»Sind das unsere oder ihre?« wollte sie wissen.
Sie wollte sich gerade wieder bequem hinsetzen, als ihr aufging, was ihr sonst noch ins Auge gefallen war. Ein roter Blazer, der auf dem Rücksitz lag, Messingknöpfe wie die Messingknöpfe in Nottingham und York: und - sie hätte jede Wette gemacht - mit einem Hauch zwanziger Jahre im Schnitt. Sie bat ihn um eine Zigarette.
»Warum siehst du nicht im Handschuhfach nach?« sagte er, ohne den Kopf zu wenden. Sie zog es auf und sah ein Päckchen Marlboro. Daneben lag ein seidener Schal und eine teure Polaroid-Sonnenbrille. Sie nahm den Schal heraus und schnupperte daran; er roch noch Herren-Toilettenwasser. Sie nahm sich eine Zigarette. Mit der behandschuhten Hand reichte Joseph ihr den glühenden Zigarettenanzünder vom Armaturenbrett.
»Dein Freund hat was für flotte Kleidung übrig, was?« »Oh ja, kann man wohl sagen. Warum fragst du?« »Ist das sein roter Blazer da auf dem Rücksitz oder deiner?« Er warf wie beeindruckt rasch einen Blick nach hinten und wandte die Augen dann wieder der Straße zu. »Sagen wir, er gehört ihm, aber ich habe ihn mir ausgeliehen«, erwiderte er ruhig, während das Auto beschleunigte.
»Und die Sonnenbrille hast du dir auch von ihm geliehen, oder? Die hast du wohl verdammt noch mal gebraucht, als du so tief vorm Rampenlicht gesessen hast. Fast schon auf der Bühne. Und du heißt Richthoven, stimmt’s?« »Richtig.«
»Vorname Peter, aber du ziehst vor, Joseph genannt zu werden. Lebst in Wien, treibst ein bisschen Handel, studierst ein bisschen.«
Sie hielt inne, doch er sagte nichts. »In einem Postfach.« Sie ließ sich nicht beirren. »Nummer siebenhundertzweiundsechzig, Hauptpostamt. Richtig?«
Sie sah, wie er wegen ihres Gedächtnisses anerkennend leicht mit dem Kopf nickte. Die Nadel des Geschwindigkeitsmessers kletterte auf 130.
»Staatsangehörigkeit offen. Feinfühlige Promenadenmischung«, fuhr sie forsch fort. »Du hast drei Kinderchen und zwei Frauen. Alle in einem Postfach.«
»Keine Frauen. Keine Kinder.«
»Überhaupt nie? Oder nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine?«
»Überhaupt keine.«
»Nicht, dass du meinst, ich hätte was dagegen, Jose. Mir war’s sogar ausgesprochen lieb. Alles, was dich in diesem Augenblick näher bestimmen könnte. Egal was. Mädchen sind so - neugierig.« Ihr ging auf, dass sie immer noch den Schal in der Hand hielt, sie warf ihn ins Handschuhfach und klappte es mit lautem Knall zu. Die Straße war gerade, aber sehr schmal, die Nadel hatte 140 Kilometer erreicht, und sie spürte, wie Panik in ihr hochkroch und mit ihrer aufgesetzten Ruhe kämpfte.
»Wie war’s, wenn du mir mal was Nettes erzähltest? Irgendwas, um eine gewisse Person zu beruhigen?« »Das Nette ist, dass ich dich so wenig wie möglich belogen habe und es jetzt nicht mehr lange dauert, bis du begreifen wirst, dass es viele gute Gründe gibt, bei uns zu sein.«
»Wer sind wir?« fragte sie scharf.
Bis eben war er ein Einzelgänger gewesen. Diese Ve ränderung gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie fuhren auf eine Hauptstraße zu, doch er ging mit dem Tempo nicht herunter. Sie sah die Lichter von zwei Autos auf sie zukommen und hielt die Luft an, als er gleichzeitig auf Kupplung und Bremse trat und den Mercedes säuberlich vor ihnen einfädelte, schnell genug, dass das Auto hinter ihnen dasselbe tun konnte.
»Es geht nicht um Waffenschmuggel, oder?« fragte sie und dachte plötzlich an seine Narben. »Du führst doch als Nebengeschäft nicht irgendwo einen kleinen Krieg, oder? Ich kann nämlich Knallerei nicht ab, verstehst du. Dazu hab’ ich zu empfindliche Trommelfelle.« Ihre Stimme mit der forcierten Munterkeit kam ihr ganz fremd vor.
»Nein, Charlie, es geht nicht um Waffenschmuggel.«
»›Nein, Charlie, es geht nicht um Waffenschmuggel.‹ Um weißen Sklavenhandel?«
»Nein, auch nicht um weißen Sklavenhandel.«
Auch diese Antwort äffte sie nach.
