»Minkel soll ein netter Mensch sein. Vielleicht ist er das. Als ich über ihn las, habe ich mir auch gesagt - dieser alte Bursche, dieser Minkel, vielleicht hat der den Mumm, der dazugehört, diese Dinge zu sagen. Vielleicht würde ich ihn achten. Ich kann meinen Gegner achten. Kann ihn ehren. Damit habe ich keinerlei Probleme.« Nachdem er die Zwiebeln in eine Ecke geworfen hatte, fischte er mit der linken Hand eine Reihe kleiner Päckchen aus dem Karton, wickelte sie nacheinander aus, während er sie mit der rechten festhielt. Verzweifelt war Charlie bemüht, sich auf irgend etwas zu konzentrieren, und versucht, sich die einzelnen Dinge einzuprägen, gab es dann jedoch auf: zwei neue Taschenlampenbatterien in einer Doppelpackung aus dem Supermarkt, ein Zünder von der Art, wie sie sie während der Ausbildung im Fort benutzt hatte und bei dem rote Drähte aus dem angewürgten Ende hervorschauten. Federmesser. Zange. Schraubenzieher. Lötkolben. Eine Rolle dünner roter Draht, Heftklammern, Kupferfaden, Isolierband, Taschenlampenbirne, ein Sortiment Holzdübel. Und ein rechteckiges Brett aus weichem Holz, das als Sockel für das Ganze dienen sollte. Khalil nahm den Lötkolben, ging damit zum Waschtisch und steckte den Stecker in die Steckdose dort; plötzlich roch es nach versengtem Staub.
»Denken denn die Zionisten an all die netten Leute, wenn sie ihre Bomben auf uns abwerfen? Ich glaube nicht. Wenn sie unsere Dörfer mit Napalmbomben belegen und unsere Frauen töten? Das bezweifle ich sehr. Ich glaube nicht, dass der terroristische israelische Pilot, wenn er da oben sitzt, sich sagt: ›Diese armen Zivilisten, diese unschuldigen Opfer.‹ « So redet er auch, wenn er allein ist, dachte sie. Und er ist viel allein. Er redet, um seinen Glauben lebendig zu erhalten und sein Gewissen zu beruhigen. »Ich habe viele Menschen getötet, die ich ohne Zweifel achten würde«, sagte er, wieder zurück am Bett. »Die Zionisten haben viel mehr umgebracht. Ich töte nur aus Liebe. Ich töte für Palästina und für seine Kinder. Versuch, auch so zu denken«, riet er ihr mit großem Ernst und unterbrach sich, als er sie anschaute. »Du bist nervös?«
»Ja.«
»Das ist natürlich. Auch ich bin nervös. Bist du im Theater auch nervös?« »Ja.«
»Es ist dasselbe. Terror ist Theater. Wir regen an, wir jagen Angst ein, wir erwecken Abscheu, Zorn, Liebe. Wir erleuchten. Das Theater auch. Der Guerillakämpfer ist der große Schauspieler der Welt.« »Das hat Michel mir auch geschrieben. In seinen Briefen.« »Aber er hatte es von mir. Es war meine Idee.«
Das nächste Päckchen war in Ölpapier eingewickelt. Er machte es mit Respekt auf. Drei Halbpfund-Stäbe von russischem Plastik.
Stolz legte er sie an den ihnen gebührenden Platz in die Mitte der Daunendecke.
»Die Zionisten töten aus Angst und aus Hass«, verkündete er. »Wir Palästinenser hingegen aus Liebe und um der Gerechtigkeit willen. Vergiss den Unterschied nicht. Er ist wichtig.« Wieder sein Blick, rasch und herrisch. »Wirst du dich daran erinnern, wenn du Angst hast? Wirst du dir sagen: ›um der Gerechtigkeit willen‹? Wenn du das tust, hast du keine Angst mehr.«
»Und um Michels willen«, sagte sie.
Er war nicht ganz zufrieden. »Und um seinetwillen natürlich auch«, räumte er ein und schüttelte aus einer braunen Tüte zwei Wäscheklammern auf das Bett, hielt sie dann in den Lichtschein der Nachttischlampe, um ihre einfachen Mechanismen miteinander zu vergleichen. Nun, da sie ihn so von nahem betrachten konnte, bemerkte sie ein Stück runzliger weißer Haut, dort wo Backe und Ohrläppchen miteinander verschmolzen und wieder abgekühlt zu sein schienen.
»Warum hast du die Hände vors Gesicht geschlagen, bitte?« erkundigte sich Khalil aus Neugier, nachdem er die bessere der beiden Wäscheklammern ausgewählt hatte.
»Ich war einen Moment müde«, sagte sie.
