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»Warum?« wiederholte er.

»Damit es sich neu anfühlt.«

Er hockte sich vor sie und erforschte Hüften und Beine und die Innenseite ihrer Schenkel mit derselben minuziösen Aufmerksamkeit wie alles andere; dann - immer nur mit der linken Hand -drückte er vorsichtig an ihren neuen Pelzstiefeln herum.

»Weißt du, wie viel es wert ist, dieses Armband?« fragte er und richtete sich wieder auf.

»Nein.«

»Bleib still stehen.«

Er stand hinter ihr: der Rücken, das Gesäß, wieder die Beine bis hinunter zu den Stiefeln.

»Du hast es nicht versichern lassen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Michel hat es mir aus Liebe gegeben. Nicht für Geld.«

»Steig ein.«

Sie tat es; er ging vorn herum und kletterte neben ihr herein.

»Okay. Ich bring dich zu Khalil.« Er ließ den Motor an. »Lieferung frei Haus. Okay?«

Der Lieferwagen war mit einem automatischen Getriebe ausgestattet. Ihr fiel auf, dass er hauptsächlich mit der linken Hand steuerte, während die Rechte auf seinem Schoß lag. Das Klirren des Leerguts hinten überraschte sie vollkommen. Er erreichte eine Kreuzung, bog nach links in eine Straße ein, die genauso schnurgerade war wie die erste, nur, dass sie keine Straßenbeleuchtung hatte. Sein Gesicht, soweit sie etwas davon sehen konnte, erinnerte sie an Josephs, nicht so sehr in den Zügen, sondern wegen der Intensität darin und der angespannten Winkel seiner Kämpferaugen, die ständig die drei Spiegel des Wagens und auch noch sie selbst im Auge behielten.

»Magst du Zwiebeln?« fragte er über das Geklirr der Flaschen hinweg. »Sehr sogar.«

»Kochst du gern? Was kochst du? Spaghetti? Wiener Schnitzel?«

»Solche Sachen.«

»Was hast du für Michel gekocht?«

»Steak.«

»Wann?«

»In London. In der Nacht, als er in meiner Wohnung blieb.«

»Keine Zwiebeln?« fragte er.

»Nur im Salat«, sagte sie.

Sie fuhren wieder zurück in Richtung Stadt. Der Lichtschimmer, der von ihr ausging, bildete eine rosige Wand unter den schweren Abendwolken. Sie fuhren einen Hügel hinab und gelangten in ein flaches, sich weithin dehnendes Tal, das plötzlich keinerlei Form hatte. Sie sah halbgebaute Fabriken und riesige, kaum belegte Lastwagen-Parkplätze. Keine Geschäfte, keine Kneipen, nirgendwo ein Licht im Fenster. Sie fuhren auf einen betonierten Vorhof.

Er brachte den Lieferwagen zum Stehen, stellte jedoch den Motor nicht ab. HOTEL GARNI EDEN, las sie in roten Neonlettern, und über dem grellfarbigen Tor: Willkommen! Bienvenu! Wellcome!

Als er ihr die Schultertasche reichte, hatte er einen Einfall. »Hier - gib ihm die auch noch. Er mag sie auch«, sagte er und angelte den Zwiebelkarton zwischen den Kisten mit den leeren Flaschen heraus. Als er ihn ihr auf den Schoß fallen ließ, fiel ihr wieder die Regungslosigkeit seiner behandschuhten Rechten auf. »Zimmer fünf, vierter Stock. Die Treppe. Nicht den Fahrstuhl nehmen! Mach’s gut!«

Bei laufendem Motor sah er sie über den Vorhof auf den beleuchteten Eingang zugehen. Der Karton war schwerer, als sie erwartet hatte, und sie musste ihn mit beiden Armen tragen. Die Halle war leer, der Aufzug stand wartend da, doch sie nahm ihn nicht. Die Treppe war schmal und gewunden, der Teppich abgetreten. Die Musik vom Band klang irgendwie keuchend, die stickige Luft roch nach billigem Parfüm und kaltem Zigarettenrauch. Auf dem ersten Treppenabsatz rief eine alte Frau ihr aus dem Inneren ihres gläsernen Kabäuschens ein GrüßGott! zu, hob jedoch nicht den Kopf. Unerklärte Damen schienen hier häufig ein und aus zu gehen.

Auf dem zweiten Treppenabsatz hörte sie Musik und Frauenlachen; auf dem dritten wurde sie vom Aufzug überholt und fragte sich, warum er sie die Treppe hatte nehmen lassen, doch sie hatte keinen Willen mehr, keine Widerstandskraft; ihr ganzer Text und alles, was sie tat, war für sie geschrieben worden. Von dem Karton schmerzten ihre Arme, und als sie den Korridor des vierten Stocks erreicht hatte, war der Schmerz ihre größte Sorge. Die erste Tür war ein Notausgang, und die zweite, gleich daneben, trug die Nummer 5. Der Aufzug, der Notausgang, die Treppe, dachte sie automatisch; er hat mindestens immer zweierlei.

