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»Nein.« »Die Syrer hatten uns erwischt - schneid hier ab! Erst haben sie uns geschlagen. Das ist normal. Steh bitte auf!« Er hatte eine alte braune Wolldecke aus dem Karton hervorgeholt, die sie über der Brust spannen musste, während er sie geschickt in Streifen schnitt. Ihre Gesichter waren einander über der Wolldecke sehr nahe. Sie roch die warme Süße seines arabischen Körpers.

»Beim Auspeitschen steigerten sie sich in immer größere Wut hinein und beschlossen, uns säm tliche Knochen zu brechen. Erst die Finger, dann die Arme, die Beine. Und dann, mit den Gewehrkolben, die Rippen.«

Die durch die Wolldecke gesteckte Messerspitze war nur ein paar Zentimeter von ihrem Körper entfernt. Er schnitt rasch und sauber, als ob die Wolldecke etwas wäre, was er gejagt und erlegt hätte. »Als sie mit uns fertig sind, lassen sie uns in der Wüste liegen. Ich bin froh. Jedenfalls sterben wir in der Wüste. Aber wir sterben nicht. Eine Patrouille unserer Kommandos findet uns. Drei Monate liegen Khalil und Tayeh nebeneinander im Lazarett. Schneemänner. In Gips. Wir führen manch gutes Gespräch miteinander, wir werden gute Freunde, wir lesen einige gute Bücher zusammen.«

Nachdem er die Streifen schön zu militärischen Stapeln aufeinander geschichtet hatte, wandte Khalil sich jetzt Minkels billiger schwarzer Aktenmappe zu, die - wie ihr zum ersten Mal auffiel - von der Rückseite her geöffnet worden war, und zwar an den Scharnieren; die Schlösser vorn waren immer noch fest geschlossen. Nacheinander legte er die zusammengelegten Streifen in die Tasche, bis er eine weiche Unterlage für die Bombe geschaffen hatte.

»Weißt du, was Tayeh eines Abends zu mir gesagt hat?« fragte er dabei. »›Khalil‹ , sagte er, ›wie lange wollen wir noch die netten Jungs spielen? Kein Mensch hilft uns, kein Mensch dankt uns. Wir halten große Reden, wir schicken gute Redner in die Vereinten Nationen, und wenn wir noch fünfzig Jahre warten, vielleicht wird dann unseren Enkelkindern - falls sie so lange leben - ein kleines bisschen Gerechtigkeit zuteil.‹ « Er unterbrach sich und zeigte ihr mit den Fingern seiner heilen Hand, wie viel. »›Inzwischen bringen uns unsere arabischen Brüder um, die Zionisten, die Falangisten, und diejenigen, die am Leben bleiben, gehen in die Diaspora. Wie die Armenier. Wie die Juden selbst.‹ « Jetzt wurde er listig. »›Aber wenn wir ein paar Bomben herstellen - ein paar Menschen umbringen -, wenn wir auch nur für zwei Minuten in der Geschichte der Menschheit eine Schlächterei veranstalten…‹ « Ohne den Satz zu beenden, nahm er die Bombe und legte sie feierlich und mit großer Präzision in die Mappe.

»Eigentlich brauche ich eine Brille«, erklärte er lächelnd und schüttelte dann den Kopf wie ein alter Mann. »Aber wo sollte ich mir eine holen - ein Mann wie ich?«

»Wenn du gefoltert worden bist wie Tayeh, warum humpelst du dann nicht wie Tayeh?« erkundigte sie sich, und ihre Stimme wurde plötzlich laut vor Nervosität.

Vorsichtig drehte er die Glühbirne aus dem Draht heraus und ließ die angeschnittenen Enden für den Zünder frei. »Der Grund, warum ich nicht hinke, liegt darin, dass ich zu Gott um Kraft gebetet habe. Gott hat sie mir gegeben, damit ich gegen den echten Feind kämpfe und nicht gegen meine arabischen Brüder.«

Er reichte ihr den Zünder und sah beifällig zu, wie sie ihn an den Stromkreis anschloss. Als sie fertig war, nahm er den übrig gebliebenen Draht, wickelte ihn sich mit kräftiger, fast unbewusster Bewegung wie Wolle um die toten Finger seiner rechten Hand, bis ein kleiner Strang entstand.

Er nahm ihn dann und wand das Ende zweimal wie einen Gürtel um die Mitte.

»Weißt du, was Michel mir vor seinem Tod geschrieben hat? In seinem letzten Brief?«

»Nein, Khalil, das weiß ich nicht«, erwiderte sie und sah zu, wie er die Drahtdocke in die Tasche warf.

