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»Wenn er schwul ist, warum sollte er dann hier auf Männerfang gehen, du Schwachkopf?« fragte sie wütend, fuhr zu ihm herum und verzerrte hässlich den Mund. »Zwei Scheiß-Strände weiter kann er doch nach Herzenslust unter allen Queens von Griechenland wählen. Und du auch!«

Als Anerkennung für diesen höchst unvorsichtigen Ratschlag versetzte Alastair ihr eine schallende Ohrfeige, so dass sich eine Seite ihres Gesichts erst weiß und dann scharlachrot färbte. Sie trieben ihr Spiel der Mutmaßungen bis in den Nachmittag hinein weiter. Joseph war ein Voyeur; er war ein Schleicher, ein Spanner, ein Mörder, ein Schnüffler, ein Fummel-Designer, ein Tory. Wie gewöhnlich blieb es jedoch Alastair überlassen, mit dem endgültigen Ritterschlag aufzuwarten: »Ein Scheiß-Wichser ist er!« blubberte er voller Verachtung aus einem Mundwinkel heraus; dann saugte er vernehmlich die Luft durch die Vorderzähne ein, um zu unterstreichen, was für ein toller Beobachter er doch sei. Doch Joseph selber verhielt sich diesen Beleidigungen gegenüber so gleichgültig, wie es sich auch Charlie gewünscht hätte; er tat das so sehr, dass sie am späten Nachmittag, als die Sonne und der Hasch alle - wieder bis auf Charlie - fast bis zum Stumpfsinn benebelt hatten, zu dem Schluss kamen, er sei cool, was für sie das größte Kompliment war. Und auch bei diesem dramatischen Wandel war es wieder Alastair, der das Rudel anführte. Joseph lasse sich weder von ihnen vergraulen noch anmachen - von Lucy nicht und von den beiden lover-boys auch nicht. Ergo cool, wie Alastair selbst. Joseph habe sein Territorium, und sein ganzes Verhalten verkünde: kein Mensch sitzt mir im Nacken, hier habe ich mein Lager aufgeschlagen. Cool. Bakunin hätte ihm höchstes Lob gezollt. »Er ist cool, und ich liebe ihn«, zu diesem Schluss kam Alastair, während er Lucy liebkosend bis hinunter zum Gummizug des Bikinis über den seidigen Rücken strich und dann wieder von oben anfing.

»Wäre er eine Frau, ich wüsste genau, was ich mit ihm machen würde, oder, Luce?«

Gleich darauf erhob Lucy sich und war damit in der Hitze der einzige Mensch, der auf dem flirrenden Strand aufrecht stand. »Wer behauptet denn, ich kann ihn nicht anmachen?« sagte sie und stieg aus ihrem Badeanzug.

Nun war Lucy blond, breithüftig und verführerisch wie ein Apfel. Sie spielte Animierdamen, Nutten und Jungen-Hauptrollen, doch ihre Spezialität waren mannstolle Teenager, und sie verstand es, einen Mann allein durch ihren Augenaufschlag rumzukriegen. Sie verknotete locker einen weißen Bademantel unter den Brüsten, hob einen Weinkrug samt Plastikbecher auf und schritt - den Krug auf dem Kopf -, hüftschwenkend und die Oberschenkel schön zur Geltung bringend, zum Fuß der Düne hinüber, nach Kräften bemüht, satirisch eine griechische Göttin à la Hollywood darzustellen. Nachdem sie die kleine Anhöhe zu ihm hinaufgestiegen war, ließ sie sich neben ihm auf ein Knie nieder, schenkte von hoch oben den Wein ein und ließ dabei den Bademantel aufgehen. Dann reichte sie ihm den Becher und beschloss, ihn auf französisch anzureden, soweit ihre Kenntnisse dieser Sprache das erlaubten. »Aimez-vous?« fragte Lucy.

Joseph gab durch nichts zu erkennen, dass er sie bemerkt hatte. Er blätterte um, beobachtete darauf ihren Schatten, und erst dann wälzte er sich auf die Seite, betrachtete sie kritisch mit seinen dunklen Augen unter dem Schatten seiner Golfkappe, nahm den Becher an und trank ihr mit ernster Miene zu, während zwanzig Schritt weiter ihr Fan-Club klatschte oder albern zustimmende Laute ausstieß wie die Abgeordneten im Unterhaus. »Du musst Hera sein«, sagte Joseph zu Lucy mit genauso viel Gefühl, als ob er eine Landkarte studierte. Das war der Augenblick, als sie die dramatische Entdeckung machte: Er hatte diese Narben! Lucy konnte kaum an sich halten. Am reizvollsten von allen war ein säuberliches Bohrloch von der Größe eines Fünf-Pence-Stückes, wie einer von den Einschussloch-Aufklebern, die Pauly und Willy an ihrem Mini-Morris hatten, nur befand dieses hier sich auf der linken Seite seines Bauches! Aus der Ferne konnte man die Narbe nicht erkennen, doch als sie sie berührte, fühlte sie sich glatt und hart an.

»Und du bist Joseph«, erwiderte Lucy ein wenig verwirrt, denn sie hatte keine Ahnung, wer Hera war.

