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»Aber, mein lieber Junge, warum nicht?« sagte Ned, der überhaupt nicht mehr wusste, was er von alldem halten sollte.

»Würden Sie uns bitte - nach Ihrer eigenen Einschätzung -sagen, wie Charlie sich bei Interviews macht?« Ned setzte das Rotweinglas ab. »Bei Interviews? Ah, falls Sie da Bedenken haben - da kann ich Sie beruhigen. Glauben Sie mir, sie gibt sich ganz natürlich. Erstklassig. Weiß genau, was die Leute von der Presse wollen, und wenn es im Bereich ihrer Möglichkeiten liegt, bekommen sie es auch von ihr. Sie ist ein regelrechtes Chamäleon. Hat in letzter Zeit zwar nicht viel Gelegenheit gehabt, interviewt zu werden, das will ich gern zugeben, doch das holt sie schnell wieder auf. Was das betrifft, brauchen Sie wirklich keine Angst zu haben.« Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, um es auf sie wirken zu lassen. »Nein, wirklich nicht.«

Doch Litvak schien nicht, wie Ned gehofft hatte, ein Stein vom Herzen gefallen zu sein. Missbilligend und besorgt schürzte er die Lippen wie zu einem Kuss und fing an, mit seinen langen Fingern Krumen auf dem Tischtuch zusammenzufegen. So dass Ned sich veranlasst sah, den Kopf zu senken und auf die Seite zu legen, um ihn aus seinem Trübsinn herauszuholen: »Aber mein lieber Freund«, protestierte er unsicher. »Machen Sie doch nicht so ein Gesicht! Was soll denn daran auszusetzen sein, dass sie sich bei Interviews gut macht? Mädchen, die so was jedes Mal verpatzen, laufen genug herum! Wenn es das ist, was Sie suchen, davon kann ich Ihnen jede Menge liefern.«

Doch damit konnte er Litvaks Wohlwollen nicht gewinnen. Seine einzige Reaktion bestand dann, dass er flüchtig den Blick zu Kurtz hob, als wollte er sagen ›Ihr Zeuge‹ , um ihn gleich darauf wieder aufs Tischtuch zu senken. »Ein reines Zwei-Personen-Stück«, sagte Ned hinterher kläglich zu Marjory. »Man hatte das Gefühl, sie könnten im Handumdrehen die Rollen tauschen.« »Ned«, sagte Kurtz, »wenn wir Ihre Charlie für dieses Projekt unter Vertrag nehmen, dann wird sie wahnsinnig viel im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen, das kann ich Ihnen flüstern. Wenn sie erstmal dabei ist, dann wird sie mit ihrem ganzen Leben konfrontiert werden. Nicht nur mit ihrem Liebesleben, ihrer Familie, ihrem Geschmack, ihren Lieblings-Pop-Stars und Lieblings-Dichtern. Und nicht nur mit der Geschichte ihres Vaters. Sondern auch mit Religion, ihren Einstellungen und Meinungen.« »Auch ihren politischen Einstellungen«, flüsterte Litvak und schob eine letzte Krume auf den kleinen Haufen. Ned verging daraufhin leicht, aber unmissverständlich ein wenig der Appetit, so dass er Messer und Gabel hinlegte, während Kurtz nicht zu bremsen war: »Ned, bei den Geldgebern, die sich für unser Projekt interessieren, handelt es sich um Amerikaner - schlichte Gemüter aus dem Mittleren Westen. Tugendhafter geht’s gar nicht. Sie haben zuviel Geld, undankbare Kinder, zweiten Wohnsitz in Florida und gesunde Wertvorstellungen. Vor allem letzteres - gesunde Wertvorstellungen. Und die soll unsere Produktion widerspiegeln, von vorn bis hinten. Wir können ein bisschen darüber lachen und ein bisschen darüber weinen, aber so ist nun mal die Wirklichkeit, das ist das Fernsehen und außerdem das, wo das Geld steckt...«

»Und es ist Amerika«, hauchte Litvak patriotisch seinen Krumen zu.

»Ned, wir wollen Ihnen gegenüber offen sein. Wir schenken Ihnen reinen Wein ein. Als wir uns schließlich entschlossen, Ihnen zu schreiben, waren wir bereit - vorausgesetzt, wir erhielten auch noch andere Zusagen, um die wir uns bemühten -, Ihre Charlie von allen Verpflichtungen freizukaufen und sie ganz groß rauszubringen. Aber wir wollen Ihnen auch nicht verhehlen, dass Karman und ich in den letzten paar Tagen in Theaterkreisen Dinge zu hören bekamen, die uns aufschreckten und uns fragen ließen, ob wir nicht im Begriff sind, eine große Dummheit zu begehen. Ihr Talent steht außer Frage - Charlie ist eine sehr, sehr begabte Schauspielerin, die bisher nur viel zuwenig gefordert worden ist, aber fleißig und entschlossen, sich durchzusetzen. Doch ob sie innerhalb unseres Gesamtprojekts diskontierbar ist, ob man sie bedenkenlos herausstellen kann - Ned, da brauchen wir von Ihnen die Zusicherung, dass an der ganzen Sache nichts Ernstes dran ist.« Und wieder war es Litvak, der den entscheidenden Stoß führte. Er hatte sich endlich von seinen Krumen losgerissen, hatte den rechten Zeigefinger angewinkelt ans Kinn gelegt und starrte Ned durch seine schwarzgefasste Brille bekümmert an.

»Wie wir hören, ist sie in letzter Zeit unter die Radikalen gegangen«, sagte er. »Wie wir hören, hat sie sich für ihre politischen Ansichten ganz, ganz weit vorgewagt. Militant. Wie wir hören, ist sie im Augenblick mit einem windigen Anarchisten zusammen, der irgendwie verrückt sein soll. Wir möchten selbstverständlich niemand aufgrund von läppischen Gerüchten verurteilen - aber diese Dinge sind uns nun mal zugetragen worden, Mr. Quilley, und das alles hört sich ganz so an, als ob sie Fidel Castros Mutter und Arafats Schwester zusammen und dann noch eine Hure ist.« Ned starrte von einem zum anderen, und einen Moment lang hatte er das unheimliche Gefühl, dass ihre vier Augen von ein und demselben optischen Muskel kontrolliert wurden. Er wollte etwas sagen, doch kam er sich ganz unwirklich vor. Er überlegte, ob er den Chablis wohl doch schneller getrunken hatte, als klug gewesen war. Ihm fiel nichts weiter ein als Marjorys Lieblingsaphorismus: So etwas wie ein vorteilhaftes Geschäft gibt es im Leben nicht. Der Schrecken, der Ned in die Glieder gefahren war, hatte etwas von der Panik der Alten und Hilflosen. Er fühlte sich der Aufgabe physisch nicht gewachsen, zu schwach dafür, zu ausgelaugt. Amerikaner brachten ihn immer ganz durcheinander; die meisten machten ihm Angst, entweder durch ihr Wissen oder durch ihre Ahnungslosigkeit oder durch beides. Aber diese beiden, die ihn ausdruckslos ansahen, während er herum zappelte und nach einer Antwort suchte, versetzten ihm einen heftigen Schrecken, der größer war als alles, was er für möglich gehalten hätte. Außerdem war er, und es nutzte gar nichts, sehr ärgerlich. Er verabscheute Klatsch. Jeden Klatsch. Er betrachtete Klatsch als verheerend für seinen Beruf. Er hatte erlebt, dass Klatsch Karrieren ruiniert hatte; Klatsch erboste ihn und konnte ihn fuchsteufelswild machen und dazu bringen, dass er ausfallend wurde, wenn er ihm von Leuten zugetragen wurde, die seine Gefühle nicht kannten. Wenn Ned über andere redete, tat er das offen und liebevoll, genauso, wie er vor zehn Minuten noch über Charlie geredet hatte. Verflixt, er liebte das Mädchen. Einen Moment dachte er sogar daran, Kurtz das anzudeuten, ein für Ned wirklich kühner Schritt; und dieser Gedanke musste sich flüchtig auch auf seinem Gesicht gezeigt haben, denn er meinte zu erkennen, dass Litvak schon anfing, das Gesagte zu bedauern, und im Begriff war, ein wenig davon zurückzunehmen - und dass Kurtz’ außerordentlich bewegliches Gesicht sich zu einer Art ›Na-na-Ned‹ -Lächeln verzog. Aber wie immer hielt ihn unheilbare Höflichkeit zurück. Er war ihr Gast. Außerdem waren sie Ausländer und hatten völlig andere Normen. Und er musste auch - widerstrebend -zugeben, dass sie schließlich einen Auftrag hatten, den sie ausführen, Geldgeber, auf deren Eigenheiten sie Rücksicht nehmen mussten, und dass sie in einer gewissen, schrecklichen Hinsicht sogar recht hatten und er, Ned, entweder ihren Verdacht entkräften musste, oder aber er riskierte, dass das ganze Geschäft in die Brüche ging und damit alle seine Hoffnungen für Charlie zum Teufel waren. Denn da war noch etwas, was Ned mit seiner fatalen Vernünftigkeit auch nicht übersehen durfte - nämlich, dass, selbst wenn ihr Projekt sich als schrecklich entpuppen sollte, was, wie er annahm, wohl der Fall sein würde; selbst wenn Charlie jeden Vers verpatzte, den man ihr zu sprechen gab; selbst wenn sie sternhagelvoll auf die Bühne kam oder dem Regisseur Glasscherben in die Badewanne schmuggelte - etwas, woran sie nicht im Traum dachte, weil sie ihren Beruf viel zu ernst nahm -, ihre Karriere schließlich, ihr Ansehen, ja, selbst ihr Marktwert endlich jenen sehnlichst erhofften Aufstieg nehmen würde, von dem sie ernstlich nicht wieder herunter musste.