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Rachel war die Hübsche. Sie hatte den Tonfall der Nordengländer und fröhliche Augen; und Rachels Rückseite hatte Yanuka an der Grenze anhalten lassen. Rose war groß und drahtig, hatte krusseliges helles Haar und die gute körperliche Verfassung einer Leistungssportlerin, doch wenn sie die Hände aufmachte, saßen ihre Handflächen wie Äxte auf den dünnen Gelenken.

»Es passiert dir nichts, nur keine Angst«, versicherte Rose ihr mit einem spröden Akzent, der auf Südafrika hindeutete. Von der Toilette brachten sie sie in ein Schlafzimmer im Erdgeschoß und gaben ihr Kamm und Bürste und ein Glas Schlankheitstee ohne Milch, und sie saß auf dem Bett, trank und fluchte in rasendem Zorn, während sie versuchte, wieder richtig zu atmen. »›MITTELLOSE SCHAUSPIELERIN ENTFÜHRT‹ «, brummte sie. »Womit soll man mich freikaufen, girls? Mit meinem überzogenen Bankkonto?« Doch sie lächelten sie nur um so liebevoller an, standen mit hängenden Armen links und rechts neben ihr herum und warteten darauf, sie die große Treppe hinaufzubringen. Als sie den ersten Treppenabsatz erreicht hatten, ging sie wieder auf sie los, diesmal mit der geballten Faust, einem weit ausholenden wütenden Schwung des ganzen Arms, nur um zu erleben, dass sie sanft aufs Kreuz gelegt wurde und zum Treppenhaus-Oberlicht aus farbigem Glas hinaufschaute, in dem das Mondlicht sich wie in einem Prisma brach, so dass ein Mosaik aus blassen Gold- und Rosatönen entstand. »Ich wollte euch nur die Nase einschlagen«, erklärte sie Rachel, doch Rachel sah sie verständnislos strahlend an.

Das Haus war alt und roch nach Katze und ihrer Scheiß-Mutter. Es war mit schlechten griechischen Möbeln im Empire-Stil vollgestopft und mit verblassten Samtportieren und Messingleuchtern zugehängt. Aber auch wenn es so sauber gewesen wäre wie ein Schweizer Krankenhaus oder voller Pfützen wie ein Schiffsdeck, es wäre nur ein anderer Wahnsinn gewesen - weder besser noch schlechter. Auf dem zweiten Treppenabsatz erinnerte ein Blumenständer sie noch einmal an ihre Mutter; sie sah sich als kleines Kind in einer Spielhose aus Cord neben ihr im Wintergarten sitzen, der mit Schuppentannen überladen war, und Erbsen palen. Trotzdem konnte sie sich ums Verrecken nicht daran erinnern, zu der Zeit oder später ein Haus mit einem Wintergarten gehabt zu haben, es sei denn, es war das erste, das sie überhaupt gehabt hatten, in Branksome bei Bournemouth, als Charlie drei Jahre alt gewesen war. Sie kamen zu einer Doppeltür. Rachel stieß sie auf und trat beiseite: ein höhlenartiges Zimmer im Oberstock wurde für sie geöffnet, in dessen Mitte zwei Gestalten an einem Tisch saßen, die eine groß und breitschultrig, die andere gebeugt und sehr dünn, beide in verschwommene Braun- und Grautöne gekleidet und aus dieser Entfernung Phantome. Auf dem Tisch sah sie ein Durcheinander von Papieren, die durch einen von der Mitte der Zimmerdecke darauf gerichteten Strahler eine unverhältnismäßig große Bedeutung bekamen und schon aus einiger Entfernung wie ihre Zeitungsausschnitte aussahen. Rose und Rachel waren hinter ihr zurückgeblieben, so als seien sie unwürdig. Rachel versetzte ihr einen kleinen Schubs in den Rücken und sagte: »Geh nur weiter!«, und so überraschte Charlie sich dabei, wie sie die letzten sechs Meter allein zurücklegte und sich wie eine hässliche Spielzeugmaus vorkam, die man aufgezogen hatte und die jetzt von allein weiterlief. Du musst jetzt einen Anfall kriegen, sagte sie sich. Halt den Bauch mit beiden Händen, tu so, als ob du ‘ne Blinddarmentzündung hättest. Schrei! Ihr Eintreten war für die beiden Männer wie das Stichwort, gleichzeitig aufzuspringen. Der Schmächtige blieb am Tisch stehen, doch der Große kam selbstbewusst auf sie zu, die rechte Hand hielt er ihr wie eine Krebsschere entgegengestreckt, packte die ihre und schüttelte sie, ehe sie ihn daran hindern konnte.

