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Wütend schrie Charlie ihr Gelächter nieder und appellierte verzweifelt an die anderen: »Er kann doch nicht einfach im luftleeren Raum sitzen und Handel treiben, ihr Spatzengehirne! Was macht er? In welcher Branche ist er?« Sie ließ sich auf ihrem Stuhl zurücksinken. »Himmel«, sagte sie. »Trottel!« Und gab es auf und sah ausgelaugt und wie fünfzig aus, was sie von einem Augenblick auf den anderen schaffte.

»Meinst du nicht, es ist viel zu langweilig, lange darüber zu reden?« fragte Joseph sehr liebenswürdig, als ihr immer noch keiner zu Hilfe kam. »Ich würde sagen, Geld und Arbeit, das sind die Dinge, denen man hier auf Mykonos entfliehen möchte, findest du nicht auch, Charlie?«

»Ich meine allerdings, es ist so, als unterhielte man sich mit jemand, der auf jede Frage von mir nur in sich reingrinst«, fauchte Charlie ihn an.

Plötzlich ging etwas in ihr vollkommen in die Brüche. Sie stand auf, stieß einen zischenden Laut aus, gab sich einen Ruck, um jede Unsicherheit zu vertreiben, und hieb mit der Faust auf den Tisch. Es war derselbe Tisch, an dem sie gesessen hatten, als Joseph wie durch ein Wunder mit Als Pass aufgekreuzt war. Die Plastik-Tischdecke geriet ins Rutschen, und eine leere Limonaden-Flasche, ihre Wespenfalle, fiel Pauly buchstäblich in den Schoß. Charlie stieß einen Schwall von Flüchen aus, was ihnen peinlich war, weil sie sich bemühten, in Josephs Gegenwart keine Schimpfworte zu gebrauchen; sie beschuldigte ihn, ein abgefeimter Lüstling zu sein, der den Strand abklappere und seine Muskeln vor Mädchen spielen lasse, die halb so alt seien wie er. Sie wollte sagen, und auf leisen Sohlen auch noch durch Nottingham und York und London herumschleichen, aber während sie redete, kamen ihr Zweifel, und sie hatte panische Angst davor, von ihnen ausgelacht zu werden, und so schluckte sie es herunter. Wieviel er von der ersten gegen ihn abgefeuerten Salve mitbekommen hatte, wussten sie nicht recht. Ihre Stimme war erstickt und wütend, und sie hatte ihren Fischmarkt-Ton eingesetzt. Wenn sie überhaupt sahen, dass sich in Josephs Gesicht etwas zeigte, dann war es die große Aufmerksamkeit, mit der er Charlie beobachtete.

»Also, was genau möchtest du wissen, Charlie?« fragte er sie nach dem üblichen nachdenklichen Abwarten. »Erst einmal wirst du ja wohl einen Namen haben, oder?«

»Ihr habt mir einen gegeben. Joseph.« »Und wie heißt du richtig?«

Bestürztes Schweigen hatte sich über das ganze Restaurant gelegt, und selbst diejenigen, die Charlie vorbehaltlos liebten wie Willy und Pauly, fanden, dass ihre Treue zu ihr überbeansprucht wurde.

»Richthoven«, erwiderte er schließlich, als ob er aus einer ganzen Reihe von Möglichkeiten wählte. »Wie der Flieger, nur mit v: Richthoven«, wiederholte er geradezu genüsslich, als finde er Geschmack an der Vorstellung. »Macht mich das jetzt zu einem anderen Menschen? Wenn ich so ein verruchter Kerl bin, wie du meinst, warum solltest du mir dann jetzt glauben?«

»Richthoven - und? Wie heißt du mit Vornamen?« Wieder eine Pause, ehe er sich entschloss.

»Peter. Aber Joseph ist mir lieber. Wo ich wohne? In Wien. Aber ich reise viel. Willst du meine Adresse? Ich geb’ sie dir. Leider wirst du mich nicht im Telefonbuch finden.«

»Du bist also Österreicher.«

»Charlie. Bitte. Sagen wir, ich bin eine Promenadenmischung mit europäischem und nahöstlichen Einschlag. Stellt dich das zufrieden?«

Mittlerweile ging die Gruppe unter peinlich berührtem Gemurmel zu Joseph über: »Aber, Charlie, um Himmels willen -lass doch, Chas, du stehst nicht auf dem Trafalger Square, Chas, ehrlich.« Doch Charlie blieb nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Sie warf den Arm über den Tisch und schnippte mit den Fingern sehr laut vor Josephs Nase. Einmal und dann noch einmal, so dass mittlerweile jeder Kellner und jeder Gast in der Taverne sich umgedreht hatte und beobachtete, was dort los war.