»Bitte?«

»Nein. Ich habe nein gesagt. Ich weiß es nicht.« »Den er nur wenige Stunden vor seinem Tod abgeschickt hat? ›Ich liebe sie. Sie ist nicht wie die anderen. Gewiss, als ich sie kennenlernte, hatte sie das erstarrte Gewissen einer Europäerin - hier, zieh mal die Uhr auf, bitte - ›außerdem war sie eine Hure. Doch jetzt ist sie in ihrer Seele eine Araberin, und eines Tages werde ich sie unserem Volk und dir vorführen.‹ «

Blieb noch die mechanische Zündung, und um sie herzustellen, mussten sie noch inniger zusammenarbeiten, denn er verlangte von ihr, dass sie ein Ende Stahldraht durch das Material der Klappe führte, dann hielt er selbst die Klappe so niedrig wie möglich, während ihre kleinen Hände den Draht bis zum Dübel in der Wäscheklammer führten. Äußerst behutsam trug er den ganzen Mechanismus nochmals zum Waschbecken hinüber, drehte ihr den Rücken zu und machte die Scharniernadeln mit einem Tropfen Lötmasse auf jeder Seite wieder fest. Sie hatten die Linie überschritten, hinter der es kein Zurück mehr gibt.

»Weißt du, was ich Tayeh eines Tages gesagt habe?«

»Nein.«

»›Tayeh, mein Freund, wir Palästinenser sind ein sehr träges Volk im Exil. Warum haben wir keine Palästinenser im Pentagon? Im State Department? Warum steht die New York Times noch nicht unter unserer Leitung, die Wall Street, der CIA? Warum drehen wir keine Hollywoodfilme über unseren großen Kampf und lassen uns zum Bürgermeister von New York wählen oder zum Obersten Bundesrichter der USA? Was ist denn los mit uns, Tayeh? Warum haben wir keinen Unternehmungsgeist. Es reicht nicht, dass unsere Leute Ärzte, Naturwissenschaftler, Lehrer werden. Warum übernehmen wir nicht auch noch die Leitung von Amerika? Ist das der Grund, warum wir Bomben und Maschinenpistolen gebrauchen müssen?‹ «

Er stand unmittelbar vor ihr und hielt die Aktenmappe in der Hand wie ein guter Pendler auf dem Weg zur Arbeit.

»Weißt du, was wir tun sollten?« Sie wußte es nicht. »Marschieren. Und zwar wir alle. Ehe sie uns für immer vernichten.« Er reichte ihr den Unterarm und zog sie hoch. »Aus den Vereinigten Staaten, aus Australien, Paris, Jordanien, Saudi-Arabien, dem Libanon - von überallher in der Welt, wo es Palästinenser gibt. Wir nehmen Schiffe bis an die Grenzen. Flugzeuge. Millionen von uns. Wie eine große Flut, die kein Me nsch mehr zur Umkehr zwingen kann.« Er reichte ihr die Aktenmappe, sammelte dann seine Werkzeuge ein und packte sie in den Pappkarton. »Und dann marschieren wir alle zusammen in unserer Heimat ein, verlangen unsere Häuser und Höfe und Dörfer zurück, und wenn wir ihre Städte und Kibbuzim und Siedlungen dem Erdboden gleichmachen müssen, um sie wiederzufinden. Es würde nicht funktionieren. Und weißt du, warum nicht? Sie würden nie kommen.« Er hockte sich auf die Knie und suchte den fadenscheinigen Teppich nach verräterischen Spuren ab. »Unsere Reichen könnten keine Abstriche an ihren sozio-ökonomischen Verhältnissen und an ihrem Lebensstil ertragen«, erklärte er und unterstrich ironisch das Soziologen-Kauderwelsch. »Unsere Kaufleute würden ihre Banken, Läden und Büros nicht verlassen. Unsere Ärzte würden ihre eleganten Kliniken nicht aufgeben und die Rechtsanwälte ihre korrupten Praxen genausowenig wie unsere Akademiker ihre behaglichen Universitäten.« Er stand vor ihr, und sein Lächeln war ein Triumph über all seine Schmerzen. »Also machen die Reichen das Geld und überlassen den Armen das Kämpfen. Wann wäre es je anders gewesen?«

Sie stieg vor ihm die Treppe hinunter. Abgang Nutte, das Köfferchen mit Tricks und Hilfsmitteln in der Hand. Der Coca-Cola-Wagen stand noch im Vorhof, doch er ging an ihm vorüber, als hätte er ihn noch nie im Leben gesehen, und kletterte in den Ford eines Bauern, einen Diesel, der bis unters Dach mit Strohballen beladen war. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz. Wieder Berge. Fichten, die auf einer Seite mit frischem nassen Schnee beladen waren, Anweisungen à la Joseph: Verstehst du? Ja, Khalil, ich verstehe. Dann wiederhol mir das! Sie tat es. Es ist für den Frieden, vergiss das nicht. Tu’ ich, Khalil, tu’ ich: für den Frieden, für Michel, für Palästina; für Joseph und für Khalil; für Marty, für die Revolution und für Israel; und für das Theater des Wirklichen. Er hielt neben einer Scheune und schaltete die Scheinwerfer aus. Er blickte auf die Uhr. Weiter unten an der Straße leuchtete zweimal eine Taschenlampe auf. Er langte an ihr vorbei und stieß die Tür auf.