Wieder wehte Applaus über den Sand herüber, als Alastair sein Glas hob und ihm zuprostete: »Joseph! Mr. Joseph, Sir! Viel Glück, und ihre neidischen Brüder zum Arsch!«

»Kommen Sie doch rüber zu uns, Mr. Joseph!« rief Robert, worauf Charlie ihm wütend über den Mund fuhr, er solle doch die Klappe halten.

Doch Joseph kam nicht zu ihnen herüber. Er hob den Becher, und Charlie wollte es in ihrer rasenden Phantasie vorkommen, als trinke er insbesondere ihr zu; doch wie wollte sie das bei einer Entfernung von zwanzig Schritt so genau feststellen, wenn ein Mann einer ganzen Gruppe zutrank? Dann wandte er sich wieder seinem Buch zu. Nicht, dass er sie vor den Kopf stieß; er habe weder positiv noch negativ reagiert, wie Lucy es hinterher ausdrückte, sondern habe sich bloß wieder auf den Bauch gewälzt und weiter gelesen, und - du meine Güte! - es sei wirklich die Narbe von einer Kugel; die Ausschussnarbe, groß wie von einer MP, habe er auf dem Rücken! Während Lucy sich nicht von diesem Anblick losreißen konnte, ging ihr auf, dass es sich nicht nur um eine einzelne Wunde handelte, sondern um eine ganze Menge: die Arme seien unten am Ellbogen ganz vernarbt; hinten am Bizeps kleine Inseln von haarloser und unnatürlicher Haut; und das Rückgrat geradezu durchgescheuert, sagte sie - »als ob jemand ihn mit glühender Stahlwolle bearbeitet hätte« -, wer weiß, vielleicht hatte ihn sogar jemand kielgeholt? Lucy blieb noch ein Weilchen, tat so, als werfe sie über seine Schulter einen Blick in sein Buch, während er umblätterte, doch in Wirklichkeit wollte sie ihm gern mal über das Rückgrat streichen, denn abgesehen davon, dass es narbig war, war es auch noch behaart und lag tief zwischen zwei Muskelwülsten: ein Rückgrat, wie sie es besonders gern hatte. Aber sie tat es nicht, denn, erklärte sie Charlie hinterher, wenn sie ihn einmal gestreichelt hätte, wisse sie nicht, ob sie es dann jemals wieder tun dürfe. Sie habe sich gefragt - erklärte Lucy in einer seltenen Aufwallung von Bescheidenheit -, ob sie nicht zumindest erst mal anklopfen solle; ein Satz, der Charlie hinterher nicht mehr aus dem Sinn ging. Lucy hatte überlegt, ob sie nicht seine Feldflasche ausgießen und mit Wein füllen sollte, doch habe er am Wein kaum genippt, und vielleicht trank er Wasser lieber? Schließlich hatte sie sich den Weinkrug wieder auf den Kopf gesetzt und war lässig tänzelnd zur Familie zurückgekehrt, wo sie ziemlich atemlos Bericht erstattete, bis sie bei irgend jemand - auf dem Schoß einschlief. Joseph galt fortan cooler denn je. Der Vorfall, durch den die beiden förmlich miteinander bekannt gemacht wurden, ereignete sich am nächsten Nachmittag, und den Anstoß dazu gab Alastair. Long Al sollte abreisen. Sein Agent hatte ihm ein Telegramm geschickt, und das war schon ein Wunder an sich. Bis zu diesem Tag hatte man nicht ohne Grund angenommen, dass sein Agent diese kostspielige Form der Kommunikation einfach nicht kenne. Das Telegramm war morgens um zehn mit einer Lambretta zum Bauernhaus hinausgekommen und dann von Pauly und Willy, die sich einen langen Morgen im Bett gegönnt hatten, zum Strand hinuntergebracht worden. Es enthielt ein Angebot, was mit möglicherweise größere Filmrolle‹ umschrieben war, und das wieder war eine große Sache innerhalb der Familie, denn Alastair hatte nur den einen Ehrgeiz, die Hauptrolle in großen, aufwendigen Filmen zu spielen oder, wie sie es nannten, das Kinopublikum so weit zu bringen, dass es Rotz und Wasser weinte. »Ich bin einfach zu stark für sie«, erklärte er jedes Mal, wenn er sich im Filmgewerbe eine Absage holte. »Er muss sich eine Besetzung suchen, die es mit mir aufnehmen kann, und das weiß das Schwein natürlich.« Daher freuten sie sich alle für Alastair, als das Telegramm kam, insgeheim aber noch mehr für sich selbst, denn mit seiner Gewalttätigkeit begann er sie ganz krank zu machen. Vor allem aber machte es sie Charlies wegen ganz krank, die mittlerweile am ganzen Körper mit blauen Flecken übersät war, so dass sie schon um ihren Aufenthalt auf der Insel fürchteten. Nur Charlie war über die Aussicht, dass er abreiste, ganz durcheinander, wenn sie auch vor allem um ihrer selbst willen traurig war. Wie die anderen, hatte sie tagelang gewünscht, dass er endgültig aus ihrem Leben verschwand. Doch jetzt, wo ihre Gebete durch das Telegramm erhört worden waren, bedrückten sie Schuldgefühle und Angst davor, daß wieder einmal eines ihrer Leben zu Ende war.