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In den Anlagen auf dem Sultan-Achmet-Platz saß er zwischen Orange- und malvenfarbenen Blumenbeeten auf einer Bank und ließ den Blick wohlwollend auf den ihn umgebenden Kuppeln und Minaretten verweilen wie auf den Trauben von kichernden amerikanischen Touristen, besonders aber auf einer Gruppe Teenager in Shorts. Irgendetwas hielt ihn jedoch davon ab, sich an sie heranzumachen, wie er das normalerweise zu tun pflegte: mit ihnen zu plaudern und zu lachen, bis sie ihn akzeptierten. Er kaufte Straßenhändlern im Kindesalter Dias und Postkarten ab, ohne sich über ihre unerhörten Preise aufzuregen; er durchstreifte die Hagia Sophia, betrachtete mit gleichem Vergnügen die Herrlichkeiten des justinianischen Byzanz wie der ottomanischen Eroberungen und stieß angesichts der Säulen, die man den ganzen Weg von Baalbek in dem Land, das er erst vor kurzem verlassen hatte, bis hierher geschleppt hatte, einen Schrei unverhohlener Überraschung aus. Am hingebungsvollsten versenkte er sich jedoch in die Betrachtung jenes Mosaiks, auf dem dargestellt wird, wie Augustinus und Konstantin ihre Kirche und ihre Stadt der Jungfrau Maria weihen, denn dort war er mit seinem Verbindungsmann verabredet: einem großen, bedächtigen Mann in einer Windjacke, den er sofort als Fremdenführer akzeptierte. Bis dahin hatte Yanuka derlei Anerbieten entschieden zurückgewiesen, doch irgendetwas, was dieser Mann jetzt zu ihm sagte - zweifellos etwas, was neben der Zeit und dem Ort als Erkennungszeichen verabredet worden war - überzeugte ihn sofort. Seite an Seite machten sie einen zweiten flüchtigen Rundgang durch das Innere, bewunderten pflichtschuldig die frühe freischwebende Kuppel und fuhren dann in einem alten amerikanischen Plymouth am Bosporus entlang, bis sie auf einen Parkplatz in der Nähe der Autobahn nach Ankara kamen. Der Plymouth fuhr davon, und Yanuka war wieder allein in der Welt - diesmal jedoch als Besitzer eines schönen roten Mercedes, den er in aller Gemütsruhe zum Hilton zurückfuhr und dort beim Portier als den seinen ausgab.

Yanuka fuhr an diesem Abend nicht in die Stadt - nicht einmal, um sich die Bauchtänzerinnen anzusehen, die ihn am Abend zuvor so begeistert hatten - und wurde erst am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe gesehen, wie er in westlicher Richtung auf der schnurgeraden Straße fuhr, auf der man über die Ebenen nach Edirne und Ipsala gelangt. Anfangs war der Tag dunstig und kühl und der Horizont nahe. In einer kleinen Stadt legte er eine Kaffeepause ein und fotografierte einen Storch, der auf der Kuppel einer Moschee sein Nest gebaut hatte. Er stieg eine kleine Anhöhe hinauf und verrichtete dort angesichts des Meeres seine Notdurft. Der Tag wurde heißer, die glanzlosen Hügel färbten sich rot und gelb, und zu seiner Linken tauchte zwischen ihnen immer wieder das Meer auf. Auf einer solchen Straße blieb seinen Verfolgern keine andere Wahl, als ihn in die Mitte zu nehmen; das heißt, ein Wagen fuhr weit voraus und ein anderer folgte ihm, wobei sie zu Gott hofften, dass er nicht plötzlich auf die Idee kam, in eine nicht gekennzeichnete Seitenstraße abzubiegen, wozu er durchaus imstande war. Doch in dieser gottverlassenen Gegend blieb ihnen keine andere Möglichkeit, denn die einzigen Zeichen von Leben auf Kilometer hinaus waren zeltende Zigeuner, ein paar junge Schafhirten und bisweilen ein mürrischer schwarzgekleideter Mann, dessen Leben davon ausgefüllt zu sein schien, das Phänomen der Bewegung zu studieren. Als er Ipsala erreichte, narrte er alle, weil er den Rechtsabbieger in die Stadt hinein vorzog, statt bis zur Grenze weiterzufahren. Hatte er etwa vor, den Wagen an jemand anderes zu übergeben? Gott bewahre! Aber was zum Teufel hatte er in einem stinkenden kleinen türkischen Grenznest zu suchen?