Sie klopfte, die Tür ging auf, und ihr erster Gedanke war: Ach, typisch, jetzt habe ich alles verpatzt. Denn der Mann, der vor ihr stand, war derselbe, der sie soeben im Coca-ColaWagen hergefahren hatte, nur, dass er nichts auf dem Kopf trug und an der linken Hand keinen Handschuh. Er nahm ihr die Brille ab, legte sie zusammen und gab sie ihr dann zurück. Nachdem er das getan hatte, nahm er ihr noch mal die Schultertasche ab und entleerte den Inhalt auf die billige rosa Daunendecke, ganz ähnlich wie in London, als sie ihr die dunkle Brille aufgesetzt hatten. Ungefähr der einzige Gegenstand im Zimmer mit Ausnahme des Bettes war die Aktentasche. Sie lag auf dem Waschtisch, leer, das schwarze Maul ihr zugewandt, als wollte es nach ihr schnappen. Es war die Tasche, die Professor Minkel zu stehlen sie geholfen hatte, dort in dem en Hotel mit dem Zwischenstock, als sie noch zu jung gewesen war, um es besser zu wissen.

Völlige Stille hatte sich über die drei Männer in der Einsatzzentrale gelegt. Keine Anrufe, nicht einmal von Minkel und Alexis; keine verzweifelten Widerrufe über die abhörsichere Telefonverbindung mit der Botschaft in Bonn. Die ganze so verschlungene Verschwörung hielt in ihrer gemeinsamen Vorstellung den Atem an. Litvak saß verzagt in sich zusammengesunken auf einem Bürostuhl; Kurtz schwamm in einer Art sonnigem Traum, hatte die Augen halb geschlossen und lächelte wie ein alter Alligator. Und Gadi Becker – wie immer der stillste von ihnen - starrte selbstkritisch in die zunehmende Dunkelheit hinaus, wie jemand, der sämtliche Versprechen seines bisherigen Lebens an sich vorüberziehen lässt - welche hatte er gehalten? Welche gebrochen?

»Wir hätten ihr den Sender schon jetzt geben sollen«, sagte Litvak. »Sie trauen ihr jetzt. Warum haben wir ihr nicht den Sender gegeben - dann wüssten wir jetzt genau, wo sie ist.«

»Weil er sie durchsuchen wird«, sagte Becker. »Er wird sie nach Waffen und Drähten durchsuchen, und er wird sie nach einem Sender durchsuchen.«

Litvak erhob sich weit genug, um Einspruch zu erheben. »Warum sie dann überhaupt einsetzen? Ihr seid verrückt. Warum ein Mädchen einsetzen, dem man nicht traut - und das bei einem Unternehmen wie diesem?«

»Weil sie noch nicht getötet hat«, sagte Becker. »Weil sie sauber ist. Deshalb bedienen sie sich ihrer, und deshalb trauen sie ihr nicht, aus ein und demselben Grund.«

Kurtz’ Lächeln wurde fast menschlich. »Sobald sie die erste Beute geschlagen hat, Shimon. Sobald sie kein Anfänger mehr ist. Sobald sie für alle Ewigkeit auf der falschen Seite des Gesetzes steht, bis zum Tode eine Illegale ist - dann, aber erst dann werden sie ihr trauen. Dann trauen ihr alle«, versicherte er Litvak zufrieden. »Ab heute abend neun Uhr wird sie eine von ihnen sein - kein Problem, Shimon, kein Problem.« Litvak war immer noch nicht getröstet.

Kapitel 25

Und noch einmal, er war schön. Er war Michel, ganz ausgewachsen, mit Josephs Enthaltsamkeit und Anmut und Tayehs durch keinerlei Skrupel angekränkeltem Absolutheitsanspruch. Er war alles, was sie sich vorgestellt hatte, als sie ihn sich als jemand ausgemalt hatte, auf den sie sich freute. Er war breitschultrig, hatte feingemeißelte Züge und den Seltenheitswert eines kostbaren Gegenstandes, den man nicht alle Tage zu sehen bekommt. Er hätte kein Restaurant betreten können, ohne dass die Unterhaltung ringsum verstummt wäre, oder es verlassen, ohne dass man in seinem Kielwasser nicht erleichtert aufgeatmet hätte. Er war ein Mann, der es eigentlich gewöhnt war, im Freien zu leben, jetzt aber dazu verdammt, sich in kleinen Räumen zu verstecken, und hatte daher die Blässe dunkler Verliese.

Er hatte die Vorhänge vorgezogen und die Nachttischlampe angeknipst. Es war kein Stuhl für sie da, und er benutzte das Bett als Werkbank. Die Kissen hatte er auf den Boden neben den Karton geworfen, hatte sich Charlie auf die freie Stelle setzen lassen, während er arbeitete und die ganze Zeit über redete, teils mit sich selbst und teils mit ihr. Seine Stimme kannte nur den Angriff: ein Zustoßen und Vorwärtsdrängen von Gedanken und Worten.