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»Becker«, erklärte Litvak knapp. Kurtz bekundete jovial seine Enttäuschung. »Becker? Was für ein Name ist denn das? Gadi Becker - für einen Sabra!«

»Becker ist das deutsche Wort für die hebräische Version der deutschen Version seines Namens«, erwiderte Litvak humorlos »Auf Bitten seiner Brötchengeber hat er ihn wieder eingedeutscht. Er ist kein Israeli mehr, er ist ein Jude.«

Kurtz ließ von seinem Lächeln nicht ab. »Und wie steht’s mit Frauen bei ihm, Shimon? Wie sieht’s da heute bei ihm aus?«

»Eine Nacht hier, eine dort. Nichts Dauerhaftes.«

Kurtz setzte sich bequemer hm. »Dann braucht er vielleicht etwas, was ihn ganz fordert. Und hinterher kehrt er dann zu seiner reizenden Frau Frankie in Jerusalem zurück; meiner Meinung nach hatte er sowieso kein Recht, sie sitzen zu lassen.«

Sie fuhren in eine schmutzige Seitenstraße und hielten vor einem dreistöckigen Mietshaus aus unterschiedlich gefärbten Ziegelsteinen. Die Toreinfahrt mit den großen Säulen schien den Krieg überdauert zu haben. Auf einer Seite davon war in einem neonerleuchteten Schaufenster eine Auswahl biederer Damenkleider ausgestellt. Auf dem Firmenschild darüber hieß es: ›Kein Einzelverkauf- nur en gros.‹

»Drücken Sie auf die oberste Klingel«, riet Litvak. »Zweimal, Pause, ein drittes Mal, und er kommt. Sie haben ihm ein Zimmer über dem Laden gegeben.« Kurtz kletterte aus dem Wagen. »Viel Glück, ja? Wirklich viel Glück!«

Litvak sah Kurtz nach, wie er im Sturmschritt die Straße überquerte, viel zu schnell für seinen rollenden Seemannsgang, und dann vor der schäbigen Toreinfahrt stehen blieb. Er sah ihn den dicken Arm heben, um zuklingeln, und gleich darauf die Tür aufgehen, als ob jemand dahinter gewartet hätte; was vermutlich der Fall gewesen war, wie er annahm. Er sah, wie Kurtz sich breitbeinig hinstellte und die Schultern senkte, um einen schlankeren Mann zu umarmen; er sah, wie die Arme seines Gastgebers sich in einer raschen, soldatischen Bewegung zur Begrüßung um ihn schlössen. Die Tür ging zu. Kurtz war im Haus.

Während Litvak langsam durch die Stadt zurückfuhr, starrte er alles, was er unterwegs sah, wütend an und ließ auf diese Weise seiner Eifersucht freien Lauf: Berlin, für ihn eine Stadt, die er hasste, für alle Zeit ein Erbfeind, Berlin, eine Brutstätte des Terrors, damals wie heute. Sein Ziel war eine billige Pension, in der kein Mensch zu schlafen schien, er selbst nicht ausgenommen. Fünf vor sieben war er wieder in der Seitenstraße, wo er Kurtz hatte aussteigen lassen. Er drückte auf die Klingel, wartete und hörte langsame Schritte - nur die eines Mannes. Die Tür öffnete sich, Kurtz trat dankbar hinaus in die Morgenluft und streckte sich. Er war unrasiert und hatte den Schlips abgenommen.

»Nun?« fragte Litvak, sobald sie beide im Auto saßen. »Nun, was?«

»Was hat er gesagt? Macht er es, oder bleibt er lieber friedlich in Berlin und lernt, wie man Kleider für polnische Schicksen näht?«

Kurtz schien ehrlich überrascht. Er war mitten in jener Geste, die Alexis so fasziniert hatte, jener Geste, mit der er seine alte Armbanduhr durch Zurückschieben des linken Ärmels mit der Hand an eine Stelle brachte, dass er sie sehen konnte. Doch als er Litvaks Frage hörte, hielt er inne. »Es machen? Er ist israelischer Offizier, Shimon.« Dann setzte er ein so warmherziges Lächeln auf, dass der überrumpelte Litvak nicht umhin konnte, dieses Lächeln zu erwidern. »Ich muss zugeben, zuerst hat Gadi gesagt, er würde lieber weiter sein neues Handwerk in all seinen Aspekten kennen lernen. Daraufhin haben wir uns über den schönen Auftrag unterhalten, den er ‘63 auf der anderen Seite des Suez-Kanals durchgeführt hat. Dann sagte er mir, unser Plan würde nicht hinhauen, worauf wir uns in allen Einzelheiten über die Unbequemlichkeiten unterhalten haben, die es mit sich bringt, eine Tarnexistenz in Tripolis zu führen und dort ein Netz von außerordentlich geldgierigen libyschen Agenten zu unterhalten, was, wenn ich mich recht erinnere, Gadi drei Jahre lang getan hat. Dann sagte er: ›Holt euch einen Jüngeren‹ , was aber keiner ernst genommen hat, und wir tauschten Erinnerungen über seine vielen nächtlichen Vorstöße nach Jordanien hinein aus und über den begrenzten Nutzen von Militäreinsätzen gegen Guerilla-Ziele - ein Punkt, in dem er voll und ganz meiner Meinung war. Und danach haben wir über unsere Strategie diskutiert. Sonst noch was?« »Und die Ähnlichkeit? Reicht die aus? Seine Statur, sein Gesicht?«