Die Antwort lautete: Gott. In einer schlichten Moschee am Hauptplatz, ganz, am Rande der Christenheit, empfahl Yanuka sich noch einmal Allah, was. wie Litvak hinterher erbarmungslos meinte, klug von ihm war. Als er herauskam, wurde er von einem kleinen braunen Hund gebissen, der entkam, ehe er es ihm heimzahlen konnte. Auch das betrachtete man als ein gutes Omen. Schließlich kehrte er zur Erleichterung aller auf die Hauptstraße zurück. Der Grenzübergang dort ist ein sehr feindseliger Ort.

Türken und Griechen sind sich nicht gerade grün. Das Gebiet ist wahllos auf beiden Seiten vermint; Terroristen und contrebandiers aller Art haben ihre illegalen Schleichwege und verfolgen ihre gesetzeswidrigen Ziele; es kommt häufig zu Schießereien, von denen jedoch weiter kein Aufhebens gemacht wird; die bulgarische Grenze verläuft nur wenige Kilometer weiter im Norden. Auf einem Schild auf der türkischen Seite steht auf Englisch: »Have a Good Trip«, doch für die ausreisenden Griechen hat man kein freundliches Wort. Zuerst kommen die türkischen Hoheitszeichen, die man auf einem Anschlagbrett angebracht hatte, dann eine Brücke über einen trägen grünen Wasserlauf, dann eine nervöse kleine Schlange vor dem Büro der türkischen Pass- und Auswanderungsbehörde, die Yanuka mit Hilfe seines Diplomatenpasses zu umgehen suchte; das gelang ihm auch, trug freilich nur dazu bei, seinen eigenen Untergang zu beschleunigen. Dann folgt - eingezwängt zwischen der türkischen Polizeistation und den griechischen Wachposten -ein etwa zwanzig Schritt breiter Streifen Niemandsland, wo Yanuka sich eine Flasche zollfreien Wodka kaufte und in dem Cafe unter den Augen eines verträumt aussehenden, langhaarigen Burschen namens Reuven, der die letzten drei Stunden dort ein Brötchen nach dem anderen verzehrt hatte, ein Eis aß. Die letzte bombastische türkische Darbietung ist eine Bronzebüste von Kemal Atatürk, dem Visionär und décadent, der böse zu den feindseligen griechischen Ebenen hinüberfunkelt. Sobald Yanuka dieses Monument hinter sich hatte, sprang Reuven auf sein Motorrad und übermittelte ein aus - jedoch außerhalb des Militärbereiches - an einer Stelle wartete, wo der Verkehr wegen Straßenarbeiten auf Schritttempo heruntergehen musste. Dann beeilte er sich, um den Spaß mitzuerleben.

Sie benutzten ein Mädchen, was in Anbetracht von Yanukas nachgewiesenen Neigungen nur vernünftig war, und staffierten sie mit einer Gitarre aus; es war ein hübsches Detail, denn heutzutage ist ja eine Gitarre ein Freibrief für jedes Mädchen, auch wenn sie nicht darauf spielen kann. Die Gitarre ist die Uniform einer gewissen seelenvollen Friedfertigkeit, wie sie kürzlich an einem anderen Ort genau beobachten konnten. Sie hatten sich den Mund fusselig darüber geredet, ob sie ein blondes oder ein brünettes Mädchen nehmen sollten, da sie seine Vorliebe für Blondinen kannten, ihnen aber auch klar war, dass er stets bereit war, eine Ausnahme zu machen. Zuletzt entschieden sie sich für das dunkelhaarige Mädchen, und zwar weil sie einen ansprechenden Rücken und einen aufreizenden Gang hatte, und postierten sie dort, wo die Straßenarbeiten zu Ende waren. Die Baustelle war ein Gottesgeschenk. Daran glaubten sie fest. Einige von ihnen glaubten sogar, dass Gott -der jüdische - und nicht Kurtz oder Litvak bei all ihrem Glück die Hand im Spiel hatte. Der erste Teil der Strecke war asphaltiert; er ging ohne Warnung in groben blauen Schotter über, der so groß wie Golfbälle, aber sehr viel schartiger war. Dann kam die Holzbarriere mit einer Reihe gelb aufblinkender Warnlichter darauf; dort betrug die Geschwindigkeitsbeschränkung zehn Stundenkilometer, doch nur ein Irrer wäre schneller