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Kurtz hatte die ganze Zeit über unbeirrt weitergeredet. »Was raten Sie uns, Ned«, beschwor er ihn ernst. »Wir brauchen ihre Hilfe. Wir möchten wissen, ob diese ganze Geschichte nicht schon am zweiten Tag platzt - der Schuss hinten rausgeht. Denn ich will Ihnen eins sagen.« Ein kurzer, kräftiger Finger zeigte auf ihn wie ein Pistolenlauf. »Kein Mensch im Staate Minnesota ist bereit, einer rot angehauchten Feindin der Demokratie - falls sie das wirklich ist - eine Viertelmillion Dollar zu zahlen. Und kein Mensch bei GK wird ihnen raten, das zu tun und damit Harakiri zu begehen.«

Um es gleich zu sagen: Ned fing sich schließlich nicht schlecht. Er entschuldigte sich für nichts. Ohne auch nur den geringsten Rückzieher zu machen, erinnerte er sie nochmals an das, was er über Charlies Kindheit gesagt hatte, und wies darauf hin, dass sie normalerweise unter diesen Umständen ganz der Jugendkriminalität hätte

verfallen oder - wie ihr Vater - im Gefängnis enden müssen. Was nun ihre politischen Aktivitäten oder Einstellungen oder wie man es sonst nennen wolle, betreffe, so sagte er, in den rund neun Jahren, die er und Marjory sie jetzt kennten, sei Charlie eine leidenschaftliche Gegnerin der Apartheid gewesen - »Nun, und daran kann doch niemand was auszusetzen haben, oder?« (obwohl sie zu denken schienen, man könne das durchaus) -, eine militante Pazifistin, Sufistin, Anti-Kernwaffen-Demonstrantin, Gegnerin von Vivisektion und - bis zu dem Augenblick, da sie selbst wieder angefangen habe zu rauchen - eine Verfechterin des Rauchverbots in Kinos und in der Untergrundbahn. Außerdem hege er nicht den geringsten Zweifel, dass Charlie, ehe der Sensenmann sie hole, noch eine ganze Menge ähnlich unterschiedlicher Angelegenheiten finden werde, denen sie ihre romantische, wenn auch kurze Unterstützung zuteil werden lasse.

»Und das alles haben Sie mit ihr durchgestanden, ohne sie fallenzulassen, Ned?« Kurtz war voller Bewunderung. »Ich muss schon sagen, das finde ich großartig von Ihnen, Ned.«

»So würde ich das bei allen machen!« erklärte Ned in einer begeisterten Aufwallung. »Was soll’s, sie ist schließlich eine Schauspielerin. Nehmen Sie sie doch nicht so ernst. Schauspieler haben keine Meinungen, mein Lieber, von Schauspielerinnen ganz zu schweigen. Sie haben Stimmungen. Marotten. Setzen sich in Positur. Haben Leidenschaften, die nur einen Tag dauern. Es ist doch weiß Gott mit der Welt nicht alles in Ordnung, verflixt noch mal. Schauspieler fliegen auf dramatische Lösungen. Wenn Sie mich fragen, sobald Sie sie erstmal drüben haben, wird sie wie neugeboren sein!«

»Nein, politisch bestimmt nicht«, erklärte Litvak leise und niederträchtig.

Unter dem hilfreichen Einfluss des Rotweins verfolgte Ned seinen kühnen Kurs noch ein paar Augenblicke weiter. Er wurde von einer Art Schwindel erfasst. Er hörte die Worte im Kopf; wiederholte sie und fühlte sich wieder jung und vollkommen losgelöst vom eigenen Handeln. Er sprach von Schauspielern ganz allgemein und davon, dass ›das Schreckgespenst des Unwirklichen‹ sie einfach nie loslasse. Dass sie auf der Bühne sämtliche Qualen des Menschseins verkörperten und durchlitten, wenn sie jedoch nicht auf der Bühne stünden, hohle Gefäße seien, die darauf warteten, gefüllt zu werden. Er redete von ihrer Schüchternheit, ihrer Beschränktheit, ihrer Verwundbarkeit und ihrer Angewohnheit, diese Schwächen hinter hart und abgebrüht vertretenen Anliegen zu verstecken, die sie der Erwachsenenwelt entliehen hätten. Er sprach von ihrer Selbstbesessenheit, erklärte, daß sie sich selbst vierundzwanzig Stunden am Tag auf der Bühne sähen - beim Gebären, unterm Messer, bei der Liebe. Dann versiegte sein Redestrom, etwas, was ihm neuerdings viel zu oft passierte. Er verlor den Faden, sein Schwung verebbte. Der Weinkellner rollte den Barwagen heran, und unter den kalten und nüchternen Augen seiner Gastgeber wählte Ned verzweifelt einen Marc de Champagne aus und ließ sich vom Kellner ein großes Glas davon einschenken, ehe er ihm übertrieben entrüstet Einhalt gebot. Inzwischen hatte Litvak sich wieder so weit gefasst, dass er erneut mit einer guten Idee aufwarten konnte. Mit langen Fingern suchte er in der Innentasche seines Jacketts herum und zog eines von jenen Notizbüchern hervor, die aussehen wie ein leeres Bild, mit einer Unterlage aus unechtem Krokodilleder und kleinen Messingblechen an den Ecken, mit denen die Zettel festgehalten werden.

»Gehen wir es doch mal der Reihe nach durch«, schlug er -mehr für Kurtz als für Ned bestimmt - sanft vor. »Wann, wo, mit wem und wie lange.« Dann zog er einen Rand, offenbar für die Daten. »Versammlungen, die sie mitgemacht hat. Demonstrationen. Bittgesuche und Protestmärsche. Alles, wo sie in der Öffentlichkeit aufgefallen sein könnte. Liegt das erst mal alles auf dem Tisch, können wir zu einer sachlich begründeten Einschränkung kommen. Entweder wir gehen das Risiko ein, oder wir machen, dass wir durch die Hintertür rauskommen. Ned, wann hat sie Ihres Wissens zum ersten Mal bei so was mitgemacht?«

»Das gefällt mir«, sagte Kurtz. »Ja, die Methode hat was für sich. Und ich meine, damit werden wir auch Charlie am besten gerecht.« Er brachte es tatsächlich fertig, so zu tun, als komme Litvaks Vorschlag für ihn wie aus heiterem Himmel; dabei war er das Ergebnis stundenlanger vorbereitender Diskussionen. So sagte ihnen Ned das auch noch. Wo er konnte, beschönigte er, was vorgegangen war, und ein- oder zweimal erzählte er auch eine

kleine Lüge, doch im großen und ganzen sagte er ihnen, was er wusste. Selbstverständlich beschlichen ihn auch böse Ahnungen, doch das war erst später. Sie hätten ihn in der Situation einfach mitgerissen, so stellte er es Marjory gegenüber dar. Nicht, dass er besonders viel gewusst hätte. Das von der Anti-Apartheid und den Anti-Kernwaffen-Demonstrationen natürlich - das sei aber ohnehin allgemein bekannt. Dann waren da noch die Leute vom Theater der radikalen Reform, denen sie sich gelegentlich anschloss und die eine ziemliche Plage außerhalb der Schauspielergewerkschaft waren und Aufführungen blockierten. Und dann noch diese Verrückten von der Alternativen Aktion in Islington, einer aus fünfzehn Leuten bestehenden Splittergruppe, die sich nur lächerlich machte. Und so ein grauenhaftes Frauen-Forum, bei dem sie in der St. Pancras Town Hall aufgetreten war und wozu sie eigens Marjory mitgeschleift hatte, um ihr die Augen zu öffnen. Und dann hatte sie noch einmal vor zwei oder drei Jahren mitten in der Nacht von der Polizeiwache in Durham angerufen und Ned angefleht, zu kommen und für sie zu bürgen, damit sie rauskam, nachdem sie bei irgendeiner Anti-Nazi-Veranstaltung, auf die sie sich eingelassen hatte, verhaftet worden war.

»War das die Sache, die so viel Aufsehen erregte und bei der ihr Bild in den Zeitungen erschien, Mr. Quilley?« »Nein, das war Reading«, sagte Ned. »Das war später.«

»Um was ging’s denn in Durham?«

»Nun, genau weiß ich das auch nicht. Offen gestanden lasse ich nicht zu, dass das Thema in meiner Gegenwart diskutiert wird. Ich weiß nur, was man so aus Zufall erfährt. Ging es dabei nicht um irgendein Atomkraftwerk, das dort oben gebaut werden sollte? Ich hab’s vergessen. So was vergisst man einfach. Wissen Sie, sie ist in letzter Zeit viel gemäßigter geworden, längst nicht mehr die Rakete, die zu sein sie vorgab, das kann ich Ihnen versichern. Wesentlich reifer! Oh, ja.«

»Zu sein vorgab, Ned?« meldete Kurtz wie ein Echo seine Zweifel an.

»Erzählen Sie uns von Reading, Mr. Quilley«, sagte Litvak. »Was ist dort passiert?«

»Ach, praktisch auch nichts anderes. Irgendjemand hat einen Bus in Brand gesteckt, und folglich hat man sie alle angeklagt. Ich glaube, sie protestierten dagegen, dass den Alten die Renten gekürzt werden sollten. Oder dagegen, dass Farbige nicht mehr als Busfahrer eingesetzt werden sollten. Der Bus war natürlich leer«, beeilte er sich, noch hinzuzufügen. »Verletzt wurde niemand.«