»Charlie, wie wir uns freuen, Sie endlich heil in unserer Mitte zu haben!« trompetete Kurtz einen kurzen Wortschwall, als beglückwünschte er sie und als hätte sie Feuer und Hochwasser riskiert, um zu ihnen zu gelangen. »Charlie, mein Name« - er hatte ihre Hand immer noch kraftvoll umfasst, und die Berührung ihrer beider Haut war von einer ganz anderen Intimität, als sie erwartet hatte - »mein Name ist Marty, ich hab’ leider keinen besseren, nachdem Gott mich gemacht hatte, lagen noch ein paar Reste herum, daraufhin hat Er es sich überlegt und auch noch Mike hier gemacht. Ich darf also vorstellen: Mike. Mr. Richthoven da drüben, um nochmals die fremde Flagge zu benutzen, unter der er gesegelt ist - Joseph, wie Sie ihn nennen - nun, Sie haben ihn ja ohnehin selbst getauft, nicht wahr?«

Er musste das Zimmer betreten haben, ohne dass sie es bemerkt hatte. Als sie sich umsah, war er gerade dabei, auf einem etwas abseits von allen anderen aufgestellten Klapptisch ein paar Papiere zu ordnen. Dieser Tisch war noch mit einer Extra-Leselampe ausgestattet, deren kerzenschimmerähnlicher Schein jetzt, wo er sich darüber beugte, auf seine Züge fiel.

»Jetzt könnte ich ihn Scheißkerl taufen«, sagte sie. Sie dachte daran, auf ihn loszugehen wie vorhin auf Rachel, drei schnelle Schritte und eine Ohrfeige, bevor sie von ihnen daran gehindert würde, doch sie wusste, dass sie es nie schaffen würde, und so gab sie sich damit zufrieden, ihn statt dessen mit einem Schwall von Flüchen zu überhäufen, den Joseph mit einem Ausdruck über sichergehen ließ, als erinnerte er sich ganz dunkel an etwas. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt einen leichten braunen Pullover; das seidene Bandleader-Hemd und die kronenkorkengroßen goldenen Manschettenknöpfe waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.

»Ich kann dir nur raten, abzuwarten und dir erst dann ein Urteil zu bilden, wenn du dir angehört hast, was diese beiden Männer dir zu sagen haben«, sagte er, ohne den Kopf zu heben und sie anzublicken, während er weiterhin mit dem Ordnen seiner Papiere beschäftigt war. »Du bist hier in guter Gesellschaft. In besserer, als du es gewohnt bist, würde ich sagen. Du hast viel zu lernen, und - wenn du Glück hast - viel zu tun. Spar dir also deine Energie auf«, riet er ihr in einem Ton, als führte er sich selbst wie abwesend eine Aktennotiz zu Gemüte. Und fuhr fort, sich mit seinen Unterlagen zu beschäftigen.

Er macht sich nichts aus mir, dachte sie bitter. Er hat seine Bürde abgesetzt, und diese Bürde war ich. Die beiden Männer am Tisch standen immer noch und warteten offenbar darauf, dass sie sich setzte, was an sich schon ein Wahnsinn war. Wahnsinn, sich einem Mädchen gegenüber höflich zu verhalten, das man gerade eben entführt hatte, Wahnsinn, sie darüber belehren zu wollen, was gut ist, Wahnsinn, sich zu Verhandlungen mit seinen Entführern hinzusetzen, nachdem man eine schöne Tasse Tee getrunken und sich ein wenig zurechtgemacht hatte. Trotzdem setzte sie sich. Kurtz und Litvak ebenfalls. »Wer hat die Karten?« platzte sie witzig heraus und wischte sich mit den Knöcheln eine verlorene Träne ab. Sie sah eine abgenutzte braune Aktentasche zwischen den beiden auf dem Boden stehen, die jedoch nicht weit genug offen stand, um hineinblicken zu können. Ja, bei den Papieren auf dem Tisch handelte es sich in der Tat um ihre Zeitungsausschnitte, und obwohl Mike sie bereits in einen Hefter wegpackte, hatte sie keinerlei Schwierigkeit, sie als Ausschnitte über sich und ihre Karriere zu erkennen.

»Und ihr habt die Richtige, da seid ihr ganz sicher, oder?« sagte sie entschlossen und wandte sich dabei an Litvak in der irrtümlichen Annahme, da er so spindeldürr sei, müsse er auch leichter zu beeindrucken sein. Im Grunde war es ihr jedoch gleichgültig, an wen sie sich wandte, solange es ihr nur gelang, sich über Wasser zu halten. »Nur, wenn ihr hinter den drei maskierten Männern her seid, die die Bank auf der Fifty-second Street überfallen haben - die sind in die entgegengesetzte Richtung gelaufen. Ich bin nur zufällig die unschuldige Zeugin, die gerade eine Frühgeburt hatte.«