gefahren. Hinter der Holzabsperrung kam dann das Mädchen, das auf dem Fußweg ging. Geh einfach weiter, sagten sie; nicht rumhängen, sondern immer mit dem linken Daumen nach vorn zeigen. Ihre einzige Sorge war, dass, weil das Mädchen so hübsch war, sie bei dem falschen Mann landete, ehe Yanuka erschien, um sie sich zu holen. Besonders hilfreich war, wie sich an der Stelle der spärliche Verkehr vorübergehend durch eine Spurgabelung teilte. Zwischen der nach Osten und der nach Westen führenden Fahrbahn erstreckte sich ein etwa fünfzig Schritt breiter Ödlandstreifen mit Bauhütten, Traktoren und allem möglichen Gerät darauf. Sie hätten dort ein ganzes Regiment verstecken können, ohne dass eine Menschenseele etwas gemerkt hätte. Nicht, dass sie Regimentsstärke gehabt hätten. Die Einsatzgruppe bestand aus sieben Leuten, Shimon Litvak und der Lockvogel eingeschlossen. Gavron, die Krähe, hatte keinen Penny mehr lockermachen wollen. Die anderen fünf waren leichtgekleidete junge Leute in sommerlichem Aufzug und Turnschuhen, Typen, die den ganzen Tag lang ihre Fingernägel betrachten können, ohne dass jemand auf den Gedanken käme, sie zu fragen, warum sie nicht redeten. Die dann wie Hechte blitzschnell losschießen können, ehe sie wieder zu ihren lethargischen Betrachtungen zurückkehren. Es war inzwischen später Vormittag; die Sonne stand hoch, die Luft war voller Staub. Der übrige Verkehr bestand aus grauen, mit irgendwelchem Lehm oder Ton beladenen Lastern. Der blitzende weinrote Mercedes - nicht mehr neu, aber immer noch sehr schmuck - fiel in dieser Gesellschaft auf wie ein Hochzeitswagen, der zwischen Müllautos eingezwängt daherkommt. Mit dreißig Stundenkilometern traf er auf den blauen Schotter, was natürlich viel zu schnell war, bremste dann ab, sobald die Schottersteine gegen das Schutzblech prasselten. Mit zwanzig fuhr er auf die Barriere zu, ging dann auf fünfzehn und gleich darauf sogar auf zehn herunter, und als er langsam an dem Mädchen vorbeifuhr, sah jeder, wie Yanuka den Kopf drehte, um sich zu überzeugen, ob sie von vorn genauso gut aussah wie von hinten. Das tat sie. Nachdenklich fuhr er noch etwa fünfzig Schritt weiter, bis er den Asphalt erreichte, und Litvak war einen furchtbaren Augenblick lang überzeugt, auf seinen Ersatzplan zurückgreifen zu müssen, ein wesentlich aufwendigeres Unternehmen, das eine zweite Einsatzgruppe sowie hundert Kilometer weiter einen vorgetäuschten Verkehrsunfall bedeutet hätte. Doch die Lüsternheit oder die Natur oder was uns sonst zum Narren macht, setzte sich durch. Yanuka fuhr an den Straßenrand, ließ das automatische Seitenfenster herunter, steckte den hübschen jungen Kopf hinaus und sah voller Lebenslust zu, wie das Mädchen genüsslich im Sonnenlicht auf ihn zukam. Als sie neben ihm stehen blieb, fragte er sie, ob sie vorhabe, den ganzen Weg bis nach Kalifornien zu laufen. Und sie antwortete - ebenfalls auf englisch -, sie wolle so ungefähr nach Saloniki -er auch? Wie das Mädchen berichtete, antwortete er: »So ungefähr, wie Sie möchten«, doch von den anderen hatte keiner es mitbekommen, und so gehörte das hinterher zu den Dingen, über die man sich nach jedem Einsatz streitet. Yanuka selbst bestritt entschieden, überhaupt etwas gesagt zu haben; folglich ist es denkbar, dass das Mädchen ihren Triumph ein wenig ausschmücken wollte. Ihre Augen, ja, überhaupt ihr ganzes Gesicht war außerordentlich reizvoll, und ihre trägen, aufreizenden Bewegungen nahmen seine ganze Aufmerksamkeit gefangen. Was konnte ein braver junger Araber nach zwei Wochen erneuter strenger politischer Schulung in den Bergen des südlichen Libanons mehr verlangen als diese bestrickende, jeansbekleidete Vision aus dem Harem?