»Das mit der Ähnlichkeit kommt hin«, erklärte Kurtz, und sein Gesicht zeigte wieder die alten harten Linien. »Wir arbeiten daran, und das reicht. Aber jetzt genug von ihm, Shimon, sonst bringst du mich noch dazu, ihn zu sehr zu lieben.«

Und dann ließ er seinen Ernst fahren und brach in Lachen aus, bis ihm die Tränen der Erleichterung und der Müdigkeit über die Backen liefen. Litvak lachte auch und spürte, wie sich beim Lachen seine Eifersucht legte. Diese plötzlichen, ziemlich verrückten Wetterumschwünge waren ein wesentlicher Teil von Litvaks Wesen, bei dem viele widerstreitende Faktoren eine Rolle spielten. Wie sah er sich selbst? Sein Name bedeutete ursprünglich ›Jude aus Litauen« und war früher herabsetzend. An einem Tag sah er sich als vierundzwanzigjährige Kibbuz-Waise ohne jeden lebenden bekannten Verwandten, an einem anderen als das Adoptivkind einer amerikanischen orthodoxen Stiftung und der israelischen Sonderkommandos. Wieder an einem anderen Tag als Gottes ergebener Polizist, der mit der Ungerechtigkeit in der Welt aufräumte. Er spielte wunderbar Klavier.

Über das Kidnapping braucht nicht viel gesagt zu werden. Mit einem erfahrenen Team werden solche Dinge heutzutage entweder schnell oder geradezu rituell oder überhaupt nicht erledigt. Nur die mögliche Bedeutung des Fangs gab dem Ganzen etwas Nervöses. Es kam weder zu einer widerlichen Schießerei noch zu anderen Unannehmlichkeiten, sondern war nichts weiter als die reibungslose Inbesitznahme eines weinroten Mercedes und seines Fahrers auf griechischem Gebiet, rund dreißig Kilometer von der türkischgriechischen Grenze entfernt. Litvak leitete die Einsatzgruppe und war, wie immer im Außeneinsatz, ausgezeichnet. Kurtz, der wieder in London war, um eine plötzliche Krise zu bewältigen, zu der es in Schwilis ›Bildungs-Kreis‹ gekommen war, hockte während der entscheidenden Stunden in der Israelischen Botschaft neben dem Telefon. Die beiden Münchener Agenten, die verabredungsgemäß gemeldet hatten, der Leihwagen sei an den Autoverleih zurückgegeben worden, ohne dass von einem Nachfolger die Rede gewesen wäre, folgten Yanuka zum Flughafen, und tatsächlich, das nächste, was man von ihm hörte, war, dass er drei Tage später in Beirut auftauchte, wo eine Abhörmannschaft in einem Keller im Palästinenserviertel seine fröhliche Stimme auffing, wie er seine Schwester Fatmeh begrüßte, die in einem der Büros der Revolutionäre arbeitete. Er sei für ein paar Wochen in der Stadt, um Freunde zu besuchen, sagte er; ob sie wohl einen Abend für ihn frei habe? Seine Stimme habe richtig glücklich geklungen, berichteten sie: übermütig, erregt, leidenschaftlich. Fatmeh jedoch habe sich recht kühl gegeben. Entweder, so sagten sie, sei es mit ihrer Begeisterung für ihn nicht weit her, oder aber sie wisse, dass ihr Telefon angezapft werde. Vielleicht beides. Jedenfalls war es zu keinem Treffen zwischen Bruder und Schwester gekommen.

Dann führte seine Spur nach Istanbul, wo er mit einem zypriotischen Diplomatenpass im Hilton abstieg und sich zwei Tage lang den religiösen wie weltlichen Freuden der Stadt hingab. Die Beschatter beschrieben, wie er einen letzten ausgiebigen Schluck Islam nahm, ehe er in die christlichen Gefilde Europas zurückkehrte. Er besuchte die Moschee Solimans des Prächtigen, wo man ihn nicht weniger als dreimal beim Gebet sah, und ließ sich hinterher auf der mit Gras bewachsenen Promenade neben der Südmauer die Gucci-Schuhe auf Hochglanz bringen. Außerdem trank er dort mehrere Gläser Tee mit zwei ruhigen Männern, die fotografiert, aber hinterher niemals identifiziert wurden: eine falsche Fährte, wie sich herausstellte, und nicht der von ihnen erwartete Kontakt. Außerdem bereitete ihm der Anblick von ein paar alten Männern, die am Straßenrand abwechselnd mit einem Luftgewehr gefiederte Bolzen auf eine auf einen Pappkarton gezeichnete Zielscheibe schössen, ein ganz ungewöhnliches Vergnügen. Er wollte mitmachen, doch sie ließen ihn nicht.