Es muss noch hinzugefügt werden, dass Yanuka schlank und eine außerordentlich flotte Erscheinung war, mit feinen semitischen Zügen, die zu den ihren passten, und dass eine ansteckende Fröhlichkeit von ihm ausging. Folglich kam es zu jener Art von gegenseitigem Beriechen, wie es sie von einem Augenblick auf den anderen zwischen zwei körperlich attraktiven Menschen geben kann, die sich dabei quasi spiegelbildlich beim Liebesspiel mit dem anderen sehen. Das Mädchen setzte die Gitarre ab, nahm mit schlangenhaften Bewegungen den Rucksack vom Rücken und ließ ihn dankbar zu Boden fallen. Die Wirkung dieser Geste des Sich-Ausziehens, hatte Litvak ins Feld geführt, zwinge Yanuka einfach dazu, eines von zwei Dingen zu tun: entweder die hintere Tür von innen zu öffnen oder auszusteigen und den Kofferraum von hinten aufzuschließen. Jedenfalls biete er in beiden Fällen die Gelegenheit zum Angriff. Bei manchen Mercedes-Modellen lässt sich der Kofferraum selbstverständlich von innen öffnen, bei diesem jedoch nicht. Das wusste Litvak. Genauso, wie er sicher wusste, dass der Kofferraum abgesperrt war; und dass es keinen Sinn hatte, ihm das Mädchen schon auf der türkischen Seite der Grenze anzubieten, weil Yanuka -so gut seine Papiere auch sein mochten und nach arabischen Maßstäben auch so angesehen wurden - bestimmt nicht so dumm war, das Passieren der Grenze dadurch zu gefährden, dass er Gepäck an Bord nahm, dessen Inhalt er nicht kannte. Auf jeden Fall tat er das, was nach Meinung aller am wünschenswertesten war. Statt einfach mit dem Arm nach hinten zu reichen und eine Tür mit der Hand zu öffnen, was er hätte tun können, entschloss er sich - vielleicht, um Eindruck zu machen -, das zentrale Öffnungssystem zu betätigen, wodurch nicht nur eine, sondern alle vier Türen entriegelt wurden. Das Mädchen machte den hinteren Wagenschlag, dem sie am nächsten stand, auf und schob, während sie draußen blieb, Gitarre und Rucksack auf den Rücksitz. Als sie die Tür wieder geschlossen und sich träge auf den Weg nach vorn begeben hatte, als wolle sie auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, setzte ein Mann schon Yanuka die Pistole an die Schläfe, während Litvak selbst, der zum Umpusten zart aussah, auf dem Rücksitz kniete und Yanukas Kopf mit mörderischem und gut geschultem Griff gepackt hielt und ihm die Droge verabreichte, die, wie man ihm ernstlich versichert hatte, am besten auf Yanukas durch medizinische Unterlagen bekannte Konstitution abgestimmt war: Man war wegen des Asthmas, das er als Heranwachsender hatte, beunruhigt gewesen.
Am beeindruckendsten empfanden hinterher alle die Lautlosigkeit, mit der sich alles abspielte. Selbst während er noch darauf wartete, dass die Droge wirkte, hörte Litvak trotz des vorüberrauschenden Verkehrs deutlich, wie eine Sonnenbrille zerbrach, und einen schrecklichen Augenblick lang fürchtete er, es sei Yanukas Genick, was alles kaputtgemacht hätte. Zuerst dachten sie, Yanuka habe es fertiggebracht, die falschen Nummernschilder und Papiere für seine Weiterfahrt zu vergessen oder verschwinden zu lassen, doch dann fanden sie sie zu ihrer Freude säuberlich in sein elegantes Handköfferchen verstaut unter einer Reihe handgenähter Seidenhemden und grellfarbiger Krawatten, die sie sich samt und sonders ebenso für ihre eigenen Zwecke aneignen mussten wie seine schöne goldene Cellini-Uhr, das goldene Gliederarmband und das vergoldete Amulett, das Yanuka mit Vorliebe über dem Herzen trug und von dem man annahm, dass es ein Geschenk seiner geliebten Schwester Fatmeh war. Ein weiterer Glücksfall bei dem Unternehmen -nicht ihr Verdienst, sondern ganz allein Yanukas - war die Tatsache, dass der Zielwagen sehr dunkel getönte Fenster hatte, die das gewöhnliche Volk daran hindern sollten zu sehen, was sich im Wageninneren abspielte. Das war eine der vielen Einzelheiten, die bewiesen, dass Yanuka das Opfer seines eigenen üppigen Lebensstils wurde. Den Wagen danach wie durch Zauberhand nach Westen und hinterher nach Süden zu bringen, bereitete keinerlei Kopfzerbrechen; wahrscheinlich hätten sie ganz normal damit weiterfahren können, ohne dass irgendeinem Menschen etwas aufgefallen wäre. Doch um ganz sicherzugehen, hatten sie einen Laster gemietet, der angeblich Bienen an einen neuen Standort bringen sollte. In dieser Gegend gibt es einen recht ansehnlichen Bienenhandel, wie Litvak sinnvoll bedachte, und selbst der neugierigste Polizist überlegt es sich zweimal, ehe er seine Nase in so einen Wagen steckt. Das einzige, was nicht vorgesehen war, war der Hundebiss: was war, wenn der Köter Tollwut hatte? Irgendwo kauften sie ein Serum und gaben ihm für alle Fälle eine Spritze.
