eine kraftlose, aber wissende Weise durch den Rauch hindurch an.

»Keine Lust zu bumsen?« wollte er wissen. »Schade. Diese Fräuleins sind wie die Elefantenbabys vom Zirkus Barnum. Dachte, der Standard ließe sich vielleicht ein bisschen anheben. Die besondere Beziehung unter Beweis stellen.«

Schlaff stand er auf, ließ die Zigarette neben ihrem Bettgestell fallen und trat sie mit dem Stiefel aus.

»Du hast nicht ‘n bisschen Hasch für ‘n armen Mann, oder, Smith?« »Raus!« sagte sie.

Ohne Widerrede fügte er sich ihrem Urteil und schlurfte auf sie zu, hielt dann an, hob den Kopf und blieb still stehen; und zu ihrer größten Verlegenheit sah sie, dass seine erschöpften, charakterlosen Augen mit Tränen gefüllt waren und er ums Kinn etwas Kindlich-Flehendes hatte.

»Tayeh will mich nicht vom Karussell abspringen lassen«, klagte er. Sein gedehnter Südstaaten-Akzent war ganz normaler Ostküsten-Sprache gewichen. »Er fürchtet, meine ideologischen Batterien hätten keinen Saft mehr. Womit er leider nicht ganz unrecht hat. Irgendwie ist mir die logische Beweisführung dafür abhanden gekommen, dass jedes tote Baby ein Schritt in Richtung Weltfrieden ist. Dabei ist es eine Belastung, wenn man zufällig einige umgebracht hat. Tayeh ist in der Beziehung hochanständig. Er ist überhaupt ein hochanständiger Mann. ›Wenn du gehen willst, geh!‹ sagte er. Und zeigte dann hinaus in die Wüste. Hochanständig.«

Wie ein verwirrter Bettler nahm er ihre Rechte in beide Hände und starrte auf die leere Handfläche. »Ich heiße Halloran«, erklärte er, als hätte er Mühe, sich überhaupt daran zu erinnern. »Statt Abdul heißt es Arthur J. Halloran. Falls du jemals irgendwo an einer US-Botschaft vorbeikommst, Smith, ich wär’ dir wahnsinnig dankbar, wenn du ihnen kurz sagen würdest, dass Arthur Halloran, früher Boston und bei der Vietnam-Show und in letzter Zeit bei weniger regulären Armeen, lieber heut’ als morgen nach Haus käme und seine Schuld der Gesellschaft gegenüber abtragen würde, ehe diese aberwitzigen Makkabäer über den Berg kommen und uns alle umlegen. Würdest du das bitte für mich tun, Smith, altes Mädchen? Ich mein’, wenn’s brenzlig wird, sind wir Angelsachsen doch die ersten, die geliefert sind, meinst du nicht?«