»Bleiben nur noch Drogen, nicht wahr? Denn mit irgendwas musst du doch handeln, oder? Nur, Drogen liegen offen gestanden auch nicht auf meiner Linie. Long Al lässt mich sein Hasch am Körper tragen, wenn wir durch den Zoll müssen, und ich bin hinterher noch tagelang mit den Nerven völlig fertig.« Keine Antwort. »Was Höheres, also? Edleres? Auf einem ganz anderen Niveau?« Sie streckte die Hand aus und stellte das Radio ab. »Wie war’s eigentlich, wenn du ganz einfach mal anhieltest? Du brauchst mich nicht irgendwohin zu bringen. Du kannst gleich morgen zurück nach Mykonos, wenn du willst, und meinen Ersatz aufreißen.«
»Und dich hier mutterseelenallein einfach absetzen und stehen lassen? Sei doch nicht albern.« »Tu’s!« schrie sie. »Halt den Scheiß-Wagen an!« Sie hatten ein paar Verkehrsampeln überfahren und waren nach links abgebogen, und zwar so heftig, dass ihr Anschnallgurt sich straffte und alle Luft aus ihr herauspresste. Sie stürzte sich auf das Lenkrad, doch sein Unterarm war lange vor ihr da. Er bog ein zweites Mal nach links ab, durch ein weißes Tor in eine von Azaleen und Hibiskus gesäumte Privatauffahrt. Die Auffahrt führte um eine Kurve, sie flogen herum und kamen an einer durch weißgetünchte Steine abgegrenzten Kiesfläche zum Stehen. Das zweite Auto kam hinter ihnen zum Halten und blockierte den Weg nach draußen. Sie hörte Schritte auf dem Kies. Das Haus war eine von roten Blüten überwucherte alte Villa. Im Strahl der Scheinwerfer sahen die Blüten aus wie frische Blutflecken. Unter dem Vorbau brannte ein schwaches Licht. Joseph stellte den Motor ab und steckte den Zündschlüssel in die Tasche. Er lehnte sich über Charlie und drückte die Tür für sie auf, so dass plötzlich der süßliche Duft von Hortensien und das vertraute Gezwitscher der Zikaden hereindrang. Er stieg aus, doch Charlie blieb sitzen. Keine Brise regte sich, die Luft stand, und nichts war zu hören außer den vorsichtigen Schritten von leichtfüßigen jungen Leuten, die sich um den Wagen versammelten. Dimitri, der zehnjährige Fahrer mit dem einfältigen Lächeln. Raoul, der strohblonde Jesus-Freak, der in Taxis fuhr und einen reichen schwedischen Daddy hatte. Zwei Mädchen in Jeans und Jacken, dasselbe Gespann, das ihnen auf die Akropolis hinauf gefolgt war, und - jetzt, da sie sie deutlicher sah - auch dasselbe Gespann, das sie ein paarmal auf Mykonos hatte herumstreichen sehen, als sie Schaufensterbummel machte. Als sie das dumpfe Geräusch von jemand hörte, der den Kofferraum auslud, sprang sie wütend aus dem Wagen. »Meine Gitarre!« rief sie. »Die rührt ihr nicht an, die...«
Aber Raoul hatte sich die Gitarre bereits unter den Arm geklemmt, und Dimitri hatte sich ihrer Schultertasche bemächtigt. Schon wollte sie auf sie zuspringen, da packten die beiden Mädchen sie am Handgelenk und an den Ellbogen und führten sie mühelos zum Vorbau hinüber. »Wo ist dieser Scheißkerl Joseph?« kreischte sie. Aber der Scheißkerl Joseph, der seine Aufgabe erfolgreich erledigt hatte, war schon halb die Stufen hinauf und blickte sich nicht um, wie jemand, der nach einem Unfall das Weite sucht. Als sie am Wagen vorübergingen, erkannte Charlie im Schein der Lampe vom Vorbau das Nummernschild. Es war keineswegs ein griechisches, sondern ein arabisches mit Schriftzeichen um die Nummer herum und auf dem Kofferraumdeckel gleich neben dem Mercedes-Stern im Hollywood-Stil ein Plastikschild mit den Buchstaben ›CD‹ , der Abkürzung für ›Corps Diplomatique‹.
Kapitel 6
Die beiden Mädchen hatten sie zur Toilette gebracht und waren, ohne irgend etwas dabei zu finden, dageblieben, als sie sie benutzt hatte. Eine Blonde und eine Brünette, beide nicht besonders gepflegt, beide mit dem Befehl, sich der Neuen gegenüber freundlich zu verhalten. Sie trugen Schuhe mit weichen Sohlen, die Hemden hingen ihnen locker über die Jeans, und zweimal waren sie mühelos mit ihr fertig geworden, als sie auf sie losgegangen war, und als sie sie mit Flüchen überhäuft hatte, hatten sie Charlie mit der distanzierten Freundlichkeit der Gehörlosen angelächelt.
»Ich bin Rachel«, hatte die Brünette ihr während eines kurzen Waffenstillstands atemlos anvertraut. »Und das hier ist Rose. Rachel - Rose, kapiert? Wir sind die beiden Rs.«