Nun, da Yanuka vorübergehend aus dem Verkehr gezogen war, ging es vor allem darum sicherzustellen, dass kein Mensch - weder in Damaskus noch anderswo - die Lücke merkte. Sie wussten bereits, dass er von Natur aus unabhängig und sorglos war. Sie wussten, dass er sich viel darauf zugute tat, ja, geradezu einen Kult daraus gemacht hatte, das Unlogische zu tun, dass er berühmt dafür war, seine Pläne von einem Augenblick auf den anderen zu ändern, und zwar teils aus Laune und teils, weil er mit gutem Grund glaubte, das sei die beste Art, seine Spur zu verwischen. Sie wussten, dass er seit neuestem eine Vorliebe für griechische Dinge hatte und die bewiesene Angewohnheit, unterwegs kleine Abstecher zu machen, um Antiquitäten aufzustöbern. Auf seiner letzten Fahrt war er bis nach Epidaurus in den Süden hinuntergefahren, ohne zuvor auch nur irgendeine Erlaubnis dafür einzuholen -hatte also ohne jeden ersichtlichen Grund einen großen Bogen geschlagen, der ihn von seiner eigentlichen Route weit weg geführt hatte. Diese unberechenbaren Angewohnheiten hatten es in der Vergangenheit sehr schwer gemacht, ihn zu fangen. Konnte man sie jedoch gegen ihn verwenden, wie jetzt, war das nach Litvaks kühler Einschätzung unbezahlbar, denn die eigene Seite konnte ihn dadurch genauso wenig im Auge behalten wie die Gegner. Die Einsatzgruppe bekam ihn zu fassen und ließ ihn von der Bildfläche verschwinden. Das Team wartete. Und an keiner der Stellen, wo sie sich einschalten und abhören konnten, läutete eine Alarmglocke, gab es das geringste Anzeichen von Unruhe. Falls Yanukas Auftraggeber überhaupt eine Vorstellung von ihm hatten - zu diesem Schluss kam Shimon Litvak nach vorsichtiger Einschätzung -, dann sahen sie ihn als einen jungen Mann im Vollbesitz seiner geistigen wie körperlichen Kräfte, der eine kleine Spritztour machte, um etwas zu erleben und - wer weiß? - neue Soldaten für die große Sache zu gewinnen. Damit konnte die Fiktion, wie sie jetzt unter sich sagten, beginnen. Ob sie auch enden konnte -ob die Zeit nach Kurtz’ alter Stahluhr auch reichte, dass sie richtig in Gang kam -, stand auf einem ganz anderen Blatt. Auf Kurtz wurde zweifacher Druck ausgeübt: erstens - so simpel war das - musste er Fortschritte vorweisen können, oder Misha Gavron machte ihm den Laden dicht; und zweitens war da noch Gavrons Drohung, falls kein Fortschritt gemacht werde, sei es ihm nicht länger möglich, den immer lauter werdenden Ruf nach einer militärischen Lösung zurückzuhalten. Davor hatte Kurtz Angst.