»Deinen Pass, bitte! Los, schick ihn mal rüber. Erst hast du Als für ihn aufgetrieben, jetzt lass uns deinen sehen. Geburtstag, Augenfarbe, Staatsangehörigkeit. Gib schon her!«

Erst blickte er auf ihre ausgestreckten Finger herunter, die in diesem Winkel etwas hässlich Zudringliches hatten. Dann hinauf in ihr gerötetes Gesicht, wie um sich zu vergewissern, worauf sie eigentlich hinauswollte. Schließlich lächelte er, und für Charlie war dieses Lächeln wie ein leichter, gemächlicher Tanz auf der Oberfläche eines tiefen Geheimnisses, der sie mit seinen Anmaßungen und Auslassungen verspottete.

»Tut mir leid, Charlie. Ich finde, wir Bastarde haben eine tiefsitzende - ich würde sagen, eine historisch bedingte -Abneigung dagegen, unsere Identität durch ein Stück Papier definieren zu lassen. Aber als jemand, der so progressiv ist wie du, verstehst du doch meine Einstellung?«

Er nahm ihre Hand in die seine und schob sie - nachdem er die Finger vorsichtig mit der anderen Hand in die Handfläche gebogen hatte - zurück auf ihre Seite.

Charlie und Joseph traten ihre Reise durch Griechenland in der Woche darauf an. Wie andere erfolgreiche Anträge war auch dies einer, der genau genommen nie gemacht wurde. Sie löste sich vollständig von der Gruppe, und machte es sich zur Gewohnheit, schon früh in die Stadt hinunterzugehen, solange es noch kühl war, und den Tag in zwei oder drei Tavernen zu vertrödeln, griechischen Kaffee zu trinken und ihren Text von Wie es euch gefällt zu lernen, mit dem sie im Herbst im Westen Englands auf Tournee gehen sollte. Als sie merkte, dass sie angestarrt wurde, blickte sie auf, und da stand, direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite, Joseph, war gerade eben aus der Pension getreten, in der er, wie sie entdeckt hatte, wohnte: Richthoven, Peter, Zimmer 18, allein. Es war, wie sie sich hinterher einredete, reiner Zufall, dass sie sich genau zu der Stunde, da er herauskommen musste, um zum Strand hinunterzugehen, ausgerechnet diese Taverne ausgesucht und sich dort niedergelassen hatte. Als er sie sah, kam er herüber und setzte sich neben sie.

»Hau ab!« sagte sie.

Lächelnd bestellte er sich einen Kaffee. »Ich fürchte, ab und zu sind deine Freunde etwas schwer zu verknusen«, gestand er. »Es bleibt einem nichts anderes übrig, als in der Namenlosigkeit der Menge unterzutauchen.«

»Das kann man wohl sagen«, erklärte Charlie. Er sah nach, was sie las, und ehe sie sich’s versah, unterhielten sie sich angeregt über die Rolle der Rosalinde, gingen sie praktisch Szene für Szene durch; nur, dass Joseph beide Teile der Unterhaltung bestritt. »Sie ist so viele Menschen in einer Gestalt, würde ich sagen. Wenn man verfolgt, wie sie sich im Lauf des Stückes entfaltet, hat man das Gefühl, es mit einer Person zu tun zu haben, in der ein ganzes Regiment widerstreitender Charaktere stecken. Sie ist gut, sie ist klug, ist irgendwie verloren, sie begreift zuviel, verspürt sogar etwas wie eine Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber. Ich würde sagen, dass dir diese Rolle wie auf den Leib geschrieben ist.« Sie konnte nicht anders. »Jemals in Nottingham gewesen, Jose?« wollte sie wissen und starrte ihn offen an, gab sich nicht die Mühe zu lächeln.

»Nottingham? Ich fürchte, nein. Sollte ich das? Ist Nottingham etwas, was man gesehen haben muss? Warum fragst du?«

In ihren Lippen kribbelte es. »Ach, nur, dass ich letzten Monat dort gespielt habe. Ich hoffte, du hättest mich vielleicht gesehen.«

»Wie wahnsinnig interessant! Worin hätte ich dich sehen sollen? In was für einem Stück?«

»In der Heiligen Johanna. Shaws Heiliger Johanna. Ich habe die Johanna gespielt.«

»Aber das ist eines meiner Lieblingsstücke! Es vergeht bestimmt kein Jahr, ohne dass ich nicht die Einleitung zur Heiligen Johanna lese. Spielst du sie wieder? Vielleicht bietet sich mir nochmals die Gelegenheit.« »In York haben wir auch gespielt«, sagte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen.