Die Familie begleitete Alastair hinunter zum Büro der Olympic Airways in der Stadt, sobald es nach der Siesta wieder aufmachte, um dafür zu sorgen, dass er auch wirklich einen Platz in der nächsten Morgenmaschine nach Athen bekam. Charlie ging zwar auch mit, war aber weiß und schwindlig und hielt die Arme vor der Brust verschränkt, als ob sie fröre. »Ihr könnt Gift darauf nehmen, dass die Maschine ausgebucht ist«, warnte sie sie. »Bestimmt müssen wir es noch wochenlang mit dem Scheißkerl aushalten.«
Aber sie sollte sich irren. Es war nicht nur ein Platz für Long Al frei, sondern schon vor drei Tagen per Telex auf seinen vollen Namen reserviert und die Buchung gestern bestätigt worden. Diese Entdeckung nahm ihnen alle noch verbliebenen Zweifel. Long Al sollte ganz groß herauskommen. So etwas war noch keinem von ihnen jemals passiert. Daneben verblasste sogar die Menschenfreundlichkeit ihrer Gönner. Ein Agent - und dazu auch noch Als Agent, nach einhelliger Meinung der größte Banause auf dem gesamten Viehmarkt - reservierte per Telex so etwas wie Flugtickets für ihn! »Dem kürz’ ich seine Kommission, verlasst euch drauf«, erklärte Al ihnen bei etlichen Ouzos, während sie auf den Bus warteten, der sie an ihren Strand zurückbringen sollte. »Ich lass’ mir doch nicht für den Rest meines Lebens von einem solchen Parasiten zehn Prozent abknöpfen! Das könnt ihr mir glauben!«
Ein strohblonder Hippie, ein verrückter Typ, der sich ihnen manchmal anschloss, erinnerte sie daran, dass alles Eigentum Diebstahl sei.
Ganz anders als Alastair machte Charlie, die sich nach ihm sehnte, ein finsteres Gesicht und trank überhaupt nichts. »Al«, flüsterte sie einmal und griff nach seiner Hand. Aber Long Al war im Erfolg nicht zartfühlender als im Misserfolg oder in der Liebe, und Charlie hatte an diesem Morgen als Beweis eine aufgeplatzte Lippe, die sie immer wieder gedankenverloren mit den Fingerspitzen abtastete. Am Strand setzte er seinen Monolog genauso unerbittlich fort, wie die Sonne weiter herabsengte. Er werde erst einmal feststellen müssen, ob er mit dem Regisseur auch einverstanden sei, bevor er unterschreibe, verkündete er.
»Keine alten englischen Tunten für mich, nein, vielen Dank, Mädchen; und was das Drehbuch betrifft, ich bin auf keinen Fall einer von ihren gelehrigen Laien-Schauspielern, der einfach auf seinem Arsch rumsitzt und die Textzeilen, die ihm zugeworfen werden, runterleiert wie ein Papagei. Du kennst mich, Charlie. Und wenn
sie mich kennenlernen wollen, so, wie ich wirklich bin, dann fangen sie besser gleich damit an, Charlie-Baby, sonst kommt es zwischen ihnen und mir zu einem erbitterten Kampf, bei dem kein Pardon gegeben wird, das werden die schon noch merken.« In der Taverne setzte sich Long Al, damit auch keiner vergaß, wer hier den Ton angab, ans Kopfende, und das war der Augenblick, als sie merkten, dass er seinen Pass und seine Brieftasche samt Kreditkarte der Barclay-Bank und sein Flugticket sowie fast alles sonst verloren hatte, was ein guter Anarchist vernünftigerweise als den überflüssigen Plunder unserer Sklavengesellschaft bezeichnete.
Zunächst einmal kapierte der Rest der Familie nicht, worum es ging, doch das passierte dem Rest der Familie häufiger. Sie dachten nur, es braue sich wieder einer von den unbegreiflichen Krächen zwischen Alastair und Charlie zusammen. Alastair hatte sie am Handgelenk gepackt und drückte es ihr mit Gewalt gegen die Schulter, und Charlie schnitt Grimassen, während er sie, das Gesicht dicht vor ihrem, unflätigst beschimpfte. Sie stieß einen unterdrückten Schmerzensschrei aus, und in dem Schweigen, das unmittelbar folgte, begriffen sie, was er ihr seit einiger Zeit auf die eine oder andere Weise vorgeworfen hatte.
»Ich hab’ dir doch gesagt, du sollst die Sachen in deine Scheiß-Tasche stecken, du blöde Kuh. Sie haben doch dagelegen, auf der Theke in der Ticket-Verkaufsstelle. Und ich hab’s dir aufgetragen, hab’s dir gesagt, ja, dir befohlen: ›Nimm sie an dich und steck sie in deine Schultertasche, Charlie!‹ Denn die boys, wenn sie nicht gerade dreckige kleine Tunten mit einer dreckigen Phantasie sind wie Willy und Pauly, sind nämlich keine Handtaschenträger, Darling, stimmt’s nicht, Darling? Wo bist du also hin, und wo hast du sie hin, Mädchen, wo? Damit hältst du einen Mann wie mich nicht davon ab, seinem Schicksal entgegenzufliegen, glaub mir! Damit kannst du einen Scheiß-Chauvi nicht bremsen, und wenn du noch so eifersüchtig bist, dass mich armes Schwein das Glück getroffen hat. Ich muss zu Hause nämlich arbeiten, mein Täubchen, muss gewisse Hochburgen einnehmen und so.« Gerade als ihr Streit auf dem Höhepunkt war, hatte Joseph seinen Auftritt. Von woher eigentlich, schien keiner zu wissen - jemand sei einfach unauffällig ins Licht getreten, wie Pauly es ausdrückte. Soweit sich hinterher feststellen ließ, trat er von links auf - oder in anderen Worten vom Strand her. Jedenfalls stand er plötzlich da, in seinem bunten Bademantel und die Golfkappe ins Gesicht gezogen, hielt in der Hand Alastairs Pass, Alastairs Brieftasche und Alastairs nagelneues Flugticket, die er offenbar alle unten am Fuß der Tavernentreppe vom Sand aufgehoben hatte. Ausdruckslos und höchstens ein wenig verdattert betrachtete er die Szene zwischen den streitenden Liebenden und wartete wie ein vornehmer Bote, bis er ihre Aufmerksamkeit erregte. Dann legte er seine Funde auf den Tisch, einen nach dem anderen. Kein Laut plötzlich in der ganzen Taverne, außer dem leisen Knall, den es jedesmal gab, als er sie nacheinander auf den Tisch fallen ließ. Schließlich sprach er. »Entschuldigt, aber ich hab’ so eine Ahnung, als ob jemand dies hier bald vermissen könnte. Eigentlich sollte man ja ohne diese Sachen im Leben auskommen, finde ich, aber ich fürchte, das könnte zu beträchtlichen Schwierigkeiten führen.«
Keiner außer Lucy hatte seine Stimme bisher gehört, und Lucy war zu bedudelt gewesen, um die Betonung oder irgend etwas sonst daran zu bemerken. Folglich hatten sie keine Ahnung von seinem tadellosen, wenn auch etwas umständlichen Englisch gehabt, aus dem auch noch der letzte kleine ausländische Knitter herausgebügelt war. Hätten sie eine Ahnung davon gehabt, sie hätten ihn bestimmt nachgeäfft. Erst waren sie verwundert, dann lachten sie, dann waren sie dankbar. Sie baten ihn, sich zu ihnen zu setzen. Joseph wehrte ab, und sie gerieten ins Kreischen. Er war Mark Anton vor der lärmenden Menge: Sie brachten ihn dazu, sich zu setzen. Er betrachtete sie eingehend; sein Blick erfasste Charlie, wanderte dann weiter und kehrte zu Charlie zurück. Schließlich streckte er mit einwilligendem Lächeln die Waffen. »Nun, wenn ihr unbedingt wollt«, sagte er. Lucy, die ja schon eine alte Freundin von ihm war, umarmte ihn. Pauly und Willy teilten sich in die Honneurs. Jedes Familienmitglied war nacheinander seinem klaren Blick ausgesetzt, und plötzlich begegneten Charlies harte blaue Augen Josephs braunen, stand Charlies wütende Verwirrung gegen Josephs vollkommene Gefasstheit, die nicht den geringsten Triumph durchschimmern ließ - von der nur sie allein wusste, dass sie eine Maske war, hinter der er ganz andere Gedanken und Beweggründe verbarg.