»Dann wach auf. Du musst hellwach sein für deinen Auftrag. Und für die Revolution. Du kennst diesen Bombentyp? Hat Tayeh ihn dir erklärt?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht hat Bubi es getan.«
»Dann pass auf.« Er setzte sich neben sie aufs Bett, nahm das Holzbrett zur Hand und zog mit einem Kugelschreiber rasch ein paar Linien darauf, um den Schaltkreis darzustellen. »Was wir hier herstellen, ist eine Bombe für alle Gelegenheiten. Sie funktioniert als Zeitbombe - hier -, aber auch als mechanische Bombe beim Öffnen - hier. Sich nie auf was verlassen. Das ist unsere Philosophie.« Er reichte ihr eine Wäscheklammer und zwei Reißzwecken und sah zu, wie sie die Zwecken in die beiden Teile des Schnappendes drückte. »Ich bin kein Antisemit, weißt du das?«
»Ja.«
Sie gab ihm die Wäscheklammer zurück; er trug sie zum Waschbecken und machte sich daran, Drähte an die Köpfe der beiden Reißzwecken zu löten.
»Woher weißt du das?« wollte er wissen. Er war verwirrt.
»Tayeh hat mir das gleiche gesagt, und Michel auch.« Und ungefähr noch zweihundert andere Menschen, dachte sie.
»Der Antisemitismus ist genau genommen nichts weiter als eine christliche Erfindung.« Er kam wieder zum Bett zurück, brachte jedoch diesmal Minkels offene Aktentasche mit. »Ihr Europäer, ihr seid gegen alle Welt: anti-jüdisch, anti-arabisch, anti-schwarz. Wir haben viele Freunde in Deutschland. Aber nicht, weil sie Palästina liebten. Nur, weil sie die Juden hassen. Diese Helga - magst du die?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Sie ist sehr dekadent, glaube ich. Magst du Tiere?«
»Ja.«
Er setzte sich neben sie, die Aktentasche auf dem Bett neben sich. »Hat Michel Tiere gemocht?«
Entscheide dich. Du darfst nie zögern, hatte Joseph gesagt. Besser inkonsequent als unsicher.
»Wir haben nie darüber gesprochen.« »Nicht einmal über Pferde?« Und dich nie, nie verbessern! »Nein.«
Khalil hatte ein zusammengelegtes Taschentuch aus der Tasche hervorgeholt und aus der Mitte des Taschentuchs eine billige Taschenuhr, von der Glas und Stundenzeiger entfernt worden waren. Er legte sie neben den Sprengstoff, nahm dann den roten Draht und wickelte ihn von der Rolle ab. Das Brett hatte sie auf dem Schoß. Er nahm es ihr ab, ergriff dann ihre Hand und legte sie so hin, dass sie die Heftklammern festhielt, während er sie mit leichten Schlägen auf den von ihm vorgezeichneten Linien ins Holz trieb. Wieder am Waschbecken, lötete er den Draht an der Batterie an, und sie schnitt Isolierband in der passenden Länge für ihn zurecht.
»Siehst du«, sagte er stolz, nachdem er die Uhr befestigt hatte. Er war sehr nah bei ihr. Sie spürte seine Nähe wie Hitze. Er beugte sich vornüber wie ein Straßenpflasterer, ging vollkommen in seiner Arbeit auf.
»War mein Bruder bei dir fromm?« fragte er, nahm die Glühbirne und drehte das von der Isolierschicht befreite Drahtende um das Gewinde.
»Er war Atheist.«
»Manchmal war er Atheist, manchmal war er fromm. Und ein andermal war er ein dummer kleiner Junge, der nichts als Frauen, Autos und dummes Zeug im Kopf hatte. Tayeh sagt, du bist im Lager keusch gewesen. Keine Kubaner, keine Deutschen, überhaupt keine Männer.«
»Ich wollte Michel. Weiter wollte ich nichts. Michel«, sagte sie, zu emphatisch für ihr Ohr. Doch als sie zu ihm hinüberblickte, konnte sie nicht umhin, sich zu fragen, ob ihre brüderliche Liebe wirklich so unwandelbar gewesen war, wie Michel behauptet hatte, denn sein Gesicht hatte sich zweifelnd verzogen.
»Tayeh ist ein großer Mann«, sagte er, vielleicht um damit anzudeuten, dass Michel das nicht gewesen sei. Die Glühbirne blinkte auf. »Der Stromkreis funktioniert«, verkündete er und nahm die drei Sprengstäbe zur Hand. »Tayeh und ich - wir sind zusammen gestorben. Hat Tayeh dir davon erzählt?« fragte er, als er die Stäbe mit Charlies Hilfe fest mit Isolierband umwickelte.